Architektur statt Gebäudetechnik

„2226 Emmenweid“,Emmenbrücke/CH

Mit dem Bürogebäude „2226 Emmenweid“ realisierten Baumschlager Eberle Architekten einen ungewöhnlich eleganten Beitrag zur Entwicklung eines Industrieareals in Luzerns Norden. Der Bau wirkt stark, schlicht und schön und ist eigentlich eine Provokation.

Ziegelmauern, soweit das Auge reicht: Das ist das ehemalige Areal der „Viscosuisse“ in Emmen im Norden von Luzern. 1906 entstand hier eine Fabrik für Kunstseide, produziert wurde noch bis Anfang der 2000er-Jahre. Heute befindet sich das knapp 9 ha große Gelände mit etlichen denkmalgeschützten Gebäuden in einem Transformationsprozess. Neben einem besonders markanten Ziegelbau, dem ehemaligen Direktorenhaus, steht seit Januar 2019 ein weiteres bemerkenswertes Gebäude. Auch hier spielen Mauern die Hauptrolle, wenn auch nicht so offensichtlich: Das viergeschossige Volumen mit einer Grundfläche von rund 16 x 36 m ist mit einem beigen Kalkputz versehen, dem gemahlene Ziegel beigemengt wurden. Der Putz hat daher einen leichten Rotstich. Ein auslaufender Versatz auf halber Höhe an Süd- und Westseite ist neben den regelmäßig angeordneten Fensteröffnungen die einzige Gliederung der Fassade. Die Neigung des Walmdaches ist so flach, dass der Baukörper als Monolith in Erscheinung tritt.

100 sticht 20

Tatsächlich ist das schlichte, doch elegante Bürogebäude ein Exot in der hiesigen Architekturlandschaft: Es kommt komplett ohne klassische Klima-, Heiz- und Lüftungstechnik aus. In einem Land, in dem der bekannteste und verbreitetste Gebäudestandard „Min­ergie“ von einem Energieingenieur mitentwickelt wurde und der zwingend den Einbau einer mechanischen Lüftungsanlage vorschreibt, ist das durchaus bemerkenswert. Der Bau löst die Anforderungen an das Innenraumklima über die Architektur, nicht über die Technik. Gemäß den Architekten ein logischer Beitrag zur Nachhaltigkeit, haben gebäudetechnische Anlagen doch eine Lebensdauer von etwa 20 Jahren, während ein Haus gut fünfmal so lange stehen kann.

Zusammen mit der starken Architektur überzeugte diese Argumentation auch die Bauherrschaft, die das Grundstück 2008 erworben hatte. Darauf stand damals noch der „Crinolbau“ von 1906, ein zwar geschütztes Gebäude, doch statisch in einem so prekären Zustand, dass die Denkmalpflege einem Ersatzneubau zustimmte. Den Wettbewerb gewann die Zürcher Niederlassung des Vorarlberger Büros Baumschlager Eberle Architekten, das 2013 im heimischen Lustenau bereits einen Prototyp für einen solchen Bau erstellt hatte: „2226 Lustenau“. Die Bezeichnung „2226“ ist ein Versprechen: Die Innenraumtemperatur fällt nie unter 22 °C und steigt nicht höher als auf 26 °C, getragen durch architektonische Mittel.

