Das optimale
Zertifizierungs­system
Internationale
Systeme im Vergleich

Nachhaltigkeit wird zunehmend zu einem Grundprinzip in der zeitgenössischen Archi­ tektur. Gleichzeitig steigt damit die Nach­frage an Zertifizierungen für Nachhaltiges Bauen. Mit den Bewertungssystemen erhal-ten Investoren und Architekten nicht nur einen Überblick zur ganzheitlichen Betrachtung Nachhaltigen Bauens, sondern auch
ein Werk­zeug, das die Planung und Umsetzung nachhaltiger Aspekte vereinfacht. Der folgende Artikel stellt ein Forschungsprojekt vor, das anhand einer Musterauditierung
die internationalen Zertifizierungssysteme BREEAM und LEED mit dem Deutschen Gütesiegel Nachhaltiges Bauen vergleicht.

 

Hintergrund

Aus dem Handlungsprinzip der Nachhaltigkeit ergeben sich vielfältige Anforderungen, die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Aspekte gleichermaßen umfassen. Für das Bauwesen lassen sich aus diesen Kategorien ganzheitliche Ziele ableiten, welche Planungsprozess, Energie, Wasser, Emissionen, verwendete Materialien, Abfallaufkommen, Innenraumkomfort, Standortökologie, Infrastruktur und das Gebäude in seinem städtebaulichen Kontext mit einbeziehen.

Als wichtiges Instrument und zur Förderung des Nachhaltigen Bauens wurden in verschiedenen Ländern Zertifizierungssysteme entwickelt, die die Nachhaltigkeit der Gebäude bewerten. Es wurde schon eine Vielzahl an Gebäuden zertifiziert, wodurch der Öffentlichkeit im Sinne der Nachhaltigkeit sehr gut dokumentierte Gebäude vorliegen.

Es gab jedoch keine Gebäude, die nach mehreren Systemen bewertet wurden, weshalb Vergleiche verschiedener Zertifizierungssysteme bisher nur auf der theoreti­schen Ebene erfolgten. Aus diesem Grund wurde HAPPOLD Ingenieurbüro vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) beauftragt, einen detaillierten Grundlagenvergleich verschiedener Zertifizierungssysteme sowie eine Musterauditierung an einem Referenzgebäude durchzuführen. Ziel der Musterauditierung war die direkte Vergleichbarkeit der Systeme.

 

Inhalt der Systeme

Das erste Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen „Building Research Establishment Environmental Assessment Method“ (BREEAM) wurde 1990 in Großbritannien entwickelt. 1998 folgte das System „Leadership in Energy and Environmental Design” (LEED) in den USA. Alle anderen Zertifizierungssysteme bauen auf diesen, heute international angewendeten Systemen auf. Da sich die Anforderungen und die Kriterien für eine Zertifizierung je nach Nutzung des Gebäudes unterscheiden, müssen unterschiedliche Systemvarianten entwickelt werden. Selbst BREEAM und LEED, die schon jahrzehntelang auf dem Markt sind, befinden sich in einem kontinuierlichen Aufbau neuer Varianten und Versionen. Des Weiteren erfordern alle bestehenden Systemvarianten eine regelmäßige Anpassung an die immer rigider werdenden Bauverordnungen und die daraus resultierende steigende Gebäudeperformance.

Die untersuchten Systeme streben alle eine ganzheitliche Betrachtung der nachhaltigen Aspekte an. Hierbei unterscheidet das 2008 entwickelte Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen seine Hauptkriteriengruppen in ökologische, ökonomische, soziokulturelle, technische und Standortqualität. Letzteres fließt jedoch nicht in die Gesamtbewertung mit ein, da das Deutsche System im Gegensatz zu LEED und BREEAM nur das Gebäude bewertet. LEED und BREEAM hingegen ordnen die Einzelkriterien themenbezogenen Hauptkriteriengruppen, wie Materialien, Wasser oder Energie, zu (siehe Abb. rechts).­Sowohl in LEED als auch in BREEAM bildet die Beurteilung der ökologischen Qualität den Hauptanteil der Zertifizierung. So fließen bei vollständiger Erfüllung in LEED 65 % in das Gesamtergebnis ein, in BREEAM werden immerhin noch 59 % erreicht. Das ist fast dreimal so viel, wie die Gewichtung der ökologischen Qualität beim dem Deutschen Gütesiegel (22,5 %). Die hohe Bewertung der ökologischen Kriterien ist mit ein Grund, warum LEED und BREEAM auch als „Green Building“-Zertifikat bezeichnet werden.

