Neue Meisterhäuser, Dessau
Die Wiederherstellung der im Weltkrieg 1939-45 zerstörten zwei (von fünfen) Meisterhäuser in Dessau verstehen die Architekten als eine städtebauliche Reparatur, die nichts mit der Wiederherstellung von Vergangenheit zu tun hat. Dass sie dabei als Wand- und Fassadenmaterial Dämmbeton wählten, folgte keinem Zwang, eher einer gedanklichen Logik.
Die Vorgeschichte zur nun erfolgten Reparatur des Ensembles der Meisterhäuser in Dessau ist eine verworrene und eine, die sich über Jahrzehnte fortgeschrieben hat; mit der Tendenz, bis in diese Zeit immer detailierter und dichter geworden zu sein. Mit dem Umzug des Bauhauses nach Dessau erhielt dessen Direktor Walter Gropius 1925 von der Stadtgemeinde den Auftrag, für die Bauhausmeister Wohnhäuser ganz in der Nähe der Bauhausschule zu entwerfen. Gropius‘ Vorschlag sah ein Einzelhaus für sich, den Bauhausdirektor, und im Abstand von jeweils etwa 20 m drei Doppelhäuser vor.
Das Direktorenhaus, in welchem nach Gropius Hannes Meyer und schließlich auch Ludwig Mies van der Rohe wohnten, wurde kurz vor Kriegsende im März 1945 mit der Doppelhaushälfe gegenüber von Laszlo Moholy-Nagy zerstört. Während das Grundstück der Doppelhaushälfte bis in die jüngste Gegenwart unbebaut blieb, wurde auf dem erhaltenen Keller der Direktorenvilla Anfang der 50er-Jahre ein serientaugliches Einfamilienhaus errichtet. Im Stil der 20er-/30er-Jahre, mit Satteldach (nach dem Bauherren als „Emmer-Haus“ bezeichnet).
Fast 80 Jahre nach dem Erstbezug der Siedlung wurde das Emmer-Haus von der Stadt beziehungsweise der Stiftung Meisterhäuser gekauft, um sich die Option der Wiederherstellung des Ensembles zu sichern. Und weil wohl das Stichwort „Rekonstruktion“ in den Jahren 2003ff. immer wieder fiel, gab es immer gleich wieder Kampagnen gegen eine dem Original angenäherte Fassung. Es folgten Wettbewerbe mit Preisvergaben, nichts geschah. Schließlich gab es ein Gutachterverfahren 2009, das im März 2010 zugunsten des Berliner Architekturbüros Bruno Fioretti Marquez entschieden wurde, das mit seiner „zeitgenössischen Umsetzung des historisch Gegebenen“ die Jury überzeugte, die von David Chipperfield beraten wurde.
Der Entwurf
Der Entwurf zeigt die originalen Konturen der Häuser Gropius und Moholy-Nagy unscharf, weil, so die Architekten, Erinnerung sich vor allem über Unschärfe definiert. Damit konnten sie sich von der Rekonstruktion so weit entfernen, wie sie das über einen zeitgenössischen Neubau vermocht hätten. „Was wir gesucht haben, war ein Projekt, das Abwesenheit und zugleich Präsenz evozieren kann, ein Projekt, das Distanz über Nähe schafft und präzise mit Unschärfe umgehen kann.“ Das Gipsmodell vom Haus Gropius, das Lucia Moholy fotografierte, war neben der Verarbeitung von Erinnerungsprozessen ein weiterer Ausgangspunkt in der Suche nach einem befriedigenden Ergebnis. Das Modell, als ein Resultat eines Abstraktionsprozesses, wurde den Architekten zur Richtschnur in ihrer Suche nach dem richtigen Grad von Vereinfachung. So zerlegten sie die Häuser zunächst in äußere Hülle und innere Gliederung. Die Hülle wird in Dimension und Proportion erfasst und als eine Art Behälter interpretiert. Die innere Gliederung wurde dann schrittweise derart auf allen Ebenen reduziert, dass die neuen Räume den neuen Anforderungen entsprechen (Ausstellung, Information, Diskothek etc.), man gleichzeitig aber in der Lage ist, die ursprünglichen Dimensionen und Raumsequenzen, Raumverknüpfungen zu rekonstruieren.
Das Artefakt
Das Konstrukt der reduzierten Innenraumplastik, das die Architekten auch als überdimensioniertes Möbel bezeichnen und ihnen als gleichsam archäologischer Fund wie ein Artefaktum ist, besteht aus einer beplankten und verputzten Holzständerkonstruktion, in welche neben technischen Anlagen (Lüftung, Elektrik etc.) auch die Erschließung untergebracht ist. Der in die Gebäudehülle eingefügte plastische Hohlkörper wurde in seiner Beziehung zur Hülle in vielen Arbeitsmodellen untersucht. Da die Architekten die Siedlung als Ensemble verstehen, fand diese Konzeption von Hülle und Hohlkörper (Artefakt) auch bei der Mauer, die den Garten des Direktorenhauses von der Öffentlichkeit abgeschirmt hat, und der Trinkhalle Anwendung. Da sowohl die Hülle wie auch die innenräumliche Skulptur äußerste Präzision in der Ausführung erforderte, bot sich die Leichtbauweise innen an. Auch, weil die monolith gedachte wie auch so gefertigte Hülle keinerlei Technik aufnehmen sollte. Das hätte nicht bloß gedanklich die sehr kompakte Natur der beiden Neubauten gestört. Am Ende führte diese Reduktion auch zu einem zurückhaltenden Brandschutzkonzept und einer reduzierten Materialauswahl.
