Was Baumaterial mit Verantwortung zu tun hat
„Material“ … da klingt „Materie“ mit. Und „Materie“ stand einmal für alles, was ist. Auch für die Luft, die die Vorfahren eher als das Nichtmaterielle verstanden, das Geistige. Oder das Flüchtige, aus dem ein Haus beispielsweise zu bauen nur den Dichtern gelingt. Ein solches Haus aus Luft ist das Luftschloss, Synonym für einen Traum, den sich zu erfüllen man lieber ließe, denn schnell ist ein solch schillernder Traum wie eine Seifenblase geplatzt.
Der Mensch hängt am Material, wie er am Materiellen zu hängen scheint. So wie das Schwert des Damokles am Pferdehaar: Alles hängt (davon ab), wir wissen bloß nicht, wie lange noch. In Aachen, an der RWTH, gab es im Januar eine Tagung, die unter dem Begriff der „Identität“ den Fragen nach dem Kern der Disziplin und ihren fundamentalen Dimensionen nachging. Weil sich doch die Architekturdisziplin im Zerfall befinde, wie die Veranstalter glauben. Sie meinten damit: Identitätsverlust.
Doch worüber definiert sich ein Berufsstand, den es seit Vitruvius Pollio nachweislich mindestens seit 2000 Jahren gibt und der sich in allem (nach Vitruv) an der Dreieinigkeit Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit) zu orientieren habe bei jedem Bauen? Er definiert sein Tun, so die Veranstalter der Tagung, die im letzten Jahr startete und im kommenden ihre Fortsetzung haben soll, über die Begriffswelten Ort (Tagungsthema 2017), Material (Tagungsthema 2018), Gebrauch, Räumlichkeit, Konstruktion, Anmutung etc. Womit Handlungsfelder beschrieben sind, auf denen die Architekten ihre Kompetenz ausspielen können sollten. Aber können sie das noch?
Zur Tagung kamen AFF Architekten, Almannai Fischer, Baumschlager Eberle, Beat Consoni, Peter Böhm, Bruno Fioretti Marquez, Brückner & Brückner Architekten, Max Dudler, Florian Nagler, Gigon Guyer, Peter Grundmann, Heide & von Beckerath, Hild und K, Kleihues + Kleihues, Hans Kollhoff, Thomas Kröger Architekten, Lederer Ragnasdóttir Oei, Christoph Mäckler, Meili Peter
Architekten, Modulorbeat, Rolf Mühlethaler, Günter Pfeifer, ROBERTNEUN, Carsten Roth Architekt, Sauerbruch Hutton, Springer Architekten, Staab Architekten und Wandel Lorch Architekten. Den Einführungsvortrag hielt Wolfgang Pehnt. Und alle brachten je eines ihrer Projekte mit, Architekturen, die für eine Haltung sprechen sollten, für oder wider dieses oder jenes Material oder für alle.
Die meisten dieser Projekte sprachen tatsächlich vom Umgang mit Material und der war meistens ein pragmatischer. Andreas Hild überspitzte diesen Pragmatismus mit einer Ist-mir-ganz-egal-Haltung, Hauptsache sei doch, das von ihm gewählte Material erfülle seinen Zweck. Ja. Aber: Wie gut erfüllt es den? Mit welchem Aufwand wie lange? Hätte es eine Alternative gegeben? Und wenn ja: Warum die nicht? Jórunn Ragnarsdóttir sprach sich ebenfalls für jedes Material aus; nur bitte kein Aluminium! Aluminium werde umweltzerstörerisch gewonnen. Diese für sie jüngere Erkenntnis brachte sie offenbar aus Island, ihrer Heimat mit, wo seit mehr als zehn Jahren in der Gesellschaft um das Für und Wider von Aluminium-Produktion im eigenen Land heftig gestritten wird. In wesentlich entfernteren Ecken dieser Welt, in China, Australien oder Indien, wird seit Jahrzehnten Bauxit im großflächigen Tagebau gewonnen und über die Umweltschäden wird seit ähnlich langer Zeit geschrieben.
Florian Nagler glänzte mit zünftiger Zimmermannsarbeit im Bestand, also mit der Minimierung von Verbundmaterialien und der Schonung der Ressourcen durch Wiederverwendung. Baumschlager Eberle überzeugte mit Low Tech in einem Gebäude, das High Tech visualisiert, Almannai Fischer zeigten wie Florian Nagler ebenfalls viel Holz für ihre Turnhalle auf dem Lande, diese durfte aber über Nagelplattenverbinder und versteckte Betonträger eine Filigranität erreichen, die aufregend schön zu nennen ist.
