DBZ Heftpate Rudi Scheuermann, Arup Fellow und Global Leader Building Envelope Design, Arup Berlin„Envelope Design“ statt „konstruktive Fassadenplanung“
Wenn wir die energetischen Herausforderungen unserer Zeit ernst nehmen und einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten wollen, dann sollten wir nicht nur über Fassaden als vertikale, verglaste Elemente nachdenken. Vielmehr müssen wir die Gebäudehülle als Ganzes betrachten, als thermische Hülle, die den Energiebedarf eines Gebäudes im laufenden Betrieb maßgeblich beeinflusst. Die Frage nach der richtigen Dämm-, Heiz- und Beschattungsstrategie, die Vermeidung von unnötigem Kühlbedarf, die Schaffung von Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit sollten für uns im Vordergrund stehen.
Die Gebäudehülle verfügt darüber hinaus über gebundene Energie und hochwertige Materialien, beides Themen, die bisher allzu oft ohne weitere Betrachtung bleiben, allemal, wenn genügend Budget zur Verfügung steht. Auch hier wird ein Umdenken immer wichtiger: zu mehr Wiederverwertung, zu mehr zirkulärem Denken, zu bewussterem Entwerfen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn wir nicht nur im Rahmen von neuen Gebäuden denken, sondern auch den Bestand dementsprechend ertüchtigen und fit machen für die Zukunft.
Ich halte es für unerlässlich, dass wir den Schwerpunkt auf „Envelope Design“ statt auf „konstruktive Fassadenplanung“ legen, dass die Machbarkeit von ungewöhnlichem Design künftig nur noch in Zusammenhang mit energetisch nachhaltiger Betrachtung betrieben wird, um zusammen mit den Architekten die gestalterischen Spielräume auszuloten, welche den Komfort, aber auch den nachhaltigen Betrieb eines Gebäudes über seine Lebensdauer sicherstellen.
Deshalb richtet sich die Projektauswahl in diesem Heft auf die Sanierung von Bestandsgebäuden und auf innovative außen liegende Verschattungsmöglichkeiten bei höheren und hohen Gebäuden. Der Fokus liegt auf Gebäudehüllen, die eine natürliche Lüftung ermöglichen, und Gebäudehüllen, die über eine Gebäudeoberfläche verfügen, die nicht nur Energieeintrag verhindert, sondern auch zur Deckung des aktiven Energiebedarfs von Gebäuden beiträgt. Diese Betrachtung bietet sehr viel Spielraum für neue Gestaltungsmöglichkeiten, Material- und Technologievielfalt, deren Erfolg langfristig auch einen gesellschaftlichen Nutzen darstellt.
Ich bin davon überzeugt, dass im dichter werdenden städtischen Kontext Gebäudebegrünungen immer wichtiger werden. Sie können einen erheblichen Beitrag zur Lösung von aktuellen Problemen in
Bezug auf Sturmwassermanagement, Feinstaubbelastung und innerstädtischer Überhitzung leisten und gleichzeitig den Stressabbau
für die Menschen und die allgemeine gesundheitliche Situation in
Städten begünstigen. Wir sollten uns eher auf die Schaffung nutzbringender „grüner Infrastruktur“ konzentrieren, als auf „grüne Dekoration“. Durch unsere Forschung in den Bereichen Gebäudegrün, Nachhaltigkeit, energieproduzierende Fassaden sowie der zirkulären Gebäude- und Stadtplanung ist es uns gelungen, diese gewinnbringenden Effekte planbar und messbar zu machen und der Gebäudehülle mit ihrer zunehmend wichtigeren Rolle am gesamtenergetischen Erfolg in der Planung von zukunftsträchtiger Architektur gerecht zu werden.
Ich hoffe, dass unsere Projektauswahl diese ganzheitlichen Ansätze verdeutlicht und gleichzeitig das darin schlummernde Gestaltungspotential aufzuzeigen vermag.