Der Raum ist Klang
Raumakustischer Komfort in Büroräumen

Die Planung von Gebäuden und Räumen, die vor allem kommunikativen Zwecken dienen, stellt die Verantwortlichen zunehmend vor komplexe Herausforderungen. Denn es müssen Faktoren berücksichtigt werden, die von ihrer Charakteristik her ein unsichtbares Phänomen beschreiben und erheblichen Einfluss auf die Nutzungsqualität von Räumen  haben. Die Rede ist von der Raumakustik.

Unter Berücksichtigung von Lern- und Arbeitsbedingungen rücken die raumakustische Ausstattung und ihre Optimierungsmöglichkeiten zunehmend in den Fokus der Planung und Ausführung entsprechender Bauprojekte. Wissenschaft und Forschung liefern einen hohen Erkenntnisstand über die Einflüsse der Raumakustik auf Gesundheit, Wohlbefinden, Lern- und Arbeitsqualität. Daher ist es heute möglich, auch bei sehr komplexen Anforderungen für ein akustisches Raumklima zu sorgen, das sowohl die nutzungs- als auch die normrelevanten Anforderungen an den raumakustischen Kom­fort ausgezeichnet erfüllen kann. Die Grundlage für raumakustische Lösun­gen ist die Physik des Schalls, welcher in Form von Luftschwingungen all-gegenwärtig ist. Die Länge und die Intensität dieser Schallwellen entscheiden über Art, Lautstärke und Charakteristik von Geräuschen oder Klängen. Für den Menschen muss Schall eine spezifische Intensität erreichen, um überhaupt gehört zu werden. Diesen Punkt nennt man Hörschwelle. Sie wird bestimmt von der Tonhöhe (Frequenz, gemessen in Hertz) und der Lautstärke bzw. dem Schalldruck (Dezibel). Das gesunde Ohr nimmt Frequenzen zwischen 20 und 20 000 Hz wahr. Für das Verstehen von Sprache ist es mit einer Hörschwelle um -5 dB im Bereich zwischen 3 000 und 4 000 Hz besonders sensibel. Außerhalb dieses Bereiches sind höhere Lautstärken für die Wahrnehmung nötig.

Wie laut ist was?

130 dB markieren die so genannte Schmerzschwelle. Die Hörbarkeitsgrenze liegt theoretisch bei 0 (bei 1 000 Hz). Gespräche in normaler Lautstärke erreichen eine Lautstärke von 50−55 dB, im Großraumbüro kann der Pegel durch die Gespräche auf über 70 dB ansteigen. Die Erklärung liegt u. a. in einer als Lombard-Effekt beschriebene Rückkopplungsschleife, bei der die Sprecher sowohl die Lautstärke als auch die Stimmlage erhöhen, um sich gegen die durch das gleichzeitige Sprechen anderer Personen erzeugten Umgebungsgeräusche besser durchzusetzen. Während dieser Geräuschpegel bei ungüns-tiger und nichtregulierter Raumakustik die Tendenz hat, sich hochzuschrauben, können effektive Maßnahmen der Raumakustik ihn komplett eliminieren oder sogar umkehren. Werden Geräusche noch lauter als der Schallpegel im Großraumbüro, erreichen sie die Dimension des Lärms. Nach der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutz-Verordnung, kurz „LärmVibrationsArbSchV“ ist Gehörschutz bei 80 dB und mehr vorgeschrieben, da sich diese Pegel in der zeitlichen Betrachtung negativ auf unser Hörvermögen auswirken.

Seitens des Gesetzgebers sollen durch die Vorgaben der weitverbreiteten Lärmschwerhörigkeit entgegen gewirkt werden, die zu den häufigsten Berufskrankheiten zählt. Weitere Ursachen für diese unmittelbaren Schädigun­gen des Gehörs sind Umgebungs- und Freizeitlärm. Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche gelten als aurale Auswirkungen vor allem von Dauerlärm. Die extra-auralen Folgen sind dagegen vielschichtiger und entstehen zum Teil auch im Zusammenspiel mit anderen Ursachen sowie der individuellen gesundheitlichen Verfassung und Schallempfindlichkeit. So löst ein Geräuschpegel ab 35 dB psychische Reaktionen aus, die sich vielfach unbewusst auf die Konzentrationsfähigkeit und die Stresssituation nachteilig auswirken.

Ab 65 dB, die mühelos im Arbeits- und Lernalltag erreicht werden, kommt es zu vegetativen Reaktionen des Körpers, die in ers-ter Linie den Blutdruck und das Herz-Kreislauf-System belasten. Die Symptome der psychophysiologischen Reaktionen sind vielfältig und reichen unter anderem von Konzentrations- und Schlafstörungen über erhöhten Blutdruck und Pulsschlag bis hin zu ernsten kardiovaskulären Erkrankungen.