Helga Timmermann (Hans Kollhoff) überraschte durch den Tusch in ihrem Vortrag, als die Fassade eines Geschäftshauses vor und nach dem Umbau gezeigt wurde: Vorher war es mehr Architektur. Der Materialeinsatz, der dem Neubau gediegenen und vor allem his-torisierenden Glanz verleihen soll, war sicherlich enorm und wird wohl nur durch die mögliche Wertsteigerung der Immobilie gegenzurechnen sein.
Aber wurde in all diesen Projektvorstellungen das Allgemeine und Universelle, wurden die „elementaren Aspekte der Architektur“ (Veranstalter) deutlich, geschweige denn überhaupt angerissen? Sie wurden nicht. Dafür standen utilitas, firmitas, venustas (was war das noch gleich?) über allem, aber – was mit Blick auf die aktuelle Debatte mehr als überraschte – kein digitalitas.
Materialnormen, Materialmoden: Wird es in Zukunft noch eine Wahl geben?
Denn machen wir uns nichts vor: Sollte es in 30 Jahren noch entwerfende und planende Architekturbüros geben, so werden die gar nicht mehr in der Lage sein, Baumaterialien so einzukaufen, wie man das – bereits eingeschränkt – heute macht. Denn mit der Durchdringung einer endgültig globalisierten Bauwirtschaft durch globalisierte Material- und Prozessketten, sämtlich zentral gesteuert durch einen globalen BIM-Standard, wird die Produktpalette schrumpfen. Wobei nicht klar ist, ob diese Schrumpfung an eine immer schneller sich wechselnden Materialmode gekoppelt ist, die mal Holz, dann wieder Beton, dann wieder Glas und bald sicherlich Kunststoffe zu den Materialien erklärt. Auch ist nicht klar, ob diese Architekturmoden den Prototypen à la Rem Koolhaas, BIG oder Herzog & de Meuron folgen oder ob nicht auch diese Avantgarde den Entwicklungen hinterherläuft, die die Industrie vorgibt. Und das muss gar nicht die Baustoffindustrie sein, die hier schon immer sehr konservativ unterwegs ist, die Impulse kommen möglicherweise auch von der (nicht minder konservativen) Automobil- und Bekleidungsindustrie, die aufgrund wesentlich kürzerer Produktzyklen wesentlich erfindungsreicher sein muss. Was nicht „innovativer“ heisst.
Vielleicht lautet in den angesprochen 30 Jahren die Frage auch gar nicht mehr, welches Material zu welchem Projekt passt, sondern: Wie kann ich das Bauteil Fenster konfektionieren, damit es eine Wohnhausfassade wie eine Wohnhausfassade aussehen lässt und nicht wie die eines Verwaltungsbaus? Muss man dafür Archiktektur studiert haben?
Mies van der Rohe vs. Venturi
Nein, die Frage, ob wir das alles brauchen, was uns gezeigt wurde, wurde nicht gestellt. Dafür waren auch zu viele Architekten anwesend, die davon leben, dass sie bauen. Vielleicht wäre die Frage (plus Antwort) schön gewesen, ob ein Less is more am Ende nicht doch die vielversprechendere Perspektive ist, als ein Less is a bore. Denn auch wenn Peter Grundmanns „Haus Neiling II“ gemessen an seiner Grundfläche ein Low Budget-Projekt war, so sind die 110 m² Wohnfläche für eine Person, trotz aller alternativer Entwurfs-, Kon-struktions- und Realisierungsmethoden, ein ziemlicher Materialaufwand und Flächenverbrauch. Weniger könnte mehr sein, auf den ersten Online-Bericht über den Kongress auf DBZ.de schrieb mir die Firma Zweieck-Haus aus Berlin, dass sie noch niemals zuvor eine so offene Kritik am „archaischen Bauwesen“ gelesen habe; ich beklagte mich darüber, dass auf der Tagung nicht ein einziges Mal über Materialverzicht gesprochen worden war. Dass damit der totale Verzicht gemeint war, musste Zweieck-Haus dann wie schon die Architekten in Aachen ignorieren.