Lange haben die Architekten nach einer tragfähigen Idee für die Oberflächenmaterialisierung des Artefakts gesucht. Sie wollten eine Oberfläche, die einerseits so neutral war, dass sie eine optische Überladung der Räume vermeidet. Andererseits sollte sie so sein, dass sie dem historischen Vorbild des Wechselspiels zwischen Architektur und Kunst ein konsistentes Echo sei. Der damalige Bauhausdirektor, Philipp Oswalt, lud den Künstler Olaf
Nicolai ein. Der fasste den Putz als zu gestaltendes Material auf und erfand im Folgenden eine geometrische Aufteilung der Artefaktoberflächen. In seiner Arbeit La pigment de lumière werden diese Flächen mit leicht verschiedenen Putztexturen gefüllt. Die dadurch geschaffenen Wandbilder wird nur der erkennen, der um sie weiß, der sie sucht.
Fassade/Fenster
Die Fassade der neuen Meisterhäuser ist gleichsam ihr eigener Urtyp: monolithisch, extrem homogen und trotz aller scheinbaren Einfachheit sehr funktional. Das gewählte Material, ein Dämmbeton, dessen Sichtbetonoptik zusätzlich mit einer Lasur homogenisiert wurde, dient einerseits der Abstraktion der Baukörper zu reinen Volumen, andererseits folgt die Materialwahl der gedanklichen Logik, dass das Bauhaus von seiner Grundintention zumindest in seinen Gründungsjahren dem Experiment und einem Streben nach Fortschrittlichkeit verpflichtet war. Und Dämmbetone stehen hier immer noch am Anfang. Der Ortbeton bildet eine klar beschreibbare Hülle, in welche die abstrakt behandelten Fenster- und Türöffnungen dort eingeschnitten wurden, wo ursprünglich die Fenster und (Balkon)Türen saßen. Sie sind heute mit ihren transluzenten Gläsern bündig mit der Fassadenfläche geschlossen, wobei auch hier eine Reduktion / Abstraktion greift: Ursprünglich nebeneinanderliegende, von Laibungen etc. getrennte Fenster und Türen werden nun in einer Glasfläche zusammengefasst.
Die Außenwand sollte die Stärke der alten gemauerten Wände haben, sie musste leicht sein um die bestehenden Fundamente – so den Keller des Haus Gropius – nicht zu stark zu belasten und sie musste energetisch leistungsfähig sein. Um sicher zu gehen, dass die hohen Anforderungen an den Dämmortbeton vom Unternehmen gewährleistet werden können, wurden während der Vergabe, neben der präzisen Ausschreibung bezüglich Betonrezeptur, Schalung, etc., von den konkurrierenden Firmen gebaute Referenzen eingefordert. Die schließlich aufgebrachte Dünnschichtfarbe, eine leicht transparente Lasur, soll die unvermeidbaren Farbdifferenzen des Betons ausgleichen ohne seine Textur zu verstecken.
Die Abstraktion und Reduktion der Konstruktionselemente – die Ursprungsbauten waren gemauerte Konstruktionen – schreibt die ambitionierte Entwurfskonzeption von Walter Gropius in die Jetztzeit fort: Dort, wo der Meister noch (zähneknirschend?) mit gemauerten Stützen seinen Kragelementen Fundamente einräumen musste,
ermöglichen heute Wandträger die stützenfreie Auskragung.
Die Dachabschlüsse und Terrassen werden, ebenfalls in Fortschreibung der Originalbauten, ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Verblechungen auskommen.
Die Suche nach dem passenden Glas war intensiv und durchaus langwierig. Die Scheiben sollten transluzent sein, gleichzeitig aber auch Glanz und diffuse Reflektion entwickeln können. Zudem stellten Fensterformate von teilweise über 10 m² Fläche bei den vorgenannten Bedingungen große Herausforderungen an die verantwortliche Firma. Zur Anwendung kam schließlich so genanntes Senkglas, das sind Scheiben, die durch Erhitzen auf einen Untergrund gesenkt werden und so in ihren Lichtbrechungseigenschaften manipuliert werden. Diese Scheiben wurden abschließend mit Glasfarben (weiß und grau) emailliert und über einen VA-Stahlrahmen als Isolierglasverbund in die Fensteröffnungen außenflächenbündig eingepasst. Um eine möglichst hohe Oberflächenhomogenität außen zu erreichen wurden die Laibungen so behandelt, dass eine umlaufende Fase im Beton die Scheiben beinahe in diesen übergehen lassen.
Reloaded
Abgesehen vom hochintellektuellen Spiel mit der Ausformulierung der Innenraumskulpturen in beiden Häusern, das mitspielen kann, wer die Geschichte der Häuser und ihren Architekten sehr gut kennt, ist die städtebauliche Reparatur überzeugend. Man kann sich keine bessere Lösung im Widerstreit von Rekonstruktion – Sanierung – Neubau vorstellen, als die Strategie der Abstraktion von Erinnertem. Die Ergänzungen jedenfalls können Maßstäbe setzen in der Behandlung von Denkmälern und schreiben mit ihrem Konzept der Unschärfe das Diktum George Dehios fort, die baulichen Zeugnisse der Geschichte zu konservieren und Zubauten als zeitgenössische Schöpfungen erkennbar und damit erlebbar zu lassen. Be. K.