Gesäubert, geöffnet, Räume geschaffen

Staab Architekten haben die Neue Galerie Kassel für das 21. Jahrhundert fit gemacht; ein Vorabbesuch

Am 24. November 2011 ist es soweit, dann, nach bald vier Jahren Schließung eröffnet die Neue Galerie in Kassel; und man kann jetzt schon sagen, dass der umgebaute und sanierte und insgesamt völlig veränderte wie sich selbst treu gebliebene Bau einen anderen Stellenwert einnehmen wird, als er diesen in seiner über hundertjährigen Geschichte eingenommen hatte.

Das liegt zum einen an einen revidierten wie zugleich geschärftem Ausstellungskonzept, das liegt an der Vergrößerung der Ausstellungsflächen, der Frische, die dieser Bau jetzt in seinem Inneren verbreitet, und das alles haben wir den Architekten zu verdanken, die mit ihrem Um- und Weiterbauen das Einfachste taten und damit das Meiste erreichten.

Wir konnten in den vergangenen Tagen die Räume in der Phase erleben, in welcher sie zwischen reiner Architektur und fertigem Ausstellungshaus oszillierten, einem Zustand, den man kaum oder nur sehr selten erleben darf. Hier hingen schon ein paar Bilder, dort standen sie noch an die Wand gelehnt, hier waren sie von massiven Transportboxen geschützt in den Raum gestellt als unfreiwillige Paravants.

Was hat das Büro Staab, das das VOF-Verfahren 2006 für sich entscheiden konnte, mit dem Museumsbau „An der Schönen Aussicht“ oberhalb der Karlsaue gemacht? Der zwischen 1871 und 1877 nach Plänen des Architekten Heinrich von Dehn-Rotfelser (1825–1885) entstandene Bau war im Weltkrieg 1939-45 stark beschädigt worden und erst nach der Entscheidung 1962, die Gemäldegalerie Alte Meister künftig im Schloss Wilhelmshöhe zu zeigen, als Neue Galerie mit der Sammlung der Moderne wiederaufgebaut und 1976 wiedereröffnet worden. An die Stelle der historistischen Innenausstattung war aber eine lediglich alten Mustern folgende farbige Tapetenauswahl getreten, die wiederum im Laufe der Jahre durch Überstreichen vereinheitlicht wurde. Die wichtigste Änderung des Nutzungskonzeptes bestand darin, dass nun beide Geschosse gleichwertig zur Präsentation der Sammlungen genutzt werden konnten.

Der Umbauentwurf des Büros Staab Architekten ist Bestandteil einer Gesamtplanung von Albert Speer & Partner Bogner.cc (cultural consulting) aus dem Jahre 2005 zur Neuordnung der Kassler Museumslandschaft. Die Planung von Staab Architekten umfasst neben so profanen wie heute selbstverständlichen Dingen wie Barrierefreiheit auch eine energetische Sanierung, zielte im Wesentlichen aber auf drei Dinge: Erstens wurde durch die Versetzung des Haupttreppenhauses an die Nordostkopfseite zugleich ein großzügiges Foyer geschaffen, das die Finsternis und Enge des alten Eingangs zum Verschwinden bringt. Zweitens wurde der Bau durch die mutige wie zugleich kluge Entscheidung, die zur Südostseite gelagerte Wandelhalle (EG) und Loggia (OG) nicht mit Kunst zu bespielen, zur Karlsaue geöffnet. Und man kann wirklich sagen, dass damit zwei kostbare Räume zurück-, ja vielleicht sogar neu gewonnen wurden! Und zuletzt: Die Hülle des Bestandes wurde lediglich saniert, eine Weitung der Fenster durch Ausfräsung der Laibungen innen ist von außen nicht wahrnehmbar.

Es gibt mehr Ausstellungsfläche im Untergeschoss (Fotografie, Grafik), die alte En-suite-Reihung der Seitenlichtkabinette (Nordwesten) mit den Oberlichtsälen (OG) blieb erhalten, natürlich mit neuen Oberflächen und zeitgemäßer Licht- und Klimatechnik. Dass oben die Oberlichter erhalten blieben (in Kombination mit einer transluzenten, fast transparenten Lichtdecke), ergibt das beste Mischlicht.

Man konnte damit rechnen und wirklich ist es so: Die Architekten haben uns wieder einmal ein paar schöne Treppengehäuse, -anlagen geschenkt, die für sich vielleicht reines Mittel zum Zweck sind, deren Setzung im Raum jedoch Raum gestaltet, Räume schafft und Räume über viele Level hinweg verbindet. Dass auch die – geforderten – innenliegenden und fast unsichtbaren Fluchttreppenhäuser gestaltet wurden, mag da kaum noch überraschen.

Die Kunst, chronologisch geordnet, um, wie Museumsleiterin Marianne Heinz erklärte, die Wurzeln der Kunst des 20. Jahrhunderts im 19. Jahrhundert nachvollziehbar zu machen, schraubt sich vom Erdgeschoss ins OG hinauf, zeigt sich – außerhalb dieser Ordnung – in den Vorsälen(z. B. Beuys-Raum) zur Sammlung. Was auch aus konservatorischen Gründen Sinn macht (weniger Tageslicht).

3500 m² Ausstellungsfläche stehen der Neuen Galerie jetzt zur Verfügung, 18 Mio. € wollten sie dafür ausgeben. Dass es am Ende 22 Mio. € geworden sind, hat mit ungeplanten Fundamentsanierungen und weiteren, schwer kalkulierbaren Dingen zu tun. Gemessen am Gesamtetat zur Sanierung und dem Aufbau der Museumslandschaft Kassel, den das Land Hessen vor Jahren mit großzügigen 200 Mio. € angeboten hatte, erscheint diese Summe dann umso mehr angemessen. Auf nach Kassel! Be. K.

Staab Architekten


Neue Galerie Kassel
Schöne Aussicht 1
+49 (0)561 3 16 80 400
info@museum-kassel.de
Öffnungszeiten:
Die Neue Galerie wird nach fast fünf Jahren Schließung am 24.11.2011 wiedereröffnet.
Di-So und feiertags 10 - 17 Uhr, Do 10 - 20 Uhr, 24., 25. und 31. Dezember geschlossen, 1. Januar 12 - 17 Uhr

Museumslandschaft Hessen Kassel

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