Material ist. Aber nicht unschuldig, ehrlich oder sonstwie moralisch
Dann kam irgendwann das Thema Material-eigenschaften auf. Nicht in dem Sinne, ob Material spröde oder wärmedämmend, ob
es recyclingfähig oder bereits wiederaufbereitet ist, sondern, ob das Material gut oder schlecht sei. Moralisch gesehen eben. Dabei ist Material schlicht das, was es ist. Gut oder schlecht geeignet für einen Zweck. Zwar kann man aus den meisten Materialien mit gewisser Festigkeit ein Haus bauen, aber ob diese auch die am besten geeigneten sind? Hier nun könnten in ganz zentraler, in grundsätzlicher Weise Architekten auch in Zukunft noch die wesentliche und möglicherweise unverzichtbare Schnittstelle sein zwischen Auftraggeber und … Gesellschaft?! Sie könnten hier Verantwortung übernehmen. Auch das ein Stichwort, das man im Zusammenhang mit dem Material erwartet hatte, aber auch hierzu kam nur ganz am Rande
etwas. Die Architekten könnten also der Bauherrschaft sagen, dass das von ihnen geforderte Haus am besten mit diesem oder jenem Material realisiert werden kann. Erstens, weil seine Gewinnung keine Minusbilanz in der Kreislaufwirtschaft darstellt, weil es nicht krank macht in der Herstellung, dem Nutzen und der Rückführung in die Kreisläufe, weil es einfach und nicht intelligent ist aber intelligent eingesetzt wird, weil seine Eigenschaften grundsätzlich verstanden werden und es also am richtigen Ort sitzen und die Aufgaben erfüllen kann, für die es ausgewählt wurde.
Zweitens, weil sein Einsatz wirtschaftlichen Prämissen zu verdanken ist, die sich nicht nach dem billigsten Angebot auf dem Weltmarkt richten. – Billig deshalb, weil die Qualität nicht stimmt, Gewährleistungen schwer erstreitbar sind oder weil die Gewinnungskosten allein zu Lasten der Produzenten vor Ort gehen: Weil es dort keine Umweltauflagen gibt, dafür extrem niedrige Löhne, generell schlechte Arbeitsbedingungen, rücksichtslosen Raubbau etc. Das alles zusammengenommen fließt nicht oder nur marginal in die Warenrechnung ein.
Und drittens, weil es eine Qualität hat, die der digitalen Auflösung analog gegründeter Gewissheiten etwas entgegensetzen kann: Dauerhaftigkeit, Haptik, Klang, Gewicht und kulturelles Vertrautsein (grundsätzliches Verständnis).
Das Material und die Verantwortung:
der wütende Architekt
Vor Jahren schrieb ich einmal kritisch über die Architektur eines Architekturbüros in Frankfurt a. M. Kaum war der Beitrag online, da klingelte das Telefon: Was ich mir denn denken würde! Er sei verantwortlich für zig Angestellte und mein Text würde ihn in Teufels Küche bringen bei seinen Auftraggebern. Dieser Aufschrei ist möglicherweise nachvollziehbar, doch wie sähe das aus, wenn man kritisch über die Wahl eines Baustoffs schreiben würde? Über den sich immer noch steigernden Einsatz von Beton beispielsweise? Welcher Bauherr würde da dem Büro den Rücken kehren? Über den in gleicher Weise fragwürdigen Verbrauch von Polystyrol auf Hauswänden scheint sich so langsam die Meinung zu ändern, die Blicke – auch die der Investoren – werden kritischer. Tatsächlich haben die meisten Architekten, die gegen PS-Verklebungen auf Wänden waren, mit baukulturellem Niedergang argumentiert, mit Klopfversuchen das Hohlsein der Architektur zu Gehör gebracht. Aber gemacht haben es die meisten. Man sei ja verantwortlich für die Mitarbeiter … stimmt.
Aber ist nicht jede Kleiderwahl, jede Wahl der Nahrung mittlerweile eine geworden, die Verantwortlichsein impliziert? Die Fragen wo, wie, mit welchen Zusätzen produziert, zu welchen Arbeitsbedingungen etc., alles das ist längst in vielen Lebensbereichen angekommen. Beim Bauen schauen meist die Bauherrn auf die Gütesiegel.
Auf dem Deutschen Architektentag 2011
in Dresden hat sich die Bundeskammerversammlung, das höchste Beschlussorgan der deutschen Architektenschaft (dazu gehören Sie doch auch, liebe Leser!), also Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner „ausdrücklich zu ihrer Verantwortung für die ganzheitliche und nachhaltige Gestaltung der gebauten Umwelt“ bekannt. Und da spielt die Materialwahl wohl eine ganz entscheidende Rolle! Tatsächlich bleibt am Ende der Materialverzicht als das beste Bauen. Oder doch zumindest das Bauen mit weniger: weniger Höhe, weniger Fläche, weniger Fokus auf wenige Städte, weniger Ins-tallation, weniger Transport, weniger Mix, weniger Energie, weniger Spekulation und vor allem: weniger Ablenkung von der Frage, was wir denn brauchen, um beispielsweise zufriedener zu sein! Be. K.