Zu Gast im Patientenhotel

Bettenhaus der ­Wald­kliniken, Eisenberg

Schon der Gedanke an die Atmosphäre im klassischen Krankenhaus erzeugt ein mulmiges Gefühl. Der Geruch, das Licht, die sterile Atmosphäre – zum Gesundwerden wünscht man sich ein anderes Umfeld. Umso treffender, dass die Einrichtung Waldkliniken Eisenberg für die Umstrukturierung des Areals eher auf die Devise eines Kurzurlaubs als auf einen Krankenhausaufenthalt setzt und mit dem ersten Baustein – dem Neubau des
Bettenhauses – ungewöhnliche Wege geht.

PatientInnen heißen in den Waldkliniken Eisenberg „Gäste“, anstelle eines sterilen Besucherzimmers prasselt ein Feuer im offenen Kamin inmitten von gemütlichen Loungemöbeln und der Duft von frisch gebackenem Brot weht durch das Erdgeschoss.

Das lateinische Wort „Hospes“ ist das Schlüsselwort. „In diesem Wortstamm steckt sowohl das Wort Gast als auch Hospitality, der englische Begriff für Gastfreundschaft“, erklärt der Mailänder Architekt Matteo Thun die Grundidee seines Entwurfs, der zusammen mit dem international im Krankenhausbau erfahrenen Architekturbüro HDR umgesetzt wurde. Die Ausrichtung des Handelns auf das Motto „Der Patient als Gast auf Zeit“ erforderte ein Umdenken in allen Bereichen, angefangen beim Geschäftsführer David-Ruben Thies, der als ausgebildeter Pfleger den Krankenhausbetrieb in all seinen Perspektiven kennt und Prozesse und Abläufe nicht nur hinterfragt, sondern auch neue Lösungen erdacht oder aus dem Ausland importiert hat. Denn neben der medizinischen Qualität spielen auch das Serviceangebot und damit die Zufriedenheit und die schnelle Genesung der Patienten eine große Rolle.

Raumkonzept

Schon der Empfang im Erdgeschoss erinnert eher an die Lobby eines Wellnesshotels als an die Patientenaufnahme in einem Krankenhaus. Die Hauptrezeption ist umgeben von verschiedenen Aufenthaltsbereichen wie der Cafeteria, den drei Res­taurants oder den gestalteten Freiflächen im Innenhof.

Auch in den Pflegestationen werden die Gäste in den Empfangsbereichen versorgt. Nach niederländischem Vorbild sind die Arbeitsplätze der Mitarbeiter als Unit-Struktur in offenen Raumzonen im Flurbereich platziert.

Dies spart einerseits Bürobereiche ein, deren freie Flächen als Gemeingut in den größeren Aufenthaltszonen und Wintergärten aufgehen können, andererseits fördert die Transparenz auch den direkten Kontakt zwischen Patienten und Personal. Die klare Trennung von Therapieflächen und Wohnbereichen ist Teil der Durchgängigkeit des Konzepts.

Die größte Neuerung liegt in der Restrukturierung der Patientenzimmer. Die Vorgabe für kommunale Kliniken in öffentlicher Hand ist eine Mindestbelegung mit zwei Betten pro Zimmer. Durch eine gestalterische Finesse werden die Betten nicht ­parallel, sondern diagonal zueinander versetzt aufgestellt, sodass sich verschiedene Raumzonen ergeben, die je nach Bedarf geöffnet oder über einen Vorhang voneinander separiert werden können. So entstehen intime Rückzugsmöglichkeiten, aber auch Raum für Interaktion. Eine verglaste Veranda, die mit Ausblick auf die umgebende Natur von jeweils zwei Patientenzimmern erschlossen wird, dient zusätzlich als Kommunikationsort.

Patientenzimmer

Der kreisförmige Grundriss erlaubt eine Anordnung aller Zimmer mit Panoramablick ins Grüne, während die dienenden Funktionen sich zum introvertierten Innenhof ausrichten. Durch die großen Fensteröffnungen entsteht eine starke Verbindung zum Wald, zu den Wetterverhältnissen und Jahreszeiten. Mit der Zeit wird sich die Außenfassade mit horizontaler Holzlattung und Lisenen aus Brettschichtholz grau verfärben und das Gebäude harmonisch in die umgebende Landschaft einfügen. Die Struktur wirkt wie eine zweite Klimahülle, die zwar Licht und Luft hereinlässt, aber zugleich Schatten spenden kann und die natürliche Wärme zugunsten der Energieeffizienz zurückhält. Geprägt von der umliegenden Landschaft finden sich vielerlei Grüntöne für das Interior Design und natürliche Materialien und Farbkompositionen der Flora und Fauna im Bettenhaus.

