Weniger Material heisst der Baustoff der Zukunft
Auf der Tagung „Identität der Architektur“ Ende Januar 2018 an der RWTH Aachen fragten die Veranstalter in der zweiten Auflage nach der Bedeutung des Materials für einen ganzen Berufsstand 06.02.2018„Material“ … da klingt nicht ohne Zufall „Materie“ mit. Und „Materie“ stand einmal für alles, was ist. Auch für die Luft, die unsere Vorfahren eher als das Nichtmaterielle verstanden, das Geistige. Das Flüchtige, aus dem ein Haus beispielsweise zu bauen, nur den Dichtern gelänge. Ein Haus aus Luft war das Luftschloss, Synonym für einen Traum, den sich zu erfüllen mal lieber ließe, Luftschlösser sind sehr fragil und standen und stehen heute noch für den schönsten Traum: den naiven.
Aber dann entdeckten wir die Antimaterie und mit dieser Entdeckung war die Herrschaft des Materials über das ganze Sein irgendwie entwertet. Die Physiker jedenfalls gehen davon aus, dass Antimaterie der eigentliche Herr, die eigentliche Materie sei, jedenfalls mit Bezug auf das Universum und das ist ja dann doch das Meiste (Vorstellbare).
Dennoch: Der Mensch hängt am Material wie er am Materiellen zu hängen scheint. So wie das Schwert des Damokles am Pferdehaar: Alles hängt (davon ab), wir wissen bloß nicht, wie lange noch. In Aachen war man sich dieser verzweifelten Situation bewusst, gleichzeitig behaupteten die Macher der Tagung - die hier gleich angeschaut werden soll -, dass das Themenfeld „Material“ mit noch ein paar anderen wesentlichen Begriffswelten substantiell für das Selbstverständnis des Berufsstands der ArchitektInnen sei.
Der „Zerfall der Disziplin“, so die Veranstalter, zeige sich „in einer transdisziplinären Offenheit, in der die Architektur wechselweise als Gegenstand der Kunst, des Designs, der Technologie, der Forschung, der Wertschöpfung oder des medialen Ereignisses erscheint und verhandelt wird. Das Selbstverständnis der Disziplin, sowie die Rolle des Architekten selbst sind zunehmend uneindeutig geworden und ziehen einerseits das Berufsverständnis und andererseits die Architekturlehre und -ausbildung ins Fragwürdige. In Anbetracht dieser wachsenden Unübersichtlichkeit und inkonstanten Orientierung geht die Tagung unter dem Begriff der ‚Identität‘ den Fragen nach dem Kern der Disziplin und ihren fundamentalen Dimensionen nach: Wie steht es um die elementaren Aspekte und die allgemeinen universellen Themen der Architektur? Haben die überlieferten vitruvianischen Kriterien – utilitas, firmitas, venustas – denen die Architektur zu genügen hatte, auch heute noch Bestand? Gelten überhaupt noch zeitlose, verbindliche, ‚innere‘ Bestimmungen der Disziplin in Hinsicht einer gelingenden Architektur? Welchen Stellenwert zwischen Theorie und Praxis beanspruchen die darauf rekurrierenden Begriffe: Ort, Material, Gebrauch, Räumlichkeit, Konstruktion, Anmutung usw.?“
Damit ist im Groben beschrieben, was die Tagung „Identität der Architektur“ Ende Januar 2018 an der RWTH Aachen, vorhatte. In ihrer zweiten Auflage als „2. Aachener Tagung: Material“ sollten die eingeladenen ArchitektInnen anhand der von ihnen präsentierten Projekte zeigen, was ihnen das Material heute noch bedeutet. Und zwar für die Arbeit, für den Diskurs, für die Zukunft eines Büros, das sich immer mehr den gesellschaftlichen Anforderungen zu stellen hat, mit dem Gebauten auch Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen.
Schreiben wir es gleich: von Verantwortung wurde fast nichts gesprochen und den meisten der Vortragenden war das Material die Materie, aus der der Bau in die Höhe wächst. Materialehrlichkeit wurde „in die Tonne getreten“ (so einen Diskussionsteil resümierend der schnelle Worte feuernde Moderator Michael Mönninger), gesellschaftliche - negative oder positive - Implikationen wurden von den Meisten nicht einmal gestreift, von wenigen als Unsinn abgelehnt. Von Digitalisierung kein Wort, nichts von smart oder dem Internet der Dinge, keine Industrie 4.0. Zwischen den Handwerkerarchitekten wie Florian Nagler ein hervorragend konsequenter ist und den Konzeptionalisten und Realos wie Andreas Hild am anderen Ende der Bewusstseinsskala schien es kaum eine Schnittmenge und keine gemeinsame Plattform zu geben, auf welcher die Suche nach den Konstituenten des ArchitektInnensein ein Erfolg hätte werden können.
Wir sahen alle schöne Projekte von interessanten Büros, wunderten uns über den teils mangelhaften Bezug zum Recherchethema und am Ende war klar: alles (Material) ist erlaubt, außer: Aluminium! So und in mächtig apodiktischem Ton sprach's die wunderbare Jórunn Ragnarsdóttir. Deren emotionales Statement musste aber tatsächlich überraschen, ist doch seit Jahrzehnten bekannt, dass Aluminium Umweltschäden verursachte und noch verursacht, die allerdings in Europa niemanden direkt betreffen. Verantwortung?!
Ob wir deshalb aber eher zum Ziegel greifen sollten, wie es Helga Timmermann in gleicher emotinaler Weise forderte? Jedenfalls möchte die Architektin Aachen, die Stadt, in der sie einmal studierte und die sie heute kaum wiedererkennt, mit Ziegeln einkleiden … könnte man sich vorstellen.
Und was ist mit dem Beton, für den wir – auch nicht in diesem Land – immer mehr Sand abgraben, Sand aus ursprünglichen Flüssen, von Stränden, tief aus dem Boden mit flächenfressendem Tagebau? Und was ist mit Glas? Was mit Holz? Ist Holz, dieser heilsversprechende, nachwachsende Werkstoff das „sauberste“, das nachhaltigste Material, mit dem wir ganze Städte bauen könnten?
Niemand in der illustren Runde stellte die Frage, ob nicht Materialverzicht, also das Bauen an Luftschlössern, das beste Bauen sei. Allerdings würde dann ein Berufsstand, der doch vom durch und durch analogen Baustoff lebt, sich in der Suche nach seiner Daseinsberechtigung auf einen sehr schwierigen und sehr schmalen Pfad begeben. Immerhin bliebe das Bauen mit weniger: weniger Höhe, weniger Fläche, weniger Fokus auf wenige Städte, weniger Installation, weniger Transport, weniger Mix, weniger Energie, weniger Spekulation und vor allem: weniger Ablenkung von der Frage, was wir denn brauchen, um beispielsweise zufriedener zu sein! Be. K.
(ausführlich in der April-Ausgabe der DBZ)
Die Tagung „Identität der Architektur“ wird von einem wissenschaftlichen Komitee begleitet.
Mitglieder des Komitees sind:
Ulrich Brinkmann, Bauwelt, Berlin
Jasper Cepl, Dessau/Köln
Jørg Himmelreich, Zürich
Hartwig Schneider, Aachen/Stuttgart
Uwe Schröder, Aachen/Bonn