Auch die Bewertungsmethode und die Gewichtungen der einzelnen Kriterien unterschei­den sich: Während LEED bis 2009 ein einfach aufgebautes 1-Punkte-System ohne Gewichtung hatte, gewichten BREEAM und das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen ihre Kriterien je nach Relevanz für die Umwelt.

 

Lebenszyklusbetrachtung

Gebäude sind zu einem erheblichen Teil für ­

die Ausbeutung der Ressourcen und die zunehmende Umweltverschmutzung verantwortlich. Daher sollte bei einer Gebäudezer­tifizierung nicht nur das Gebäude bis Fertigstellung betrachtet werden, sondern der gesamte Lebenszy­klus.

Das Deutsche System legt seinen Fokus auf die Durchführung einer Ökobilanzierung sowie einer Lebenszykluskostenberechnung (LCC) und betrachtet damit den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes. BREEAM betrachtet zwar mit den verwendeten Materialien im „Green Guide for Specification“ und der LCC den Lebenszyklus des Gebäudes, jedoch hat er, im Gegensatz zum Deutschen Gütesiegel, einen nur geringen Einfluss auf die Gesamtbewertung. LEED thematisiert weder die Öko­bilanzierung noch die Lebenszykluskosten.

Musterauditierung

Das Referenzgebäude für die Musterauditierung ist der Verwaltungsneubau Hauptzollamt Rosenheim. Das Hauptgebäude des ­Zollamtes Rosenheim wurde im Jahr 1878 errichtet. Der Neubau wurde in den Jahren 2005 bis 2007 an der Stelle eines alten Anbaus viergeschossig in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet. Er zeichnet sich durch eine offene Bauweise mit drei Einzelbaukörpern und durchgehenden, horizontalen Fensterbänder aus. Das Flachdach ist extensiv begrünt und das Niederschlagswasser wird in Rigolen mit einem Fassungsvolumen von 40 000 Litern gespeichert und dem Gebäude zur WC-Spülung wieder zugeführt. Der Ausbau der Büroräume erfolgte mit leichten Trennwänden, die eine spätere Grundrissänderung und Umnutzung ermöglichen.

Das Referenzobjekt wurde nach Fertigstellung in der 2. Pilotphase der Systemvariante Büro und Verwaltungsbauten 2008 mit dem Deutschen Gütesiegel Nachhaltiges Bauen zertifiziert [1] und erreichte einen Gesamterfüllungsgrad von 68 %, was zu einer Vergabe des Deutschen Gütesiegels Nachhaltiges Bauen in Silber führte.

Um eine gute Vergleichbarkeit zu erzielen, sollten die Systemvarianten der zu untersuchenden Systeme BREEAM und LEED inhaltlich als auch zeitlich der deutschen Systemvariante bestmöglich entsprechen. Demzufolge wurden die Musterauditierung nach „BREEAM Europe for Offices Version 2008“ und LEED New Construction (NC) Version 2.2 vorgenommen.

Bei der Musterauditierung wurden zwei verschiedene Bewertungen angewendet, die sogenannte „Harte Bewertung“, welche nur die vollständig vorhandenen Unterlagen nach BREEAM bzw. LEED bewertet, sowie die „Erreichte Punktzahl“, die eine präzise Schätzung der Punkte für das Projekt Hauptzollamt Rosenheim darstellt. Da die Durchführung von Energie- oder thermischen Simulationen nicht Bestandteil der Untersuchung waren, konnten einzelne Kriterien bei LEED nur geschätzt werden.

