Der Diskurs kann eine Auffrischung vertragen
Dipl.-Ing. Thorsten Klooster, Kassel zum Thema „Neue Baustoffe“
„Made from Scratch“ bezeichnet im Englischen in prägnanter Weise etwas, das aus einigen wenigen Grundsubstanzen hergestellt worden ist. Im Allgemeinen wird so dem Selbstgemachten, dem auf qualitätsvolle Weise Einfachen Anerkennung ausgedrückt. Es ist mehr oder weniger die im Bauwesen herrschende Vorstellung von einem idealen Umgang mit Materialien, doch ist das Gegenteil näher an der Realität. Auch in den scheinbar einfachen Materialien, die in unseren Gebäuden Verwendung finden, steckt inzwischen eine Menge technischen Know-hows, um die hohen Ansprüche an eine bestimmte Qualität, Verarbeitbarkeit, Lebensdauer und Umweltfreundlichkeit zu gewährleisten. Diese Mühe soll jedoch nicht sichtbar werden. Hersteller verwenden viel Entwicklungsarbeit darauf, ihre Anwendungen praktikabel erscheinen zu lassen. Und diese Entwicklungsspirale ist schon lange in Gang. Augenblicklich ist die Materialforschung auf der Molekularebene angekommen, auf der elektrostatische Naturkräfte über die im Makroraum relevante Schwerkraft und die Massenkraft dominieren. Viele (neue) Materialien sind daher gleichermaßen durch ihre optischen und physikalischen Makro-Eigenschaften wie durch Skaleneffekte von Mikro und Nano bestimmt.
Materialkonzepte sind in der technischen Forschung, in den Küns-ten und in den Wissenschaften gleichermaßen bedeutend. Neue technologische Entwicklungen an und jenseits der Grenze des Sichtbaren versprechen einer an ihre Grenzen stoßenden Makrowelt die Urbarmachung neuer Parallelwelten in der Physik, Chemie und Biologie. In den angewandten Naturwissenschaften überlagern sich zunehmend Grundlagenwissenschaften und anwendungsorientierte ingenieurwissenschaftliche Strategien. Diese neue Praxis folgt dem Diktum „making is knowing“. Die Stärke künstlerischen Handelns liegt im Spannungsverhältnis eines autonomen Vorgehens unter realen Bedingungen.
Der Diskurs über Materialien im Bauwesen, in der Praxis wie an den Universitäten, kann eine Auffrischung vertragen. Dies kann geschehen, indem sich die Aufmerksamkeit wegbewegt von Wertediskussionen oder Fortschrittsversprechen, als deren Mittler Materialien letztlich meistens verstanden werden, und etwas mehr auf das Machen der Substanzen verlagert. Es stellt sich heraus, dass dieser Weg in jedem Fall aus dem vertrauten Wirkungsfeld herausführt. Denn das Thema Material ist heute von Transdisziplinarität geprägt. Die Materialebene ist eine Ebene des Dialogs. Uns interessiert, ob neue Beziehungen hergestellt oder Fragestellungen aus einer anderen Perspektive betrachtet werden können.
Ein solcher Umgang mit dem Material hilft zu verstehen, was die Dinge sind und sein werden. Es geht darum, mit Positionen zu spielen und Systeme zu verflüssigen. Sich im Dazwischen aufzuhalten – nicht im Faktischen aufzugehen und auch nicht Fluchtpunkt einer anderen imaginierten Welt zu sein – ermöglicht Entwicklung. Erstrebenswert ist es, neue Materialqualitäten und technologische Entwicklungen mit den Möglichkeiten des „do-it-yourself“ – der individuellen Nutzung eines Materials – zu kombinieren.
Der Architekt
Thorsten Klooster ist seit 2002 in der Materialforschung. Er war unter anderem am Berliner Fraunhofer Institut IPK und an der Brandenburgisch Technischen Universität im Fach Baukonstruktion und Entwerfen tätig. Mit der Künstlerin Heike Klussmann gründete er 2009 an der Universität Kassel die inzwischen mehrfach ausgezeichnete Forschungs- und Lehrplattform BAU KUNST ERFINDEN. Zu ihren Arbeiten zählen Materialerfindungen wie BlingCrete – lichtreflektierender Beton, TouchCrete – berührungssensitiver Beton und DysCrete – farbstoffsensitivierter,
energieerzeugender Beton. BAU KUNST ERFINDEN ist der experimentellen Entwicklung neuer Werkstoffe gewidmet und vereinigt Expertisen aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Interaktions- und Industriedesign, Experimentalphysik und Bauchemie. www.baukunsterfinden.org,
www.task-architekten.de