Stuttgart 21 und kein Ende; oder doch?

Studie des Umweltbundesamtes fordert den Stopp von Stuttgart21 und anderer „Prestigeobjekte“

Dass gegen Stuttgart21 mobil gemacht wird, konnte man in den letzten Tagen sogar schon der Tagesschau entnehmen; womit das Thema auch für die Bundespolitik nicht mehr einfach verwaltet werden kann. Aktuell formierte sich ein Bündnis pro Moratorium unter dem wohlklingenden Namen „Stuttgarter Appell“, dem mittlerweile knapp 20000 Unterzeichner großes Gewicht verleihen. Dieser jüngsten Aktion geht es dezidiert nicht um den Erhalt des Bahnhofs oder den der alten Bäume im benachbarten Schlosspark, die Unterzeichner fordern ein Moratorium, das den unsinnigen Zwang zur Vollstreckung eines, wie der Architekt des Durchgangsbahnhofes, Christoph Ingenhoven, nicht müde wird zu betonen, „demokratisch gefassten Beschlusses“ durchbricht. Durchatmen, nachdenken, nachbessern, revidieren, das alles ist ja noch möglich.

Aber vielleicht gar nicht mehr nötig! Denn wie aus der der Redaktion vorliegenden 180seitigen Studie „Schienennetz 2025/2030“ hervorgeht, die im Auftrage des Bundesumweltamtes von der Berliner KCW GmbH erstellt wurde, wird Stuttgart21 als „reversibel“ bezeichnet; was nichts anderes heisst, als dass das Milliardenprojekt noch zu stoppen sei. Und mehr noch, die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass „Prestigeobjekte“ wie Stuttgart21 den „dringlichsten“ Ausbau des Güter- und Personenverkehrsnetzes der Bahn bis 2030 verhinderten: „Damit wiegen die Baukosten zweier „Leuchtturmprojekte“ wie Nürnberg—Erfurt—Halle/Leipzig und Wendlingen—Ulm mit Stuttgart21 zusammen 11 Mrd.Euro (Bundesanteil) genauso schwer wie die Ertüchtigung des gesamten Netzes für den Güterverkehr. Der verkehrliche Unterschied: Während die beiden Großvorhaben mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen einzigen zusätzlichen Güterzug auf die Schiene ziehen, sind die nach dieser Studie angelegten 11 Mrd.Euro in der Lage, auf eine Verdopplung der Verkehrsleistung hinzuarbeiten.“ (S. 120)*

Ausdrücklich kommt die Studie zu dem Schluss, dass „alle reversiblen Bedarfsplanvorhaben umgehend gestoppt werden [müssen], die keinen oder nur geringen Nutzen für den Güterverkehr entfalten. Politisch reversibel ist ein Projekt so lange, wie der Anteil der bereits angefallenen Kosten bei Projektabbruch in der Öffentlichkeit vertretbar ist. Dies gilt für die Projekte Stuttgart 21 (Bundesanteil) plus NBS [Neubaustrecken, Be. K.] Wendlingen — Ulm […]“ (S. 163)*

Mit Blick auf das Verfahren Stuttgart21 kommen die Verfasser der Studie zu dem vernichtenden Ergebnis, dass das „bisherige Prozedere […] ineffizient, intransparent und im Ergebnis willkür­anfällig [ist]. Empirisch lässt sich belegen, dass die Kosten eines Projektes vor der Aufnahmeentscheidung in den Bundesverkehrswegeplan BVWP systematisch untertrieben werden, der Nutzen hingegen in der Gegenrichtung überzeichnet wird. Keine der gebauten Schnellfahrstrecken erreicht heute an­nähernd die prognostizierten Zugzah­len im Schienengüterverkehr SGV oder Schienenpersonenfernverkehr SPFV. […] Sämtliche Berech­nungen sind in hohem Maße intrans­parent, zudem wird der verkehrliche Erfolg der Investitionen nicht ausgewer­tet. Die Projektauswahl entspringt kei­ner objektiven Engpass- und Schwach­stellenanalyse, sondern unterliegt erheblichen politischen Einflüssen. So werden auch Projekte aufgenommen, die ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von unter 1,5 aufweisen und im Zeitablauf bei objektiver Rechnung sicher unter 1 fallen.“ (S. 164)*

„Unterliegt erheblichen politischen Einflüssen“, diese Schlussfolgerung ist ja nicht neu, so zu lesen in einer Studie, die ein Bundesamt mit ihrer Veröffentlichung zu verantworten, das ist allerdings schon erhellend. Leider wird dieser Satz in keiner Studie zu lesen sein, die sich mit dem Abriss des Palastes der Republik und dessen Wiederaufbau in Form eines Berliner Schlosses befasst, hier träfen Stichworte wie „willküranfällig“, „intransparenz“, „politischer Einfluss“, „Nutzen-Kosten-Verhältnis“ oder „systematisch untertrieben“ in gleicher Weise den Kern der Sache: Jetzt bauen wir erstmal was Schönes! In aller Herrgottfrühe rückten vergangenen Freitag Bagger an und rissen ein kleines Vordach am Nordflügel herunter. Beißprobe? Zerreißprobe? In Stuttgart liegen die Nerven blank, das Geld aber nicht auf der Straße. Be. K.

Zu Stuttgart 21, mit Informationen zu Schwarzarbeit auf der Großbaustelle, hier ganz aktuell der Beitrag von Rüdiger Sinn, Stuttgart.

* Studie „Schienennetz 2025/2030 - Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutschland", erstellt durch die KCW GmbH im Auftrag des UBA

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