Das MFH in Lünen (Westf.) kommt aus dem Drucker

In Lünen war ich schon einmal, damals hatte ich mir eine neue Bogenbrücke an der Graf-Adolf-Straße angeschaut, zusammen mit dem verantwortlichen Ingenieurbüro Schülke Wiesmann aus Dortmund (DBZ 8 | 2016). Natürlich bin ich damals auch zur Scharoun-Schule gelaufen, die immer noch eine Referenz im aktuellen Schulbau ist, leider viel zu wenig wahrgenommen. Schule und Brücke sind noch da, über letztere fuhr ich Mitte Oktober die Lippe querend, um an ihrem Ufer lang nördlich zum Stadtrand zu gelangen. Die Wohnungsbaugesellschaft Lünen eG (WBG Lünen) hatte zu einem Pressetermin eingeladen: Mehrgeschosswohnungsbau aus dem Drucker.

Dass der „Lippewohnpark“, eine schicke Mehrgeschosswohnbebauung aus dem Jahr 2019 (Tschoban Voss, Berlin), an der ich vorbeifuhr, ebenfalls ein WBG-Kind ist, stellte sich erst später heraus. Die acht Mehrfamilienwohnhäuser hinter heller Klinkerfassade mit Balkonen und Terrassen sind eine konventionelle Stahlbetonkonstruktion und für die WBG Lünen ein Referenzprojekt im Portfolio.

Im Wachsen begriffen: das in Deutschland bisher einmalige MFH aus dem 3D-Betondrucker
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Im Wachsen begriffen: das in Deutschland bisher einmalige MFH aus dem 3D-Betondrucker
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Oder war es das? Denn auf dem ca. 500 m Luftlinie entfernten Bauplatz in der Lippestraße wächst gerade ein Mehrfamilienhaus in die Höhe, das für ein anderes Bauen steht; und für eine andere Mieterklientel, denn sowohl Bauplatz als auch Bauart machen das Bauen und die Mieten günstiger. Wobei geschrieben werden muss, dass der mittels Betondruck realisierte Dreigeschosser von Kreis und Land ordentlich gefördert wird.

Die Baukrise vor Augen beinhaltet ein solches im Entstehen begriffenes Projekt auch die Möglichkeit, das eigene Handeln vor den Pressevertreterinnen zu offenbaren, und so war die Veranstaltung vor dem bereits erdgeschossfertigen Haus bestens besucht. Vorstände, CEOs, Bürgermeister und eben auch das Land waren anwesend, letzteres vertreten durch Ina Scharrenbach, CDU, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung.

Die Ministerin Scharrenbach lässt sich das Betonieren vorführen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die Ministerin Scharrenbach lässt sich das Betonieren vorführen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Besondere des Projekts erläuterte der Vorstand der WBG Lünen, Jan Hische. In Zeiten der Krise müsse man „neue Wege gehen und Dinge ausprobieren“. Bezahlbarkeit sei das zentrale Thema und seine rhetorische Frage lautete: Kann man den 3D-Betondruck mit den Anforderungen der öffentlichen Wohnraumbauförderung koppeln? Man
kann offenbar, denn sowohl Kreis als auch Land geben richtig viel Geld dazu, zum einen 400 000 € aus der landeseigenen Förderung „Innovation in der Bauwirtschaft”, zum anderen rund 1,3 Mio. € aus dem Programm der öffentlichen Wohnraumförderung. Macht 1,7 Mio. €, also fast die gesamte Bausumme, die bei ca. 1,9 Mio. € liegt. Dafür muss die WBG Lünen einen Mietpreis von 6 €/m² anbieten, mindestens über den üblichen Zeitraum.

Straßenansicht
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Straßenansicht
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Noch immer ist der Betondruck Neuland, noch immer brauchen Anbieter, Hersteller und Planerinnen Praxiserfahrung. „Haben wir eine Frage beantwortet, tun sich gleich zehn neue auf“, so Projektarchitekt Lothar Steinhoff, der darauf verweist, dass man mit der TH Köln eine wissenschaftliche Untersuchung gemacht habe, wie man die Herstellung von Strom-, Gas- oder anderen Infrastrukturschnittstellen (Steckdosen) frühzeitig in den Druckprozess einbinden kann. Das nach dem Erstellen der Wände mögliche Schlitzen und Stemmen sei angesichts der Materialfestigkeit ein ineffizienter Weg. Der Architekt betont, dass man viel mehr solcher Projekte brauche, um diese Bauart weiterzuentwickeln, sie zu standardisieren und effizienter zu machen.