2 x 36,5

Das ist grundsätzlich kein neuer Ansatz. Dicke Außenwände, die durch die Trägheit der Masse Transmissionsverluste minimieren, kennt man von vernakulären Bauweisen. Die Innovation ist, darauf zu vertrauen und die Bauweise mit einigen gezielten Eingriffen auf zeitgenössisches Niveau zu hieven. In Lustenau und Emmen besteht das Mauerwerk aus einer zweischichtigen Konstruktion. Jeweils 36,5 cm dicke Ziegel, versetzt gemauert und durch eine 2 cm dicke Schicht Mörtel verbunden, bilden die Außenwände. Die innere Schale trägt, die äußere isoliert. Die Poren der Spezialbausteine sind konventionell mit Luft gefüllt. So entsteht gemeinsam mit Betonkern und -decken die erforderliche Masse, um die Schwankungen zwischen Tages- und Nachttemperatur auszugleichen. Kalkputz auf beiden Seiten deckt die Konstruktion ab. Die Außenflächen sind darüber hinaus mit einer 0,5 cm dicken Schicht aus gelöschtem Kalk versehen, der durch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft kontinuierlich härtet und so zum monolithischen Ausdruck des Gebäudes beiträgt – auch das eine Anwendung, wie man sie beispielsweise von den traditionellen Bauernhäusern im Engadin kennt, die Temperaturen von weit unter -20 °C trotzen müssen. Geheizt wird im „2226 Emmenweid“ hauptsächlich mit Abwärme – jener der technischen Geräte und jener der NutzerInnen. Wie effizient diese Wärmequelle sein kann, weiß jeder, der schon in schlecht gelüfteten Büros gearbeitet hat. Selbst in Ruhe gibt man etwa 80 W Wärme an seine Umgebung ab – der Mensch wird hier also zur Ressource, während er bei Energiebedarfsberechnungen sonst eher als Störfaktor gilt. Um auch für eine mögliche niedrige Belegung und für künftige, energieeffizientere und damit emissions­ärmere Geräte gerüstet zu sein, haben die Planer die Wärmeleistung von Mensch und Gerät konservativ gerechnet.

Neben der Wärme ist auch die Luftqualität ein Thema und hier kommt dann doch noch die moderne Technik ins Spiel. Sensoren messen den CO2-Gehalt der Luft. Wird ein Grenzwert überschritten, öffnen sich die Lüftungsflügel der Fenster, wie sie es ebenso im Sommer zur nächtlichen Auskühlung machen. Mit einem Anteil von knapp 20 % der Fassadenfläche und einer Größe von 180 x 217 cm sind die Fenster für einen Büroneubau vergleichsweise klein dimensioniert. Im Zusammenspiel mit den tiefen Laibungen konnte so auf einen zusätzlichen Sonnenschutz verzichtet werden. Die helle Farbe der Fassade sorgt zusammen mit der Raumhöhe von 2,86 m dafür, dass sich der Bau nicht übermäßig aufheizt. Im Innern helfen weiß gestrichene Decken und Wände, das Tageslicht optimal zu nutzen.

80:20

Der Bau kommt mit einer großen Selbstverständlichkeit daher. Tatsächlich bewahrheitet sich hier aber die Weisheit, dass das vermeintlich Einfache alles andere als simpel ist. Dem Pionier in Lustenau gingen ausführliche Berechnungen und Simulationen voraus, ein zweijähriges Monitoring nach der Fertigstellung brachte weitere Erkenntnisse, auf denen jetzt auch das Gebäude in Emmen beruht. Jedes 2226-Gebäude – inzwischen sind bereits vier realisiert – wird komplett simuliert, um die Steuerung der Gebäudetechnik auf den jeweiligen Standort sowie die Nutzung, in diesem Fall Büros, zu kalibrieren.

Die Planung ist daher aufwendiger und auch teurer, ein Argument, dass die Bauherrschaft jedoch nicht abschreckte: „Die Gebäudetechnik ist heute ein Kostentreiber. Unsere Erstellungskos-ten sind durch die hochwertige Ausführung etwas höher. Dafür werden die Betriebskosten deutlich tiefer liegen.“1 Erstere tragen rund 20 % zu den Lebenszykluskosten eines Baus bei, letztere etwa 80 %. Die Erfahrungen mit dem Erstling in Lustenau zeigen, dass die Betriebskosten etwa halb so hoch wie bei einem Standardbürohaus sind – es rechnet sich also.

