Mehr wäre zuvielHOF8, Weikersheim
Alle wollen nachhaltig sein. Das ist manchmal ganz schön anstrengend. Und aufwändig. Und am Ende
weniger als das, was schon da war. Aber das muss man erst einmal sehen können: das Potential. Im
Tauberfränkischen gelang das, beispielhaft.
Nachhaltig bauen ist eine Haltung
Wir folgen viel zu viel so genannten Trends. Einer davon ist die neue Lust auf die Stadt. In Deutschland jedenfalls ist das, was in weniger durchkapitalisierten Ländern der Welt der Drang zur ökonomischen Teilhabe ist und Voraussetzung dafür, zu überleben, eher ein Luxus. Denn mit der Ballung von Menschen in Ballungsräumen steigen die Volumen der Stoffströme, steigt der Aufwand von Erschließung und vorbereitenden Verdichtung des spärlicher werdenden Vorhandenen.
Man muss aber gar nicht in die Stadt ziehen. Diesen neuen Trend, der im Grunde eher ein Pragmatismus ist, hat beispielsweise die Stiftung Baukultur aktuell aufgenommen: Mit der Baukulturwerkstatt „Vitale Gemeinden“, im Untertitel „Das Land hat Zukunft!“ lenkt die Bundes-initiative den Blick auf den Bestand. Auf dem Land. Dass die Veranstaltung in Kassel das mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2014 ausgezeichnete Projekt HOF8 nicht auf dem Schirm hatte, spricht für das Projekt der Umnutzung und des Umbaus der ehemaligen landwirtschaftlichen Hofanlage im Fränkischen (ein Interview dazu in DBZ 2 | 2015). Denn das Selbstverständliche und nachhaltig Geplante ist meist erst auf dem zweiten Blick attraktiv genug für die auf Bilder kaprizierte Medien- und damit Multiplikatorenmaschinerie.
In Schäftersheim, einem Vorort von Weikersheim, entstanden im Herzen einer über die Jahrhunderte gewachsenen dörflichen Struktur ein Bürogebäude, eine Hebammenpraxis und zwei altersgerechte (Senioren-)Wohnungen. Nicht einfach so, weil es der neue Trend „Landlust“ fordert, sondern weil die Bauherrin ihre Kindheit nur wenige Meter von dem heute „HOF8“ genannten Ensemble entfernt erlebte und gleichsam mit der Hofanlage erwachsen geworden ist. Den Hof zu kaufen und ihn nicht als Renditeprojekt monofunktional zu entwickeln, das entspringt einer Haltung. Und sicherlich auch der Erfahrung und Expertise einer Professorin, die nicht bloß theoretisch an der Hochschule, sondern ganz praktisch vor Ort seit mehr als 15 Jahren ein Planungsbüro mit den Schwerpunkten Kommunalentwicklung, Umweltplanung und Erneuerbare Energien betreibt.
Ausgangssituation
In Schäftersheim war der HOF8 einer von zwei großen, ehemals landwirtschaftlich genutzten Hofanlagen. Dieser sollte nach langem Leerstand abgerissen werden, der Baugrund hätte Platz geboten für drei Einfamilienhäuser. Martina Klärle, Geodätin, und ihr Bruder, Rolf Klärle, Architekt, erkannten das Potential des Ortes. Frau Klärle und ihr Ehemann kauften den teils schon maroden Bestand. Schnell kris-tallisierte sich das Nutzungskonzept für Haupt- und Nebengebäude heraus und schnell war auch klar, dass mit Blick auf ökonomische Ressourcen und dem Anspruch, Vorbildliches zu schaffen, der Umbau bestandsorientiert und zweckmäßig zu betreiben und zu planen war. Dabei sollte
Nutzungskonzept
Die Grundidee war, Raum zu schaffen für möglichst viele Lebensbereiche. So wurde das ehemalige, zweigeschossige Bauernhaus und das komplette Dachgeschoss zum Bürogebäude der Klärle GmbH für ca. 15 MitarbeiterInnen umgebaut.
