Kostengünstiger Wohnungsbau: Wie schaffen wir das?

Burkhard Albers, Landrat Rheingau-Taunus-Kreis:

„Urbanisierung, demografischer Wandel, neue Lebensmodelle und die derzeitige Flüchtlingssituation verschärfen die bestehende Wohnungsknappheit weiter - besonders in den Ballungsräumen. Aktuelle Schätzungen gehen von einem jährlichen Bedarf von über 500.000 Wohnungen aus. Dabei besteht dieser längst nicht nur für Sozialwohnungen, sondern auch für Menschen mit mittlerem Einkommen.

Die aktuelle Flüchtlingssituation ist für die Brisanz des Themas also nicht die alleinige Ursache, sehr wohl aber ein notwendiger Katalysator für ein konzertiertes Vorgehen von Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft. In den Bereichen Flächenbereitstellung, Planung, Genehmigung, Finanzierung und Ausführung muss es vorwärts gehen. Das zeigen seit Jahren Studien beispielsweise von Fraunhofer IRB.

Den beschlossenen Erleichterungen im Baurecht müssen weitere Anpassungen der Standards und vermutlich auch der Energieeinsparungsverordnung folgen. Hindernisse müssen beseitigt werden und die Verfahren spürbar beschleunigt. Neben der technischen Ausführungsoptimierung im Zuge einer Industrialisierung des Bauens, einer Steigerung der Flächeneffizienz und Methoden zur flexiblen Umnutzung des Wohnkörpers bedarf es zusammen mit etwaigen Fördergebern wie der KfW einer strategischen Steuerung der Vorhaben. Die private Investitionsbereitschaft muss durch Steueranreize wie einer Sonderabschreibung für Mietwohnungsneubau und einer Zurückhaltung bei der Grunderwerbssteuer durch die Länder gesteigert werden, um die aktuelle niedrige Marktzin-senphase zu kompensieren. Für Detaildiskussionen in der großen Koalition fehlt uns schlicht die Zeit.

Die Kommunen brauchen Instrumente wie die Fehlbelegungsabgabe, kommunale Investitionsprogramme, funktionierende Quartiersmanagements und vor allem die Weitergabe der Kompensationsmittel des Bundes durch die Länder. Auch darf die Eigenheimförderung nicht gegen den Mietwohnungsbau ausgespielt werden. Und zu guter Letzt könnte an den vergünstigten Verkauf von Bundesliegenschaften zum Zwecke des kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsbaus gedacht werden.

Mit diesem Bündel an Maßnahmen wäre schon viel gewonnen und wir auf einem guten Weg.“

Dipl.-Ing. Arch. Carsten Venus, Geschäftsführung blauraum Architekten GmbH, Hamburg:

„Die Immobilienwirtschaft braucht für die Erstellung ihrer Gebäude einen langen Vorlauf - von der Projektentwicklung, Planung, Prüfung und Erstellung sind unterschiedlichste Vorgänge erforderlich. Die dann bezugsfertigen Wohnungen kommen immer 3 - 4 Jahre nach der festgestellten Notwendigkeit auf den Markt. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen auch in der Planung schneller und anpassungsfähiger auf den jeweiligen Bedarf reagieren. Eine Grundauslastung in der Erstellung von Wohnungen ist dann die andere Wahrheit, um aus der zyklischen Unterproduktion heraus zu kommen. Eine ständige Bautätigkeit von Wohnungen über den staatlich geförderten Wohnungsbau ist erforderlich.

Raus aus dem Notfall-Modus, rein in den langfristigen sozialen Wohnungsbau! Wohnungsbau ist immer eine Investition über mehrere Generationen hinweg. Anspruch auf indivi-duellen Ausdruck und öffentlicher Beitrag für die Stadt von Morgen müssen sich die Waage halten. Unsere erreichten Ansprüche an gesundes Wohnen (Klima, Schallschutz, Behaglichkeit) und unsere gesellschaftlichen Ziele an ressourcensparendes Wirtschaften (EnEV, EEG etc.) sind keine Einsparpotentiale, sondern Lebensgrundlage zukünftiger Generationen.

Lebenszykluskosten sind wichtiger als Baukosten!

Die historischen Lösungsansätze im einheitlichen Massenwohnungsbau sind als Fehler in allen Belangen hinreichend analysiert und diskutiert worden. Wir benötigen mehr Beteiligung und Stärkung der Eigeninitiative, Entwicklung und Einbeziehung von Nicht-Systemischen Lösungsansätzen.

Wohnungsbau braucht individuelle Vielfalt und nicht kontrollierte Einheitlichkeit!