„2226 Emmenweid“ allerdings nur auf die Rentabilität und das Energiekonzept zu reduzieren, würde dem Bau nicht gerecht. Entstanden ist vielmehr ein Haus, das das historische Ensemble aufwertet, einen eigenständigen Akzent setzt und damit die gesamte Umgebung bereichert.⇥Tina Cieslik, Düdingen/CH

Anmerkung

1 Michael Staub, Dicke Mauern, schlanke Technik. In: Baublatt, Nr. 27, 7. Juli 2017, S. 10ff.

Ein Gebäude, das durch seine Reduktion und zugleich seinen Fortschritt besticht. Ähnlich seines österreichischen Vorgängers gelingt es auch diesem Projekt, mit der Rückbesinnung auf ursprüngliche Materialien und der Kombina­tion mit innovativen energetischen Konzepten als Wegweiser für ein ganzes Stadtquartier zu wirken. Nachhaltigkeit und Architektur bilden ein harmonisches Miteinander und vermitteln darüber hinaus angemessen zum historischen Bestand.«⇥

⇥DBZ Heftpartner Axel Frühauf, meck architekten

Baudaten

Objekt: 2226 Emmenweid

Standort: Emmenweidstraße 58a, Emmenbrücke/CH

Typologie: Büro und Verwaltung

Bauherr: BRUN Real Estate AG, Emmenbrücke/CH, www.brun.swiss

Architekt: Baumschlager Eberle Architekten,

Stephan Marending, Partner Büro Zürich/CH,

www.baumschlager-eberle.com

Mitarbeiter (Team): Thies Böke (Projektleitung), Katharina Jacobi, Plamen Stamatov

Bauleitung: bhp Baumanagement AG,

Emmenbrücke/CH www.bhp.ag

Generalunternehmer: Consero AG, Weggis/CH, www.consero.ch

Bauzeit: Oktober 2017–Januar 2019

Fachplaner

Tragwerksplaner: Kost + Partner AG, Sursee/CH, www.kost-partner.ch

Energieplaner, Bauphysik: T.A.U. GmbH,

Lustenau/AT

Energieberater: e4plus AG, Kriens/CH,

www.e4plus.ch

Brandschutzplaner: Technik im Bau AG, Luzern/CH, www.tib.ch

Haustechnik: JOP AG, Rothenburg/CH, www.jop.ch

Elektroplaner: Scherler AG, Luzern/CH,

www.scherler.suiss

Bauunternehmen: Estermann AG, Geuensee/CH, www.estermann.ch

Projektdaten

Grundstücksgröße: 1076

Grundflächenzahl: 0,52

Geschossflächenzahl: 2,62

Nutzfläche gesamt: 2149

Nutzfläche: 2149

Technikfläche: 513

Verkehrsfläche: 153

Brutto-Grundfläche: 2815

Brutto-Rauminhalt: 9651

Baukosten (nach DIN 276)

Gesamt brutto: 6,5Mio.€ (inkl. Außenanlagen und Nebenkosten)

Hauptnutzfläche: 3230€/m²

Brutto-Rauminhalt: 676€/m³

Energiekonzept

Dach: 12cm Betonfertigteile, 8cm Hinterlüftung, 1cm Abdichtung, 25cm Dämmung, Dampfsperre, 24cm Stahlbeton, 1cm Kalkzement Grundputz, 0,5cm Kalkputz Spachtelung

Außenwand: 0,5cm Kalkputz Spachtelung, 1,5cm Kalkzement Grundputz, 36,5 cm statischer Ziegel,
2,0cm Mörtelschicht, 36,5cm isolierender Ziegel, 2,0cm Kalkzement Grundputz, 0,5cm gelöschter Kalkputz

Boden: 5,0cm Anhydrit-Fließestrich, 1,0cm Akustikmatte, 2,5cm Vollholzschalung, 7,0cm Hohlraum/Stützen, 24,0cm Betondecke, 0,5cm Kalkputz Spachtelung

Gebäudehülle 

U-Wert Außenwand=0,14 W/(m²K)

U-Wert Fassadenpaneel=0,3 W/(m²K) (Lüftungsflügel)

U-Wert Bodenplatte=0,15 W/(m²K)

U-Wert Dach=0,13 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster=0,96 W/(m²K) (Rahmen)

Ug-Wert Verglasung=0,6 W/(m²K)

Hersteller

Dach: Müller- Steinag Baustoff AG (Fertigbetonseine), www.mueller-steinag.ch

Fenster: Gawo Gaser AG, www.gawo.ch

Fassade: Keller AG (Außenwandziegel), Gerold Ulrich GmbH (Kalkputz). www.geroldulrich.com

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