Gestaltungskonzept
Angestrebt wurde von Bauherrin und Architekt ein möglichst einheitlich wirkendes Ensemble, das die alte Struktur des Hofes direkt widerspiegelt. Die Holzschalung für die Fassaden – ursprünglich mit Holzpaneelen geplant, die allerdings aus Spanien geliefert worden wären und dem Bürohaus eine zu sehr städtische Anmutung gegeben hätten – wurde mit Holz aus der Region realisiert. Und zum Teil (Bürohaus) bis auf die (nördliche) Dachfläche hochgezogen (heimische Douglasie, fein gesägt, unbehandelt). Das und beispielsweise auch die unbehandelten Holzschiebeläden vor den Fenstern binden die Umbauten in den Ortskern ein. Ohne ihre Herkunft zu verschleiern sind sie als Weitergebautes sofort identifizierbar, auch über die dunkel schimmernden Solarflächen, die bündig zu Ortgang und Traufe einen homogenen Dachabschluss bilden. Weil die ursprüngliche Putzfassade nun hinter einem vertikal ausgerichteten Holzlattenvorhang verschwunden ist, wurde die Substanz der ursprünglichen Fachwerkkonstruktion innen sichtbar gelassen. Gesäubert und weiß lasiert zeigen die Außenwände innen ihre Machart und damit ihr Herkommen. Auch die Grundrisse (des Bauernhauses) wurden in ihrer Struktur erhalten, womit auch hier das Original gegenwärtig bleibt.
Altes Steinpflaster wurde aus- und wieder eingebaut. Natursteinmauern und die zahlreichen Sockel und Außentreppen wurden aus Abbruchmaterial hergestellt, Holzreparaturen mit Bauholz aus alten Gebäuden der Umgebung ausgeführt. Die alten Rahmenfüllungs-Türen wurden neu auf- und wiedereingebaut.
Zur Gestaltung des Ensembles war es aus Planersicht ebenfalls wichtig, den
L-förmigen Hof zwischen Bürohaus und den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden als öffentlichen Fußweg anzubieten. Der alte, für das Energiekonzept reaktivierte Brunnen vor der zur öffentlichen Nutzung vorbereiteten Scheune ist dabei sichtbarer Anker- und Drehpunkt dieses neuen, sehr intimen Platzes mitten im Dorf.
Energiekonzept
Der Gebäudebestand wurde grundlegend saniert. Die Gebäudehüllen sind von außen optimal wärmegedämmt, wobei darauf geachtet wurde, den Bestand zu schonen, um das Potential der Lageenergie möglichst hoch zu belassen. Die Grundversorgung mit Wärme erfolgt über eine zentrale Grundwasserwärmepumpe, für die der ehemalige Brunnen des Hofes wieder aktiviert werden konnte. Über ein Nahwärmenetz werden die einzelnen Gebäudeteile mit Wärme versorgt. Das Bürogebäude ist mit einer Lüftungsanlage und einer intelligenten Regelungstechnik für die optimale Nutzung der Heizenergie ausgestattet. Zusätzlich wird die Abwärme aus dem Rechner- und Technikraum genutzt. Auf den großen, der hochstehenden Sonne zugewandten Dachflächen sind vollflächig PV-Module angebracht. Erste Auswertungen des Solarstromertrags ergeben jetzt schon Pluswerte, die deutlich über den errechneten liegen. Der Überschuss wird ins Stromnetz eingespeist, geplant ist auch eine Direktversorgung der dem Grundstück anliegenden Nachbarhäuser. Zwei Ladestationen für Elektrofahrzeuge stehen allen MitarbeiterInnen kostenfrei zur Verfügung, aktuell wird überlegt, vorhandene Autos mit Verbrennungsmotoren durch ein Carsharing mit E-Autos zu ersetzen. Gerade wird zudem evaluiert, ob eine zusätzliche Einbindung einer exemplarischen Kleinwindradanlage sinnvoll ist.
Heute ist der HOF8 selbstverständlicher Teil des größeren Bestandes. Dass er eine PlusEnergie-Architektur ist, sieht man ihm nicht an. Dass er eine nachhaltige Architektur ist, spürt man an vielen Stellen. Mehr wäre zu viel geworden, zu viel Nachhaltigkeit kann ein gut gemeintes Projekt eben ganz schnell auch zu wenig nachhallen lassen. Be. K.
Weikersheim
Baubeginn: 1 2013, Fertigstellung: 6 2014
Gebäudekenndaten
Grundstücksgröße ca. 2000 m²
Bauvolumen aller Gebäudeteile zusammen ca. 5600 m³
Nutzflächen insgesamt ca. 1300 m²
Büroflächen 300 m²
Hebammenpraxis 200 m²
Seniorenwohnungen zusammen 250 m²
Sonstige Flächen Scheune 575 m²
Projektkosten ca. 1,8 Mio. €
Energiebilanz (gesamt)
Produktion Solar: 68850 kWh/a
Produktion Wind: 5000 kWh/a
Verbrauch Strom: 28000 kWh/a
Verbrauch Heizung: 7000 kWh/a (Wärmepumpe COP 4,5)
Verbrauch Kfz: 5000 kWh/a
Überschuss gesamt: ca. 33000 kWh/a