Die Aufgabe ist nicht der Bau von Wohnungen – es ist die Weiterentwicklung des Wohnungsbaus: bezahlbar, integrativ mit gemischter Nutzung, vielfältig. Diese Aufgabe bedarf der vernetzten Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Alt-Bürger und Neu-Bürger, zwischen Behörde und Privat-Initiative, zwischen Privatwirtschaft und staatlichen Verwaltungen.“

Dipl.-Ing. Architekt Hans-Otto Kraus, Geschäftsführer GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH:

„Die Ausarbeitung der Baukostensenkungskommission zeigt deutlich auf, wo die Kostentreiber im Wohnungsbau und die Hindernisse für schnelles und kostengünstiges Bauen liegen.

Woran wir als Wohnungsunternehmen festhalten müssen ist, dass beim schnellen Bauen auch dauerhafte Qualität entsteht. Nicht nur im technischen Sinne, sondern auch bezüglich Städtebau und Architektur. Die Verknüpfung dieser Faktoren erschwert die Zielerreichung zusätzlich.

Wie schaffen wir das? Nur in einer gut organisierten Projektentwicklung unter Beteiligung aller maßgeblichen Stellen von Anfang an ist ein Erfolg wahrscheinlich. Das heißt, die gemeinsame vereinbarte Zielsetzung mit Behörden und Nachbarn (!) ist eine Voraussetzung und das disziplinierte Planen und Durchführen eine weitere. Eine große Verantwortung liegt beim Bauherren, der  im Sinne einer stringenten Projektentwicklung und -leitung gut organisiert sein muss. Dazu gehört u.a. das richtige /geeignete Planungsteam zusammen zu setzen. Auch über gewollte kostenrelevante Standards muss sich der Bauherr frühzeitig im Klaren werden.

Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist die frühzeitige Kooperation mit der Bauwirtschaft. Nur mit dem Wissen über „den“ Baubetrieb, kann man in der Planung Kosten und Bauzeiten steuern. Die GU-Ausschreibung allein genügt hier nicht! Die kostenorientierte Planung kompetenter Planer weist den Weg zum Ziel.

Die maßgeblichen Faktoren sind im Bericht der Baukostensenkungskommission aufgezeigt. Die Erkenntnisse müssen nun umgesetzt werden.”

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, Universität Siegen:

„Karl Valentin sagte: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“ Wir müssen neue Wege gehen: politisch, städtebaulich, baurechtlich, normungstechnisch, planungskulturell und gesellschaftlich. Bezahlbares Wohnen muss ein Thema der Sozialpolitik werden. Kommunen sollen sozialem Wohnungsbau Grundstücke kostenneutral überlassen dürfen (Gemeindeordnung, EU-Recht).

Unser veraltetes Baurecht kann den Bedürfnissen der Menschen nicht mehr dienen. Nachverdichten ist z. B. sinnvoll, baurechtlich aber nicht implementiert. Im technischen Ausbau stiegen die Kosten um 45 % (in 15 J.). Deregulieren ist dringend notwendig.

Sind innerstädtisch Sockelzonen nicht günstiger als Tiefgaragen; das Parkplatz-Angebot nicht reduzierbar? Durch Energievorschriften sank der Energiebedarf pro m² stark, aber die Wohnfläche pro Kopf stieg um 100 %. Energetisches Nullsummenspiel und doppelte Baukosten! Die Holländer wohnen auf weniger Fläche günstiger, aber nicht schlechter.

Gelingt es, ausführende Firmen schon bei der Planung einzubinden, sinken die Baukosten. Dazu sollte man Planung und Ausführung nicht mehr strikt voneinander trennen.

Als Planer bleibt es unsere Verantwortung, für Innovationen zu sorgen: Systembau, Vorfertigung, Baukastensysteme, Montage-/Ersatzfreundlichkeit sind Stichworte. Individualität (Akzeptanz fördernd), z. B. über Fassadengestaltung, ist eine technische Frage. Und wem sollen diese technischen Herausforderungen besser gelingen als uns Deutschen – der Ingenieur-Nation schlechthin?“

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur:

„Zeitdruck und Nachfrage sind ungünstige Voraussetzungen für schnellen und kostengünstigen Wohnungsbau. Allein die Baulandpreise sind zuletzt doppelt so stark gestiegen wie die Baukosten und übersteigen längst die Einsparpotentiale der Baukostensenkungskommission. Diese gehen, auch aus Sicht der Baukultur, in die richtige Richtung: ganzheitliche Planung insbesondere in der Phase Null, kompakte Gebäude und flexibel nutzbare, intelligente und flächensparende Grundrisse, Wegfall der Stellplatzpflicht, Ausstattung mit Augenmaß bei gleichzeitig hochwertiger Gestaltung durch Architekten.

Stellt sich also die Frage, wie gewinnen wir das Rennen gegen die Zeit? Sicher nicht durch „Panikkäufe“ pauschaler und ungestalteter Angebote von Bauträgern. Hybride Ausbaukonzepte zur Sofortunterbringung von Flüchtlingen und späterem (sozialen) Wohnungsbau sind machbar, werden in guter Qualität aber die Ausnahme bleiben. Auch Amphibienfahrzeuge haben sich zur Lösung der Mobilität zu Lande und auf dem Wasser nicht durchgesetzt.