Verantwortlich dafür sind Emotionen und Stressreaktionen, die sowohl durch Lärm, als auch durch ungünstige akustische Bedingungen in räumlichen Umgebungen ausgelöst werden. Bereits 1974 wurde im Rahmen der Studie „Effect of noise on intellectual performance“ (Neil D. Weinstein, University of California, Berkeley) die Arbeitseffektivität im Großraumbüro (55−70 dB) gegenüber dem Einzelbüro (35 dB) untersucht. Die Probanden mussten Fehler in Schriftstücken finden. Im Großraumbüro sank die Trefferquote bei Rechtschreibfehlern von 90 % auf 80 %, bei logischen Fehlern sogar von 72 % auf 36 % – das entspricht also einer Leistungseinbuße von 50 %. Bis heute folgten zahlreiche weitere Studien, die sich nicht nur im Hinblick auf nationale und internationale Bildungsdiskussionen auf die Konzeption und Gestaltung von Lehr- und Lernräumen mit extrem komplexen Anforderungen an die Raumakustik konzentrierten. Dazu zählt auch das Projekt des Instituts für Interdisziplinäre Schulforschung (ISF) über die „Akustische Ergonomie der Schule“, in dem die physiologische Arbeitsbelastung und -beanspruchung durch den Geräuschpegel im Klassenraum analysiert wurde.

Es konnte nachgewiesen werden, dass unter unzureichenden akustischen Bedingungen die Arbeitsbeanspruchung der Lehrkräfte unnötig hoch ist. Kontinuierliche Messungen der Herzfrequenz zeigten ein deutlich entspannteres Arbeiten unter der niedrigeren Geräuschkulisse in akustisch ausgewogenen Klassenräumen sowie eine geringere Empfindlichkeit gegenüber dem Stressor Lärm. Alle diese Erkenntnisse haben neben den Aspekten der Gesundheit und Lebensqualität auch entscheidenden Einfluss auf die Wertschöpfungsprozesse, die neben der Arbeitszufriedenheit und -effektivität auch weitreichende volkswirtschaftliche Auswirkungen haben. Daher kommt Planern in diesem Zusammenhang eine große Verantwortung zu.

Das Vorbild ist die Natur

Einer natürlichen Akustik entspricht die Schallminderung im Freifeld. Damit wird die Ausbreitung des Schalls unter freiem Himmel beschrieben, wo keine störenden und die Schallwellen reflektierenden oder umlenkenden Effekte auftreten. Demnach nimmt der Schallpegel um 6 dB pro Abstandsverdoppelung ab. Diese akustische Regel dient allen hörenden Lebewesen dazu, Entfernun­gen und Richtungen einzuschätzen. Sie ist evolutionär gelernt und hilft dem Gehirn, in Gefahrensituationen blitzschnell über „Fight or Flight“ zu entscheiden. Der Begriff wurde von dem amerikanischen Physiologen Walter Cannon geprägt, der zu den Pionieren der Stressforschung zählt.

Bei der Fight-or-flight-Reaktion erhöhen sich durch Ausschüttung von Adrenalin und weiterer stoffwechselanregender Hormone Herzschlag, Muskeltonus und Atemfrequenz. Damit wird ein der jeweiligen Stresssituation angemessenes Verhalten sichergestellt. Länger andauernder Stress stellt eine Gefahr für die Gesundheit dar und löst die eingangs beschriebenen extrauralen Lärmfolgen aus. Zurück zur Natur: Was bedeutet das für die akustische Gestaltung von Räumen? Der klassische Raum ist begrenzt durch sechs schallharte Begrenzungsflächen. Dabei kommt dem Boden eine eher untergeordnete Bedeutung zu, da sich der Einsatz von Teppichböden zwar auf den Tritt- und Gehschall, aber kaum auf die Raumakustik auswirkt. Die schallharten Wände wirken gleich einem Billardeffekt vielfach schallreflektierend. So können Wände als akustische Begrenzungsflächen gezielt eingesetzt werden. Möbel erfüllen überwiegend die Funktion der Schirmung, bewirken akustisch jedoch häufig eher den Effekt der Schalldurchmischung. Der ­Fokus der Raumakustik liegt daher auf der Decke.

Akustisch-ergonomische Raumgestaltung

Durch diese umfassende Erkenntnislage hat die Raumakustik in den letzten Jahren bei der Beurteilung der baulichen Qualität nicht nur von Schulungs- und Kommunikationsräumen sehr stark an Bedeutung zugenommen. Auch das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat dazu die maßgebliche Raumakustiknorm DIN 18041 weitgehend überarbeitet und für viele Raumtypen die Anforderungen an eine nutzungsorientierte Raumgestaltung neu definiert. Hierbei wurden auch die verschiedenen Aspekte der Inklusion und somit die für die Planung von Räumen für sprachliche Kommunikation für Personen mit einem erhöhten Bedürfnis nach guter Hörsamkeit notwendigen Ansprüche berücksichtigt. Insofern schafft zuerst die genaue Betrachtung der Kommunikationsvorgänge, die in den jeweiligen Räumen realisiert werden sollen, die Grundlage für die nutzerorientierte, akustisch-ergonomische Raumgestaltung.

