Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit sind sehr wichtig in der Architektur
Ein Gespräch mit Peter Wilson, Münster
www.bolles-wilson.com
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Bauten für Kinder gelten noch immer als eine schwierige Bauaufgabe. Entweder werden sie zu bunt oder zu groß, manchmal zu laut oder zu eng, zu wenig rund oder einfach zu einfach. Und wenn eine solche Architektur zusätzlich noch in das Volumen einer ehemaligen Kirche einzufügen ist, könnte man gleich von einem Scheitern ausgehen. Dass das aber nicht so sein muss darüber sprachen wir mit Peter Wilson von Bolles+Wilson, Münster. Die Architekten haben aktuell in die profanierte Kirche St. Sebastian in Münster eine Kita geplant und realisiert.
Peter Wilson, sind Sie, ist das Büro mit allem zufrieden?
Eigentlich schon, aber ich muss auch sagen, dass der Entwicklungsprozess des Projektes ein ziemlich schmerzhafter war. Wir sind sehr zufrieden, wenn wir die Kinder hier in der Kita sehen. Die scheinen unsere Räume zu lieben, was für uns die Belohnung für unsere Arbeit ist. Warum wir vielleicht nicht gänzlich zufrieden sind ist, dass das Budget einfach nicht ausreichte, um eine Kita so zu bauen, wie wir uns das vorstellen.
Ist die Budgetverknappung um, wie Sie sagen, 20 Prozent, eine politsche Forderung?
Ja, ganz sicher. Und das greift die Qualität an. Zudem hatten wir hier eine ganz besondere Aufgabe wegen des Bestandes, dessen ästhetische Qualitäten unbestritten, dessen teils schlechter baulicher Zustand uns allerdings überraschte. Einmal war da das bestehende Dach, das, wie der Statiker sagte, kurz vor dem Einsturz sei. Wir mussten hier also eine neue Dachkonstruktion aus Holzleimbindern planen. Schwierig war auch der Umstand, dass wir unter dem Dach einen Außenraum hatten. Hier mussten wir mit der Feuerwehr eine Lösung für den Brandfall suchen, was nicht einfach war. Besonders natürlich, wenn es um Kinder geht. Hier gab es komplizierte Verhandlungen wegen der Fluchtwege. Die Rutsche zum Beispiel, die von der oberen Ebene auf die untere im Falle eines Brandes genutzt werden könnte, muss oben und unten von einer Erzieherin gesichert werden.
Zurück noch einmal zum Entwurf. Woher kam im Wettwerb die Idee für die Weiternutzung?
Ich denke, für uns kam es nicht infrage, das Gebäude abzureißen. Es wäre wirtschaftlicher gewesen, die Kirche abzureißen. Jeder Inves-tor hätte hier einen Neubau gesehen. Aber wenn man das gemacht hätte, hätte man einen Kindergarten mit drei Meter Deckenhöhe bekommen. Und ganz sicher ist die Kirche ja immer noch ein Identifikationspunkt für das Viertel. Wir haben wahrscheinlich Glück gehabt, dass die Kirche zunächst keinen Investor gefunden hat, der das Projekt hätte entwickeln wollen. Neben der Kita wird zur Weseler Straße hin noch ein Riegel mit Wohnungen von uns realisiert …
… was Teil des Wettbewerbs war?
Ja, die Wohnungen gehören dazu. Also ist am Ende die städtische Wohnungsbaugesellschaft Wohn+Stadtbau eingestiegen. Aber auch für die muss sich das rechnen.
Und wie rechnet die Gesellschaft hier?
Wir sind jetzt dabei, 53 Wohnungen hier zwischen Kita und Straße zu planen. Die Wohn+Stadtbau versucht nun, den Verlust, den sie bei der Kita vielleicht hatte, über die Wohnungen wieder auszugleichen.
Das klingt wieder nach straffem Budget …
Ja, aber hier wissen wir von Anfang an, wie die Bedingungen sind, wir haben es ja mit einem Neubau zu tun. Die Wohn+Stadtbau kennen wir gut, wir schätzen die als Partner, auch, weil die wissen, welche Qualitäten wir anstreben. Was sie nicht daran hindert, immer auch darüber zu schimpfen, dass wir zu viele und zu eigenartige Details planen und bauen. Aber gerade das gibt den Bauten den ganz eigenen Charakter.
Was wäre ein solches „eigenartiges“ Detail beispielsweise?
Ich denke, hier in der Kita die Schlosserarbeiten, die Handläufe. Hier haben wir einen sehr schönen Rhythmus der vertikalen Streben hinbekommen. Die sind nicht alle gleich, die einen stehen in diese, die anderen in die andere Richtung. Wir haben das auch gemacht, um weniger Stahl kaufen zu müssen … ich weiß aber nicht, ob es am Ende günstiger war!
Und gab es ein Detail, was Sie gerne umgesetzt hätten, das aber der Kostenbremse geopfert wurde?
Pflanztröge hätten wir gerne gehabt. In dem Spielraum. Jetzt haben wir dort Straßenlaternen, die wir als Effekt sehr erfolgreich sehen. Und dann haben wir Kleiderhaken vorgeschlagen, die wir einmal selbst entworfen haben. Die waren aber zu teuer.
Ihr habt sehr viel Farbe in die Kita hineingebracht …
Nur auf den Böden!