Deshalb kluge Provisorien, befristet auf drei bis fünf Jahre und parallel einen nachhaltigen Wohnungsbau, der nicht nur alle Integrationsnotwendigkeiten und Wohnfolgeinfrastrukturen beachtet, sondern vor allen Dingen gut gestaltet ist. Da, wo aus Gründen der Flächenverfügbarkeit und Baulandpreise auch Neubausiedlungen und Gartenstädte erforderlich werden, können nur durch die Entkoppelung von Sofortunterbringung und Siedlungsbau neue Problemgebiete vermieden werden.“

Dipl.-Ing. Architekt Stefan Forster, Stefan Forster Architekten GmbH, Frankfurt a. M.:

„Es mag vielleicht etwas banal klingen, aber das alte Bauherrndreieck, das besagt, dass von den drei Anforderungen an das Bauen „schnell - billig - gut“ immer nur zwei zusammengehen, hat nach wie vor seine Gültigkeit. Also: schnell und billig ist nicht gut, schnell und gut ist nicht billig. In der derzeitig überhitzten Diskussion über Wohnraumbeschaffung dürfen wir die Fehler der Nachkriegsjahre, in denen sehr schnell minderwertig gebaut wurde, nicht wiederholen. Unsere Städte und vor allem die Besitzer dieser Häuser, in der Regel Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften, leiden unter diesen Hinterlassenschaften noch heute.

Wir bauen bereits jetzt zu billig! Landauf landab entsteht ein identischer billig WDVS-Brei, der unsere Städte und Kultur zerstört. Wo können wir ansetzen?

Die Zeitläufe für Planung und Genehmigung lassen sich nicht verkürzen. Die Bauzeit, und damit auch die Kosten, lassen sich durch die Rückkehr zum industriellen Bauen sicher reduzieren. Industrielles Bauen ist, um Einsparungen zu erzielen, nur bei großen Stückzahlen sinnvoll. In der Konsequenz bedeutet dies, dass wir über hochverdichtete (mind. 7- geschossig) Stadterweiterungen nachdenken müssen. Diese müssen aus einer Hand, d. h. von einem Bauherrn, idealerweise von den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, errichtet werden. Hohe Verdichtung hat den weiteren Vorteil, dass sich damit der Anteil des Grundstückspreises auf die Wohnfläche reduzieren lässt. Hohe Verdichtung ist die Antwort auf die gestiegenen Grundstückspreise. Das Bauen muss natürlich wieder einfacher werden, die teilweise absurden Anforderungen an Wärmeschutz, Schallschutz, Brandschutz, Barrierefreiheit, Bauordnung usw. müssen drastisch zurückgefahren werden. In diesem Falle ist ausnahmsweise einfacher auch kostengünstiger, aber nicht schlechter.“

Dipl.-Ing. Hartmut Miksch, Architekt BDB, Mitglied im Bundespräsidium des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V (BDB):

„Schnelle Schaffung von kostengünstigen Wohnungsbau: Wie schaffen wir das? Schlichtwohnungen sind teuer, nachhaltiger Wohnungsbau ist preiswert!

Alles beginnt beim Grundstück. Wir brauchen preisangepasste Grundstücke. Hier sind die Kommunen und übrigen öffentlichen und kirchlichen Grundstückseigentümer gefordert, Grundstücke zu Preisen zur Verfügung zu stellen auf denen preiswerter Wohnungsbau erst möglich wird.

Durch Nachverdichtung vorhandener Wohnsiedlung, Baulückenaktivierung und Aufstockung von Gebäuden, natürlich nur dort wo es städtebaulich verträglich ist, entstehen keine neuen Grundstückskosten aber preiswerter Wohnraum. Dies setzt aber voraus, dass die Kommunalpolitik hinter solchen Entwicklungen steht und Bauherrn und Planer nicht “im Regen“ stehen lässt, wenn es eng wird.

Minimierung von Erschließungsflächen zur Wohnung und in der Wohnung, kompakte Baukörper mit hoher architektonischer Qualität, die im Übrigen auch energetisch richtig sind, flexible Wohnungsgrößen, gestaltete Freiräume. Dies alles sind Stellschrauben die zum täglichen Handwerkszeug der Planer gehören.

Zu einer intelligenten Wohnungsbaupolitik gehört auch ein sensibler Umgang mit Verschärfung von Vorschriften, und die Überprüfung des Erfolges, zum Beispiel der bei der EnEV.

Was wir nicht brauchen sind Schnellschüsse und Schlichtwohnungen. Diese werden die Problemzonen der Zukunft.

Kostengünstig Bauen ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller am Bau Beteiligten einschl. der Politik. Wenn alle gemeinsam ihre Sachkenntnis und Willen einbringen gelingt es!“

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