Die Ergebnisse der Musterauditierung zeigen, dass das mit dem Deutschen Gütesiegel zertifizierte Praxisobjekt nach LEED und BREEAM eine ähnliche Zertifizierungen erhalten hätte. Nach dem Deutschen System wurde mit 68 % ein Zertifikat in Silber erreicht. Nach LEED hätte das Projekt mit 37 Punkten „LEED Silver“ erhalten und nach BREEAM eine Zertifizierung in „Very Good“ mit 59,7 % (erreichte Punktzahl).

Nach Bewertung der vollständig vorliegen­den Unterlagen (Harte Bewertung) erhielt das Projekt eine BREEAM Zertifizierung in „Passed“. Für eine LEED Zertifizierung reichten die vorliegenden Nachweise nicht aus. Nach der „Harten Bewertung“ konnten hier nur 20 Punkte erreicht werden. Des Weiteren konnten bei LEED nicht alle Grundvoraussetzun­gen (Prerequisites) nachgewiesen werden.

Die Abbildungen (oben und rechts) zeigen die erreichte Punkt­zahl (in %) in den Hauptkriteriengruppen der drei Systeme im Vergleich. Es zeigt sich, dass das Hauptzollamt Rosenheim eine nur geringe Erfüllung in den Haupt­kriteriengruppen „Materialien“ bei LEED und BREEAM, als auch in „Standort­ökologie“ und „Wasser“ bei BREEAM erreichte.

 

Zeit- & Kostenaufwand

Der benötigte Zeitaufwand für eine Zertifizierung – egal welches System – kann nicht ­generalisiert werden. Der Zeitaufwand ist abhängig von der Erfahrung des Auditors, den Erfahrungen und Sprach- und Fachkenntnissen des Planungsteams, der Planungs- und Bauzeit bis Fertigstellung des Gebäudes, dem Land, in dem das Gebäude zertifiziert werden soll sowie dem angestreb­ten Zertifizierungsziel.

Jedoch kann auf die zu erwartenden Kosten einer Zertifizierung hingewiesen werden. Bei einer Gebäudezertifizierung entstehen dem Bauherrn Kosten für die Registrierung, für den Auditor oder Assessor während des gesamten Zertifizierungsprozesses sowie für das Planungsteam, welches durch die Zertifizierung zusätzliche Leistungen erbringen muss.

Des Weiteren entstehen dem Bauherrn abhängig von Anspruch und Zertifizierungsziel zusätzliche Kosten, die je nach System unterschiedlich sind. So werden bei dem deutschen Bewertungssystem eine Ökobilanzierung und eine LCC abgefragt. Bei LEED sind es zusätzliche Kosten für Energiesimulationen nach ASHRAE und zur Sicherstellung anderer LEED Prerequisites. Bei BREEAM sind zusätzliche Kosten für thermische Simulation, Machbarkeitsstudien, Ökologiegutachten oder LCC möglich. Zu unterscheiden sind grundsätzlich zusätzliche Kosten für Kriterien, deren Einhaltung für eine Zertifizierung zwingend erforderlich ist, von Kriterien, die nicht zwingend erforderlich, also freiwillig sind.

Zusätzlich sollte die Tatsache bedacht werden, dass LEED und BREEAM Systeme sind, die auf englischer Sprache beruhen. Auch das kann, durch einen langsameren Zertifizierungs­prozess und eventuell notwendige Übersetzungen zusätzliche Kosten verursachen.

Welches System für welches Projekt?

Die Ergebnisse der Musterauditierung des Hauptzollamts Rosenheim sind nicht auf andere Projekte übertragbar. Jedes Projekt ist verschieden, hat unterschiedliche Schwerpunkte und sollte aus diesen Gründen individuell betrachtet werden. So kann das optimale Zertifizierungssystem für das Projekt gefunden werden.

