Architektur beginnt im KopfEine Ausstellung in Wien geht der Frage nach, wie der Architektenkopf arbeitet
„Wenn mir ein Auftrag anvertraut ist, versenke ich ihn, wie es meine Gewohnheit ist, in mein Gedächtnis, das heißt, ich erlaube mir monatelang nicht eine Skizze. Der menschliche Kopf ist so gemacht, dass er eine gewisse Selbständigkeit besitzt: er ist eine Schachtel, in die man die Bestandteile eines Problems lose hineinschütten kann. Dann lässt man es sich vermischen, köcheln, gären.“ Le Corbusier, 1965
Die mediale Vermittlung gegenwärtiger Architektur fokussiert, vereinfacht gesagt, die gebaute, möglichst spektakuläre Form, vornehmlich der global operierenden Architektenstars. Die architekturhistorische Forschung schenkt darüber hinaus noch der Architektenzeichnung Beachtung, besonders in ihrer Spezies als apokryphe Urskizze mitsamt dem darin vermuteten genialen Geistesblitz, der eine eigene Aura, abgekoppelt vom Bauprozess, konzediert wird. Die tagtägliche Architektenarbeit aber, das Entwickeln einer konzeptionell tragfähigen Idee im Projekt und – häufig der ungleich schwierigere Anteil – ihr Durchhalten in mitunter jahrelangen Modifikations- und Abstimmungsprozessen ist so gut wie ausgeblendet in der Betrachtung der Disziplin. Ebenso die Frage, wie Architekten ihr spezifisches individuelles Wissensreservoir destillieren und ihre persön
liche Kontinuität fundieren, über eine „Handschrift“ in typologischer oder stilistischer Kanonisierung hinaus. Liegt es nur daran, dass der Berufsstand traditionell unwillig scheint zur Selbstreflexion seiner Kreativitätsbedingungen und zeitgenössische Architekten sich lieber als Testfahrer und Hobbyköche der Fachpresse andienen als sich seriös zu ihren Arbeitsweisen zu äußern?
Erfreulich wenig Digitales
Eine Fehlstelle in der Rezeption architektonischer Produktionen bemüht sich nun die Ausstellung „Architektur beginnt im Kopf“ im Architekturzentrum Wien zu ergründen. Sie untersucht den Zusammenhang zwischen Werkzeugen, die Architekten in ihrer Arbeit einsetzen, und den Ergebnissen, gebaut oder nicht realisiert, die sie erzielen. Dass der Begriff des Werkzeugs dabei von der Kuratorin Elke Krasny sehr weit gefasst wird, zeigen schon Katalogumschlag und Plakatierung der Fensterfront im Museumsquartier: ein historischer Reduktionszirkel (zum Abgreifen von Längen und ihrer maßstabsgerechten Übertragung), gleichberechtigt neben einer südamerikanischen Orchidee, die Jean-Philippe Vassal in seinem Pariser Atelier als mysteriöse Inspirationsquelle züchtet. In zweijähriger Feldforschung hat Krasny die Arbeitsmethodik in zwanzig Büros rund um den Globus erkundet, in narrativer Notation Äußerungen zu ihren kreativen Strategien eingefangen, spezifische Arbeitsmittel, in der Regel ein charakteristisches Projekt sowie Fotos und Objekte aus den Ateliers zu szenografischen Collagen der spezifischen kreativen Atmosphäre der einzelnen Arbeitswelten verdichtet. Granden der Architekturgeschichte wie Alvar Aalto oder Charlotte Perriand kommen dabei über Weggefährten zu Wort, Zeitgenossen über Selbstaussagen. Eine unterhaltsame multimediale Schau ist so entstanden. Die Bandbreite reicht von Lina Bo Bardi, der brasilianischen Architektin italienischer Herkunft, die ihr improvisiertes Büro im Container direkt am Bauplatz aufschlug und sich für volkstümliches Handwerk begeisterte bis zu computergenerierten Windkanalstudien für das derzeit höchste im Bau befindliche Gebäude, das Burj Dubai von SOM aus Chicago. Manche dieser personalen Arrangements aus Filzern, Cuttern, Massenmodellen und erfreulich wenig Digitalem bewegen sich arg am Rande der Banalität, so beispielsweise, wenn eine Bettstatt, an die Wand geklappt, für den Arbeitsprozess der Schweizer Architektin Lux Guyer stehen soll, die ganz gerne im Liegen entwarf.
Es bleibt das Unerklärliche
Im gleichnamigen 16. Wiener Architektenkongress kamen Protagonisten zu fünf der ausgestellten Positionen zu Wort. Während in der Ausstellung einer munteren Individualität das Wort geredet wurde, mussten sich hier fast alle Referenten, vor einem wohl mehrheitlich deutschsprachigen Publikum, der offiziellen Konferenzsprache Englisch unterordnen. Man litt förmlich mit Hermann Czech, dessen wienerischem Duktus im Ausstellungsvideo man gerne in einem ausschweifenderen Referat gelauscht hätte, gerade weil ja seine Arbeitsweise auf dem gesprochenen Wort als entwerferischem Kommunikationsmittel basiert. Lediglich Jacques Barsac, Vertrauter Charlotte Perriands, berichtete in sonorer französischer Muttersprache über die Transformationsprozesse, ihre „amélioration“ vorgefundener Industrieprodukte. Wenn es Erkenntnisse mitzunehmen gab, dann die, einer Kongruenz des Werkzeugs Sprache zu dem Gesagtem. Und, dass zum Glück ein guter Teil Unerklärliches verbleibt, sowohl im Machen der Architektur als auch in den Erzählversuchen ihrer Kreativitätsstrategien!