Heftpate Uwe Schröder, Bonn:
„Mauerwerk ist Handwerk“

Wenn wir das Wort „Mauer“ sagen, so ist vom „Steinbau“ die Rede, „von der steinernen Wand eines Hauses“ oder von der, einer „Stadt“, jedenfalls eines „Ortes“; wenn wir das Wort „Werk“ hinzusetzen, so ist hier – wiederum den Grimmschen Etymologien nach – auf eine schillernde Vielzahl von Bedeutungen hingewiesen: „Werk“ als „Geflecht“, also als Ordnung, „Werk“ als der „zu bearbeitende Stoff“, also als Material und „Werk“ als „Wirken“ und „Bewirktes“, also „als Ergebnis eines schöpferischen Tuns“: Mauerwerk also.

Von einem großen Protagonisten der Moderne lesen wir: „Architektur beginnt, wenn zwei Backsteine sorgfältig zusammengesetzt werden.“ Ein Lob der Fuge also und mithin auf die Ordnung, die sich mit Fügung der ersten Steine etabliert und die die Errichtung des ganzen Baus maßgeblich bestimmt. Diese Ordnung, die Ludwig Mies van der Rohe meinte, setzt Regelmäßigkeit voraus, die Existenz von Regeln also, die davon sprechen, was geht und was nicht geht. Ausnahmen sind hier inbegriffen und als Bestätigung der Regel der Ordnung weder fremd noch abträglich. Die Architekten aber wissen, dass das, was geht, dann und wann so gar nicht geht und, dass das, was nicht geht, schlussendlich dann doch auch geht. So oder so ähnlich ist das auch mit der Ordnung: Sie ist wichtig, aber an der nächsten Ecke versagt sie schon.

Hören wir auf den großen Kahn, den, der mit dem Stein spricht: „What do you want, brick?“ Und der Stein antwortet: „I like an arch.“ Ein Lob dem Stein also, und mithin auf das Material, das spezifische Eigenschaften besitzt und diese in die Gestaltung des ganzen Baus überträgt. Den Backstein, verallgemeinernd das Material – so das Credo Louis Kahns – solle man ehren und feiern und nicht hintergehen. Nur im Bogen kommt der Backstein über die Öffnung hinweg; aber das freilich wusste auch der große Protagonist, der seiner modernen Raumvorstellung wegen die gemauerte Wand mit der weiten Öffnung zusammenbrachte und dabei neben guten Gründen auch die Technik auf seiner Seite wusste. Und so ist das mit dem Material – eigentlich ähnlich wie mit der Ordnung – eine Wahrheit gibt es nicht, sondern nur eine Meinung.

Lassen wir aber noch den älteren Bekleidungstheoretiker zu Wort kommen: „Backstein erscheine als Backstein ...“ Ein parmenidisches Bruchstück, das nicht vom Sein des Dings spricht, nicht von der Fuge oder vom Stein, weder von der Ordnung noch vom Material. Der Akzent liegt hier auf dem „Erscheinen“, also auf der Spiegelung im Auge des Betrachters, auf Vorstellung und Wahrnehmung. Es ist erstaunlich, wie sich dieser in noch jungen Jahren geäußerte Satz Gottfried Sempers – schlussendlich – so nahtlos in dessen späteres ausgeklügeltes Gedankenkonstrukt einfügt, das einer gesellschaftsgebundenen und insofern symbolhaften Architektur den Weg gewiesen hat.

Erst das Verhältnis zwischen beiden, zwischen Mensch und Stein, das wir Maßstäblichkeit nennen, führt Ordnung und Material zusammen, lässt auch die weite Öffnung neben dem Bogen bestehen. Vom Anbeginn des Bauens und trotz der Industrialisierung oder der entwickelten Bautechnik hat der Ziegel es recht unbeschadet bis in die heutige Zeit geschafft. Noch immer sind Format und Gewicht der Hand geschuldet, die nach ihm greift. Greifen heißt zugleich begreifen. Wir müssen den Backstein richtig verstehen. Ob er lagert, bindet, rollt, steht oder ob er hängt: Der Backstein weist das Mauerwerk als Handwerk aus, gleichgültig, ob er einer Raumvorstellung wegen mittels Stahl und Beton über die weite Öffnung getragen werden muss oder ob er der Wahrnehmung nach eigenständig Bogen und Gewölbe aufspannt: „Backstein erscheine als Backstein ...“

Der Heftpate
Geboren 1964 in Bonn, studierte Architektur an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und an der Kunstakademie Düsseldorf. Seit 1993 unterhält er ein eigenes Büro in Bonn. Nach Lehraufträgen in Bochum und Köln war er von 2004 bis 2008 Professor für Entwerfen und Architekturtheorie an der Fachhochschule Köln. Seit 2008 ist er Professor am Lehr- und Forschungsgebiet Raumgestaltung der Fakultät für Architektur an der RWTH Aachen University. Als Gastprofessor lehrte er an der Università di Bologna (2009 – 2010), an der Università degli Studi di Napoli „Federico II“ (2016) und am Politecnico di Bari (2016).
www.usarch.de

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