Material und Nachhaltigkeit

Holz spielt auch für die Verortung des Neubaus in der Region eine wichtige Rolle. Der Saale-Holzland-Kreis ist geprägt durch Kunsthandwerk mit Holz, umso naheliegender ist die Wahl einer Holz-Beton-Hybridbauweise für den Neubau. Für die komplexen Anforderungen an einen Klinikbau in puncto Brandschutz mussten individuelle Konzepte erarbeitet werden. Nur so konnte die aus Brandschutzgründen notwendige Stahl­beton-Skelettkonstruktion auf ein Minimum reduziert werden. Gleichzeitig wurden die Ausfachungen der Außenwände, als Holzrahmenkonstruktion ausgeführt, in den Obergeschossen auch mit Holz verkleidet. Dadurch konnten neben ökologischen Vorteilen, wie der Verwendung nachwachsender Rohstoffe, der Verbesserung der CO²-Bilanz und der Vorfertigung, auch ökonomische Vorteile, wie niedrigere Lebenszykluskosten und kürzere Bauzeiten, erreicht werden.

Der Neubau wurde ganz im Sinne der 3-Zero-Philosophie von Matteo Thun umgesetzt: Zero CO2: Energiemanagement und geringere Emissionen; Zero Abfall: Lebenszyklusmanagement im Bauprozess und Wiederverwendung von Baumaterialien; Zero km: unmittelbare Nähe von Baumaterialien und Einsatz lokaler Unternehmen. 85 % der Bauleistungen wurden von Firmen aus der Region mit kurzen Transportwegen erbracht. Als größter Arbeitgeber in der Region ist den Klinikbetreibern auch die Stärkung des lokalen Handwerks ein nachhaltiges Ziel.

Wer denkt, dass so ein Konzept nur für ein gut betuchtes Privatpatientenklientel machbar ist, wird schnell eines Besseren belehrt. Die renommierte Fachklinik für Orthopädie ist ein kommunal geführtes Krankenhaus, für das die gleichen Vorgaben in puncto Förderkriterien und Baubudget galten wie für vergleichbare Häuser. So musste stets nach Lösungen gesucht werden, um die Kos­ten pro Quadratmeter mit dem gleichen Budget umsetzbar zu machen wie für Häuser in vergleichbarer Größe, aber mit gehobenerem Standard. Dazu gehörte neben der Auswahl der Einbauten und Möbel auch ein 1 : 1-Mockup während der Planungsphase, in dem die Mitarbeiter die künftigen Patientenzimmer und Bäder, die Architektur, Einrichtung und Ausstattung auf deren Praxistauglichkeit bis zur Serienreife testen konnten. Ein kluger Schachzug war auch die Verbindung der beiden Planungsbüros. Matteo Thun mit seiner Hotelexpertise und dem Fokus auf die Übersetzung der Hotelforderungen auf ein Krankenhaus und die Architekten von HDR mit ihrer breiten Expertise im Krankenhausbau ergänzten sich kongenial. Der Mut hat sich ausgezahlt. Die Alternative zwischen Kranksein und Kurzurlaub mit dem Fokus auf Letzterem wird nicht nur durch die Qualität der medizinischen Versorgung bestimmt, sondern auch durch die Atmosphäre des Hauses.  Eva Herrmann, München

Baudaten

Objekt: Neubau an den Waldkliniken Eisenberg

Standort: Eisenberg (Thüringen), Deutschland

Typologie: Bettenhaus

Bauherr und Nutzer: Waldkliniken, Eisenberg

Architektur: Matteo Thun & Partners, Mailand/IT, www.matteothun.com; HDR Germany, Düsseldorf,

www.hdrinc.com

Mitarbeiter: Stefan Opitz, Daniel Ferchland, Michael Keitel, Katja Schober, Matteo Thun

Bauleitung: HDR Germany

Bauzeit: Juni 2016–September 2020

Fachplaner

Tragwerksplanung: R & P Ruffert Ingenieurgesellschaft mbH Berlin,

www.ruffert-ingenieure.de

TGA-Planung (HLS): Potthoff GmbH, Erkrath, www.potthoff-ingenieure.de

TGA-Planung (ELT), Lichtplanung: Gnuse Ingenieurbüro f. Krankenhaustechnik GmbH & Co.KG, Gütersloh, www.gnuse.de