Die Frage bleibt aber: Muss Architektur für Kinder immer bunt sein? Machen die Kinder nicht bereits die Räume bunt?
Wir folgen hier ganz gerne dem Klischee. Ich glaube, Architekten sollten hier nicht architektonisch streng sein. Aber ja, es ist schwer zu sagen: bunt oder nicht bunt. Mit jedem neuen Projekt stellt sich diese Frage neu. Ich habe es meist erlebt, dass Kinder auf unsere Räume sehr pragmatisch reagieren. Wahrscheinlich werden sie das erst später erinnern, dass sie einmal in einem Raum waren, der grün war, groß war und Straßenlaternen hatte.
Sind Kitas bei Bolles+Wilson also immer bunt …
Der Außenraum ist grün, würde ich sagen!
Eine Kirche zur Kita umbauen, geht das? Werden hier nicht Kontinuitäten abgeschnitten, wird hier nicht Bedeutung verringert?
Bedeutung ist sicherlich sehr wichtig. Für die Gemeinde, die Menschen, die ja immer noch da sind und die Kirche jahrelang besucht haben. Für mich aber ist das Gebäude eine Art Objekt, ein Behälter, der eine gewisse räumliche Prägnanz hatte und hat. Aber es ist auch offen genug für weitere, auch ganz andere Nutzungen. Es gibt viele interessante Beispiele solcher Umprogrammierungen. Tate Bank Side in London, oder der Diokletianpalast in Split, der im Mittelalter zur Stadt umgewandelt wurde. Es gibt weitere Beispiele. Ein solcher Transformationsprozess ist etwas, das in der heutigen Zeit von Architekten thematisiert werden muss. Neubauen ist meist sehr uneffizient mit Blick auf Material- und Energieverbräuche. Aber leider ist die Umnutzung teurer als der Neubau.
Aber ist die Umnutzung über alles gesehen nicht doch die wirtschaftlichere Art des Bauens?
Ich glaube das gerne, aber ein Bauherr sieht das anders. Er muss ja die Folgekosten wie Abbruch oder Entsorgung nicht berücksichtigen.
Tut es einem Architekten, dessen größte Bauaufgabe vielleicht immer noch ein Kirchenbau ist, nicht weh, eine Kirche – zumindest deren Innenraum – zum Verschwinden zu bringen?
Le Corbusier hat doch Notre Dame du Haut und das Kloster Sainte-Marie de La Tourette gebaut, als Atheist!
Aber jenseits von persönlicher Befindlichkeit: Denkt man bei einer Aufgabe wie hier in Münster nicht immer auch die Kirche mit?
Vielleicht, im Hintergrund. Aber nicht so sehr das Liturgische, als vielmehr die Aura, die die Kirche heute immer noch hat.
Haben Sie den Rahmen, den der Bestandsbau gesetzt hat als hinderlich oder förderlich für den Entwurf empfunden?
Ich war dankbar über die Begrenzung durch das Vorgegebene. So konnten wir beispielsweise mit der Kombination Bestand und Einbauten sehr tiefe Fensterlaibungen erzeugen, die wir gerne aber eben auch nur sehr selten machen können. Kontextuelles Entwerfens schränkt natürlich ein, generiert aber auch neue Ideen.
Und wie fühlt es sich an, wenn vor allem die Kinder euren Entwurf mit aller Kraft beanspruchen?
Ich empfinde diese Angst vor dem Gebrauch von Architektur durch seinen Nutzer als ein großes Problem für unseren Berufsstand. Ich verstehe das absolut nicht, dass Architekten so unflexibel, auch so fundamentalistisch denken. Wenn die Nutzer das Gebaute verstehen und lieben, dann ist das viel interessanter als pure Architektur. Ich freue mich sehr, die Kinder hier zu sehen, wie sie durch alle Räume durchrennen. Ich würde gerne noch weiter arbeiten als eine Art Choreograph, mit Kindern auf den Wänden zu malen beispielsweise.
Gewöhnlichkeit, Alltäglichkeit ist sehr wichtig in der Architektur. Das kannst Du beispielsweise in dem Haus von Ray und Charles Eames sehen. Hier hat die Alltäglichkeit innen das Haus, seine Architektur insgesamt interessant gemacht.
Wurden, wo wir über die Bedeutung des Alltäglichen sprechen, die Kinder in die Planung miteinbezogen?
Wir haben anfangs Bilder von Kindern bekommen, wie sie sich den Innenraum beispielsweise vorstellen. Aber weil nicht von Anfang an klar war, welche Kita hier einzieht, haben wir das für kleinere Ideen zurückgelegt. Ich glaube nicht, dass die Kinder ihre kindliche Phantasie einbringen müssen. Wir Architekten sind hier gefordert, das Kind rauszulassen und weniger, andere Kinder zu analysieren!
Würden Sie die Kita in zwanzig oder dreißig Jahren auch wieder in eine Kirche zurückbauen?
Ja. Es gibt doch eine Verantwortung für die Arbeiten, die man in die Stadt stellt. Wir sind gerade dabei, für die Stadtbücherei neue Möbel zu planen, weil sich die funktionalen Dinge in einer Bücherei total verändert haben. Bei der Bücherei haben wir das Glück, einen Bauherren zu haben, der uns als Architekten immer noch respektiert als Mitspieler in der Lebensgeschichte des Hauses.
Mit Peter Wilson sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 27. Juni 2013 in Münster.