Des Viertels Kern
Konversion der Kirche St. Sebastian, Münster
Schon einmal stellten wir den Umbau der ehemaligen Filialkirche St. Sebastian in Münster in eine Kindertagesstätte vor. In der Ausgabe 08/2013 führten wir mit Peter Wilson, der mit seinem Architekturbüro Bolles + Wilson den Umbau realisierte, ein ausführliches Interview zu seinem Entwurfskonzept. Nun wollen wir die konstruktiven Feinheiten näher beleuchten.
Die vormalige Ovalkirche, gleichwohl nicht äußerlich ablesbar, stand auf einem Sockel. Man gelangte über eine flache Rampe in sie hinein und ihr nicht unter-kellerter Innenraum lag etwa einen Meter über dem Gelände. Zum einen sollte die Kindertagesstätte nun bündig mit dem Erdboden angelegt sein, zum anderen erforderte der Entwurf einen tragfähigen Untergrund, wofür der Bestand nicht ausgelegt war. Die Ausschachtungsarbeiten erfolgten innerhalb des vorhandenen aufgehenden Sockelovals und führten bis hinab zu dem umlaufenden Streifenfundament. In dieses goss man eine 30 cm starke Betonplatte aus wasserun-durchlässigem Beton, bevor man darauf die neuen Einbauten errichtete. Ablesbar sind Ausschachtungsarbeiten an dem alten ehemals dreieckigen und bodenbündigen Kirchenfenster. Bei der Niveauabsenkung hätte man, unter Weiterführung der seitlichen Fensterneigungen, schräg nach unten die Fundamente beschneiden müssen. Deshalb knickt die Öffnung im Sockelbereich nun vertikal ab und das neue Erdgeschossfenster bildet hier kein Trapez, sondern ein Sechseck.
Haus im Haus
Die innerhalb des Kirchenrundes gelegenen Bereiche der KiTa sind als Haus-im-Haus angelegt. Die bestehende Außenschale hat weder eine statische noch eine wärmedämmende Funktion. Eine 14 cm starke Dämmung aus Mineralwollplatten trennt den Bestand und die eigentlichen Kalksandsteinwände der Kindertagesstätte. Um effektiv die vorgegebene Mauerkrümmung zu adaptieren, wählten die Architekten Vollsteine des Formates 3 DF (175/240/113 mm). Innerhalb des alten Kirchenbaus ist der Kinderhort 2-geschossig, ein äußerer 1-geschossiger Annexbau birgt die Verwaltung und eine kleine Turnhalle. Das „innere“ Erdgeschoss nimmt vollständig die alte ovale Grundfläche ein, hier sind drei Gruppen untergebracht; in seinem Obergeschoss wurden Räume für zwei Gruppen angelegt. Die restliche Fläche sowie das „eingehauste“ Flachdach darüber bietet eine große Spielfläche für die Kinder.
Innen wird außen
Markant für die ehemalige Kirche waren die zahllosen kleinen quadratischen Fensteröffnungen, die ihren Innenraum belichteten. Aus diesen ließen die Architekten das Glas entfernen, sicherten sie lediglich mit Vogelschutzgittern und schufen damit einen „frei bewitterten“ Raum. Tatsächlich besitzt dieser ungemein hohe und überaus helle „Außen“-Raum mit der alten, über 50 cm starken Bestandswand eine ungeahnte thermische Qualität: im Winter wird es bei weitem nicht so kalt und im Sommer nicht so heiß. Durch die perforierten Außenwände kann jedoch nicht nur frische Luft, sondern auch Niederschlag eindringen. Entsprechend ist der geschützte Spielbereich drainiert, um Schlagregenereignisse und winterliche Flugschneeeinträge zu entwässern.
Raumakustik
Um die Innenwandflächen des ovalen Zylinders zu gestalten, aber auch um die Akustik gerade von lärmenden Kindern in den Griff zu bekommen, brachten die Architekten graue Akustikplatten daran an. Die so farblich abgesetzten Wandflächen formen stilisierte Tierfiguren, etwa einen Elefanten.
Schon bei der Erbauung der Kirche hatte man akustische Maßnahmen gegen den hallenden Effekt ergriffen und den Altarbereich mit einem Spritzputz versehen, den man
seinerzeit in dieser Hinsicht für besonders
innovativ hielt: Asbest. Seine unerwartete Entdeckung im Zuge der Sanierung und die korrekte Beseitigung bescherten den Architekten und Investoren einige Aufregung und Mehrkosten.
Neues Dach
Um die inneren Spielflächen ausreichend zu belichten, sahen die Architekten im vorhandenen Kirchendach zwei durchlaufende Oberlichtbänder vor. Ein statisches Gutachten wies jedoch nach, dass das alte Dach dafür nicht ausgelegt war. Die Konstruktion musste durch 20 cm starke Leimholzbinder ersetzt werden, die weiterhin auf den vormaligen Auflagern sitzen. Dieses empfahl sich auch aus der Konstruktion des Altbaus, der aus Betonstützen bestand, deren Kopfpunkte die Dachauflager bildeten. Die Zwischenräume hatte man mit Kalksandstein ausgefacht und davor eine Ziegelvormauerschale gestellt. Die
neuen Oberlichter sitzen oberhalb der neuen Dachschalung auf erhabenen Metallrahmen mit lamellenartigen, waagerechten Öffnungen. Mit dem realisierten Luftwechsel gilt das Bestandsvolumen auch brandschutztechnisch nunmehr als Außenraum.
Gegenfinanzierung
Auch wenn der Erhalt des Bestandes grundsätzlich als nachhaltiger und somit langfristig als günstiger zu bewerten ist, so war der Kirchenumbau von den realen Kosten her doch teurer als ein Abriss und ein kompletter Neubau. Doch zu dem Grundstück gehörte auch ein Pfarrzentrum, das im Zuge der Sanierung abgerissen wurde. An seiner Stelle entsteht derzeit ein 3-geschossiger Ge-bäuderiegel mit insgesamt 53 Eigentumswohnungen. Da diese eine attraktive Lage zur Münsteraner Innenstadt aufzuweisen haben, hofft der Investor damit die angefallenen Mehrkosten zu kompensieren.
Attraktiv dürfte der Ort gerade für ältere Quartiersbewohner sein: des Viertels Kern, die Silhouette der Kirche, blieb erhalten.