Fassadentechnik: HDR in Zusammenarbeit mit IB FMM, Leipzig,

www.ib-fmm.de

Innenarchitektur: Matteo Thun & Partners

Akustikplanung: iproplan Planungsgesellschaft mbH, Chemnitz,

www.iproplan.de

Energieplaner und -berater: WSGreenTechnologies GmbH, Stuttgart, www.wernersobek.de

Brandschutzplanung: Sachverständigenbüro Arnhold, Weimar,

www.arnhold-weimar.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 114 703 m²

Nutzfläche gesamt: 8 618 m²

Technikfläche: 1 108 m²

Verkehrsfläche: 4 602 m²

Brutto-Grundfläche: 16 500 m²

Brutto-Rauminhalt: 66 500 m³

Baukosten (nach DIN 276)

KG 200 (brutto): 1 Mio €

KG 300 (brutto): 29,5 Mio. €

KG 400 (brutto): 12,5 Mio. €

KG 500 (brutto): 5,5 Mio. €

KG 600 (brutto): 1,5 Mio. €

KG 700 (brutto): 12,5 Mio. €

Gesamt brutto € 62,5 Mio. €

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 238 kWh/m²a nach EnEV 2013

Endenergiebedarf: 57 kWh/m²a nach EnEV 2013

Jahresheizwärmebedarf: 78 kWh/m²a nach EnEV 2013

Energiekonzept

Dach: 32 cm Stahlbetondecke, Dampfsperre, Wärmedämmung Mineralwolle i. M. 25 cm, zweilagige Abdichtung Polymerbitumenbahn, bei Bedarf Bautenschutzmatten und Schutzvlies, Kiesschüttung  5 cm

Außenwand: Vorsatzschale 2-lagig GK-Bauplatte, nichttragend: Holz­tafelbauart 25 cm, tragend: Stahlbeton 25 cm, Wärmedämmung Steinwolle 14 cm / Holz-Unterkonstruktion, Fassadenbahn diffusionsoffen, wind- und schlagregendicht, Luftschicht, Fassadenschalung Lärche gehobelt

Fußboden: Stahlbetondecke 32 cm, Trittschall-Dämmplatten, Estrich, Belag

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand (nichttragend) = 0,13 W/(m²K)

U-Wert Außenwand (tragend) =­

0,2 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 0,27 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,19 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster = 0,9 W/(m²K)

Ug-Wert Verglasung = 0,6 W/(m²K)

Luftwechselrate q50 = 1,5 m³/m²h (Gebäude mit raumlufttechnischen Anlagen)

Haustechnik

Betonkernaktivierung in Geschossdecken über Patientenzimmern für Basistemperierung

Eisspeicher

BHKW Bestand

Flächenheizungen als Fußboden­heizung, Heizkörper

Hersteller

Fenster: Raico Bautechnik GmbH, www.raico.de

Sonnenschutz: Warema Renkhoff SE, www.warema.de

Türen/Tore: Wicona, www.wicona.de, Schüco International KG,

www.schueco.com; neuform-Türenwerk Hans Glock GmbH & Co. KG, www.neuform-tuer.com

RWA-Anlagen: Lamilux,

www.lamilux.de

Parkett: Bohemian Works,

www.bohemianworks.com

Trockenbau: Siniat, www.siniat.de, OWA, www.owa.de, Fural,

www.fural.com

Beleuchtung: mawa design,

www.mawadesign.de

Außenbeleuchtung: EWO,

www.ewo.com

Lose Möbel: Vitra International AG, www.vitra.com; Cassina spa,

www.cassina.com

Schalter: Albrecht Jung GmbH & Co. KG, www.jung.de

Die Expertise der beiden Büros hat sich bei
diesem Projekt aufs Beste ergänzt und ein
Klinikgebäude mit neuen Standards in Bezug auf die Gestaltung und die Nachhaltigkeit
möglich gemacht. Wir wünschen dem Projekt einen „Türöffner-Effekt“ für den Gesundheitsbau, denn es zeigt, dass sich Qualität in den Materialien und in der Architektur für alle Beteiligten lohnen.«⇥

⇥DBZ HeftpartnerInnen Barbara Schott und

⇥Edzard Schultz, Heinle, Wischer und Partner, Berlin

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