Bei der konkreten Planung und Ausführung der raumakustischen Einrichtung rücken dann die verschiedenen Größen und Kriterien in den Mittelpunkt. Die in der Wissenschaft zentrale raumakustische Größe ist die „Nachhallzeit“ des Raumes. Damit wird die Zeitspanne bezeichnet, innerhalb der ein Geräusch in einem Raum um 60 dB abklingen kann. Allgemein gilt: Je kürzer die Nachhallzeit, desto schneller der Schallabbau und „trockener“ der Raumeindruck und desto besser die Sprachverständlichkeit. Die optimalen Nachhallzeiten für unterschiedliche Nutzungsarten werden in der Neufassung der DIN 18041 definiert. Ein weiteres Kriterium der akustisch-ergonomischen Raumgestaltung ist die „Sprachverständlichkeit“. Sie kennzeichnet den Prozess, durch den es einem Menschen ermöglicht wird, klar und deutlich zu hören was gesagt wird und den Kontext des gesprochenen Wortes vollkommen zu verstehen. Dabei kommt es neben einem ausreichenden Lautstärkeunterschied zwischen Signal und Störgeräusch auf die Klarheit an. Die „Hörbarkeit“ ist demgegenüber die Eigenschaft des Lautes, die es ermöglicht, ihn zwischen anderen Lauten herauszuhören. Kurz: Klarheit + Hörbarkeit = Sprachverständlichkeit.

Die Theorie ist jedoch nicht alles. Erst durch die ganzheitliche Betrachtung der subjektiven Empfindung in einem Raum lassen sich die entsprechenden Parameter zur raumakustischen Optimierung erfassen. Der raumakustische Komfort beschreibt demnach eine optimale akustische Arbeitsumgebung, die durch die Eigenschaften Halligkeit, Deutlichkeit, Grundgeräusch und räumliche Pegelminderung definiert ist. Daher bedarf es stets mehrerer Perspektiven, um die notwendige Unterstützung durch den Raum objektiv zu erfassen. So ist die räumliche Pegelminderung besonders in modernen Bürosituationen (Open Plan Office) von Bedeutung, wenn ein Konflikt von Konzentration und Kommunikation zu vermeiden ist. In Standard-Kommunikationsräumen dagegen ist eher eine sehr gute Deutlichkeit des Sprachsignals auch bis in den hinteren Raumbereich gefordert. In den wenigsten Fällen kann ein Raum allein durch eine objektive Größe (z. B. Nachhallzeit) definiert werden. Aufgrund der jeweils unterschiedlichen nutzungsspezifischen und baulichen Ausgangssituation gibt es in der Raumakustik nicht die standardisierte Lösung. Zu sehr unterscheiden sich Räume in ihren Strukturen und den höchst differenzierten Tätigkeiten ihrer Nutzer, so dass die Anforderungen zur Schaffung einer behaglichen Arbeitsumgebung jeweils individuell definiert werden müssen. Dennoch dürfen die Raumdecken grundsätzlich als die Raumbegrenzungen mit der größten und effektivsten Wirkung gelten. Sie bieten die akustisch vielfältigsten und wirksamsten Einflussnahmen auf die Raumakustik.

Die Natur ist das Vorbild. Dabei ist es grundsätzlich wichtig, den Geräuschpegel und die Gesprächslautstärke niedrig zu halten, um somit störende Einflüsse auf angrenzende Arbeitsbereiche zu verhindern. Der effektivste Weg dorthin ist die Belegung der Deckenfläche in Kombination mit definierten Flächen an der Wand mit Absorbern. Für diese, wie auch für die Schirmung einzusetzende Stellwände zwischen Arbeitsplätzen gilt, dass sie über bestmögliche schallabsorbierende Eigenschaften im sprachrelevanten Frequenzbereich verfügen sollten. Dies bedeutet konkret einen linearen Absorptionsverlauf im Frequenzbereich von 250 Hz bis 4000 Hz. Während es dabei in geschlossenen Besprechungsräumen wichtig ist, neben der akustischen Deckenbelegung auch die Schallreflexionen von einer Wand zur anderen zu vermeiden, indem zwei orthogonal zueinanderstehende Wände mit einem Wandabsorber belegt werden, kommt es in offenen und halboffenen Bereichen darauf an, dass der Schall sich nicht ungehindert im Raum ausbreitet. Hierbei entscheidet in erster Linie das Absorptionsvermögen der Deckenfläche. Sie stört in Abstimmung mit dem gezielten Einsatz von Stellwänden die Ausbreitung des Sprachschalls eines Arbeitsplatzes in die Raumtiefe.

Ideal in ihrer Wirkung zeigen sich hier Materialien, welche durch eine mikroporöse Oberfläche den Schall unabhängig vom Einfallswinkel aufnehmen und nicht durch eine offen sichtbare Lochung den Schall teilweise wieder in den Raum lenken. Selbst im Fall einer betonkernaktivierten Decke oder einer nur teilweise zu belegenden Deckenflächen gibt es Lösungen. Hier bieten sich in der Kombination aus Deckensegeln, Wandpaneelen und Stellwänden zahlreiche Möglichkeiten für Design und Funktionalität, so dass es inzwischen für jede Anforderung eine raumakustische Lösung gibt, die den heutigen Ansprüchen und Normvorschriften nicht nur entspricht, sondern diese in vielen Fällen sogar übertrifft.

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