Betonbahn auf Betonbahn: In rund 100 Stunden ist das Haus fertig gedruckt. Bezug im Herbst 2024
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Betonbahn auf Betonbahn: In rund 100 Stunden ist das Haus fertig gedruckt. Bezug im Herbst 2024
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Zu 100 Prozent recyclingfähig

Das Signal der Politik ist klar: „Wer baut, vertraut auf die Zukunft! Unsicherheit ist der Feind von Investi­tionen!“, so Ministerin Ina Scharrenbach. „Das Land fördert hier, weil wir der Auffassung sind, dass die Zukunft digital, druckfertig und dynamisch ist im Bau. Das sind die drei D’s für NRW.“ Dann folgen die erwartbaren Stichworte wie Recyclingfähigkeit (homogen mineralisch) und Kreislaufwirtschaft.

Auf der Betondecke, die nicht gedruckt wurde
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Auf der Betondecke, die nicht gedruckt wurde
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Hier wird ein mineralischer Baustoff verwendet, der zu 100 Prozent recylingfähig ist. Kreislaufwirtschaft und Bezahlbarkeit – das alles werde in Lünen praktiziert. Die Ministerin ließ es sich nicht nehmen, auf die beiden anderen Projekte in NRW hinzuweisen, die bereits mit 3D-Betondruck entstanden sind: das Einfamilienhaus im Beckum (Mense-Korte, in DBZ 12 | 2020) sowie das Vereinsheim in Nordkirchen (Steinhoff Architekten).

Nicht ohne geeignete „Tinte“

Gedruckt wird mit einem COBOD BOD2 3D-Drucker, dessen Leistung seitens Peri 3D-Construction mit jedem Projekt weiterentwickelt wird. So ist in Lünen ein Sensorsystem im Einsatz, das in Echtzeit Daten zur Beschaffenheit des Druckmaterials liefern soll. Das erleichtert es dem zwei- bis dreiköpfigen Team vor Ort, die Qualität der Schichten konstant zu halten. Im Gegensatz zu Beckum und Nordkirchen werden in Lünen die Oberflächen der Innenwände schon während des Drucks automatisch geglättet, was das Verputzen erleichtert.

Lasttragende Betonfertigteilstütze im gedruckten Mauerverbund. Der könnte das auch, wäre aber zulassungspflichtig im Einzelfall etc.
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Lasttragende Betonfertigteilstütze im gedruckten Mauerverbund. Der könnte das auch, wäre aber zulassungspflichtig im Einzelfall etc.
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Gewiss funktioniert der Druck nicht ohne die geeignete „Tinte“, so Dr. Jörg Dietrich, Leiter Engineering und Innovation sowie Leiter Produktmanagement bei Heidelberg Materials: „Wir machen die „Tinte“ für den Drucker, die wir kontinuierlich weiterentwickeln. Hier in Lünen gehen wir das Thema Effizienz an. Zudem sind wir heute in der Lage, ein Material anzubieten, das einen um 55  %  CO2-reduzierten Footprint darstellt.“ Genauer gesagt, der Druckbeton enthält ein Bindemittel, das hier etwa 55 % CO2-Reduktion gegenüber reinem Portlandzement aufweist.

Heidelberg Materials, ehemals HeidelbergCement, ist wie Peri (Schalung/Gerüstbau) unter Druck, den beide in dieser Weise der Zusammenarbeit zu lösen suchen. Dass mit dem 3D-Betondruck die Zukunft des Bauens beschrieben wird, kann man wohl noch nicht sagen, beide sind in etwa dort, wo die Automobilindustrie mit ihrer Umstellung auf Elektroantrieb steht. Was daraus in den kommenden zehn Jahren wird, werden wir sehen. Benedikt Kraft / DBZ

www.mhkbd.nrw, www.steinhoff-architekten.de, www.wbg-luenen.de
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