Während BREEAM eine eigene Systemvariante für Europa entwickelt hat, die größtmög­liche Flexibilität bezüglich der erforderlichen nationalen Standards in Europa anbietet, gehen das Deutsche Gütesiegel und LEED von den erforderlichen nationalen Standards Deutschland bzw. der USA aus. Für Referenzgebäude in Deutschland war Zertifizierung nach dem Deutschen Gütesiegel Nachhaltiges Bauen naheliegend, da das System deutsche Richtlinien und Standards beinhaltete. Ein Projekt, welches außerhalb Deutschlands mit dem Deutschen Gütesiegel zertifiziert wird, muss jedoch neben den nationalen Vorschrif­ten des jeweiligen Landes auch verschiedene deutschen Normen einhalten, den EnEV Nach­weis erbringen und die deutschen Schall- und Brandschutzbestimmungen berücksichtigen. Das Gleiche gilt für LEED. Bei einem LEED zertifizierten Gebäude in Deutschland müssen neben den in Deutschland gültigen Normen und Bauvorschriften auch die amerikanischen Standards und Normen nachgewiesen werden. Das macht deutlich, dass die Ergebnisse der Musterauditierung nur begrenzt auf Zertifizierungen in anderen Ländern übertragen werden können, da die Standards und Normen in jedem Land unterschiedlich sind.

Die Darstellung der Systemunterschiede macht deutlich, wie wichtig eine vorherige Analyse zu den Zertifizierungssystemen ist, um das passende System für das jeweilige Projekt auszuwählen. Die Frage, wie der Bauherr das richtige System für sein Projekt auswählt, kann mit einer frühzeitigen Untersuchung des Projektes (Gebäude, Nutzung, Baumaßnahmen), der möglichen Systemvarianten, nationalen Standards und der verbreitetsten Systeme in dem Land geklärt wer­den. Zertifizierte Assessoren, die mit mehreren Systemen vertraut sind, können dem Bauherrn hierbei behilflich sein.

Abschließend soll auf die Wichtigkeit der integralen Planung hingewiesen werden. Eine erfolgreiche Zertifizierung erfordert ein integrales Konzept. Die frühzeitige Implementierung nachhaltiger und ganzheitlicher Lösungsansätze ist hierbei von großer Bedeutung.

 

Trend

Zertifizierungssysteme befinden sich in einem konstanten Prozess und werden den steigenden Anforderungen und Umweltbestimmungen angepasst. Nachdem das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen 2008 auf den Markt kam, haben die Zertifizierungssysteme BREEAM und LEED ihre Systeme grundlegend überarbeitet. Der Einfluss des Deutschen Systems ist hierbei unübersehbar.

In der neuen LEED Version wurde jeder Credit mit dem „Environmental Impact Credit Weighting“ einer Gewichtung unterzogen, der die Credits anhand ihres Einflusses auf die Umwelt betrachtet und gewichtet. Dies hat zur Folge, dass sich die Höhe der zu erreichenden Punkte für die Credits verändert hat. Das „Environmental Weighting“, das anhand einer Ökobilanzierung an einem Referenzgebäude vorgenommen wurde, stellt einen geschätzten Umweltfaktor dar.

Auch BREEAM hat 2009 eine neue, überarbeitete Version veröffentlicht. Statt die Materialien ausschließlich nach dem „Green Guide for Specification“ zu bewerten, bietet BREEAM in der neuen Version die Durchführung einer Ökobilanzierung als Alternative an.

An einer Angleichung der europäischen Systeme wird seitens des Dachverbands „Sustainable Building Alliance“ bereits gearbeitet. Auch die Erstellung der Umweltproduktdeklarationen EPD (Environmental Product Declaration) läuft auf europäischer Ebene. Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass sich die Zertifizierungssysteme einander angleichen werden, auch wenn jedes auch in Zukunft spezifische Alleinstellungsmerkmale aufweisen und unterschiedliche Bewertungsmethoden beinhalten wird.


[1] Die Zertifizierung wurde durch DGNB Auditor
Dipl.-Ing. Nikolas Kerz, BBSR ausgeführt
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