Ein Portal für den Stahl
Voest Zentrale, Linz/A

Mit der neuen Verkaufs- und Finanzzentrale der Voest­Alpine Stahl GmbH setzten Dietmar Feichtinger Archi­-tec­tes eine Landmark aufs Linzer Werksgelände. Das bogenförmige Gebäude mit der spektakulär weit auskragenden, gläsernen Spitze ist ein Referenzobjekt für den Werkstoff Stahl. Außerdem bildet es ein signifikantes Portal und spannt zwischen der Konzernzentrale im „blauen Turm“ und der neuen Stahlwelt einen weitläufigen Platz auf.

„Willkommen“ steht in über 50 Sprachen auf einem der Gasometer der Voestalpine: Fast jeder, der nach Linz kommt, sieht ihn. Der Konzern ist ein Synonym für die österreichische Stahlindustrie und ein Stück nationaler Identität. 2002 startete die Division Stahl ihre bis dato größte Investitionsoffensive, das Programm „Linz 2010“. Fast drei Milliarden Euro steckte man in die Produktion. Hochöfen, Stahl- und Walzwerke, Sinteranlagen, Tanks und Schlote aus mehreren Dekaden prägen das Areal, das etwa fünf Quadratkilometer groß und von Schienen, Straßen, Park- und Freiflächen durchzogen ist. An die 10 000 Menschen arbeiten hier, pro Jahr werden über fünf Millionen Tonnen Stahl erzeugt und zu hochwertigen Produkten verarbeitet.

Ende 2005 lud die Voestalpine AG die Büros Baumschlager & Eberle, Dietmar Feichtinger Architectes, Henke & Schreieck, Ortner & Ortner, RieplRiepl und Schremmer-Jell zum Wettbewerb. Gefragt war eine neue Verkaufs- und Finanzzentrale für etwa 430 Mitarbeiter mit 700 Stellplätzen, werkseigenem Archiv, Bank, Reisebüro, Werbemittelausgabe, sowie Shop und Büro des Cateringunternehmens Caseli.

Goldener Bogen um eine grüne Mitte

Der Bauplatz liegt an der Stahlstraße, die den öffentlich zugänglichen Bereich von der Kernproduktion trennt, am nördlichen Rand des Geländes. An der Zufahrt steht der mit blauen Blechpaneelen verkleidete „blaue Turm“ aus den 70ern, der vierstöckig geplant und auf 16 Geschosse aufgestockt wurde. Ein Gleisbogen begrenzt den Bauplatz im Norden, seinen südlichen Abschluss bildet die skulpturale neue Stahlwelt, die von Schremmer-Jell geplant und gleichzeitig mit der Verkaufs-und Finanzzentrale von Dietmar Feichtinger Architectes eröffnet wurde. Der bogenförmige Neubau mit der gelb beschichteten Streckmetallhaut wird zur unverkennbaren Landmark und zum Referenzobjekt für den Werkstoff Stahl. Städtebaulich wirkt er als Gegengewicht zum vertikalen Turm. Der bekam ein neues Foyer mit weit auskragendem Vordach, das mit der spektakulären gläsernen Spitze der Verkaufs- und Finanzzentrale ein signifikantes Portal ausbildet. Gleichzeitig spannt ihr Bogen einen hochwertigen Freiraum auf. „Das Grundstück war ein riesiger Parkplatz, man konnte meinen, hier würden Autos produziert“, so Dietmar Feichtinger. „Wir wollten einen Ort ausbilden, der Identität stiftet. Wesentlich waren auch eine gewisse Intimität und das Wechselspiel zwischen vertikal und horizon­tal.“ Der eigentliche Clou des Entwurfs liegt im Sockel: das ursprüngliche Gelände wurde um einen Meter auf ein neues Niveau angehoben, unter dem 638 Stellplätze in einer taghellen, luftigen Garage verschwinden. Ihr begrüntes Flachdach bildet einen attraktiven Freiraum, der von Lichthöfen durchbrochen ist, die Blickbezüge zwischen oben und unten zulassen. Zwischen „blauem Turm“ und Stahlwelt spannt der schimmernde Bürobogen nun einen Park auf, der mit seinen 18 000 m² eineinhalb mal so groß ist wie der Linzer Hauptplatz. Das Wegenetz am grünen Teppich bindet den schlanken, zweistöckigen Büroriegel des Caseli-Catering mit dem Ladehof ein und schafft eine fußläufige Verbindung zwischen allen Gebäuden. Die grüne Mitte wird zur regenerativen Oase und zum Symbol für das Umweltbewusstsein des Betriebs, der erfolgreich seine Abluft reinigte.

In formvollendeter Eleganz schweben die vier Büroebenen über dem gläsernen Sockel, der in sachtem Bogen von der Einfahrt an der Nordseite des Platzes westwärts gleitet. Sein Radius nimmt an den Bahngleisen Maß, die eine Schlüsselrolle am Werk spielen und die Grenze des Areals bezeichnen. Die 172 m Länge im Sockel, die dank der schräg auskragenden Gebäudeenden im vierten Obergeschoss 202 m beträgt, verliert sich in der weichen, dynamischen Rundung, die von jedem Punkt aus anders wirkt und in 18 m Höhe auf den gläsernen Spitz des Vordachs zuläuft. Fast 34 m kragen die zwei Fachwerkträger aus, zwischen denen sich vor dem großen Konferenzsaal eine weitläufige Terrasse ausbreitet, wo einem das Werk zu Füßen liegt.

„Allein im Spitz sind 500 Tonnen Stahl verbaut, das entspricht dem Rest des Gebäudes“, sagt Dr. Johann Allerstorfer, der Projektleiter der Voestalpine Stahl GmbH. Die Lasten werden von den diagonalen Unterzügen in die kreuzförmigen Druckstützen im Foyer abgetragen und ins Fundament abgeleitet. Unter dem riesigen Baldachin aus Streckmetall und Neonröhren schreitet man auf leicht ansteigen­den, anthrazitgrauen Betonplatten in das hohe, rundum verglaste Foyer, wo Außen und Innen zu verschmelzen scheinen. Dem Bitumenterrazzo am Boden sind Zuschlagstoffe aus der Hochofenschlacke beige­mengt, das Empfangspult aus beschichtetem Grobblech wirkt sehr edel, ein Panoramalift führt direkt nach oben.

Vielfach synergetisch

Die platzseitige Sockelzone wird von den vorspringenden Büroebenen beschattet und so in eine 172 m lange, gedeckte Passage verwandelt. Ihre Glasfassaden sind mit weißen Streifen bedruckt, die an Strichcodes erinnern. Diese Semitransparenz macht Archiv, Reisebüro, Bank, Werbemittelausgabe und Bibliothek unterscheidbar und vermittelt zugleich eine übergeordnete Corporate Identity. Konstruktiv besteht das Gebäude aus Stahlstützen, die Decken aus Sichtbeton wirken als Speichermasse und liegen auf beidseitig auskragenden Querträgern aus Stahl. Sie verjüngen sich zum Rand und sind von Löchern perforiert, durch die Leitungen geführt werden. Alle Installationen sind offen an der Decke verlegt und mit Streckmetall verkleidet, das auch zur Verbesserung der Akustik eingesetzt wurde.

Vier durchgehende Atrien von etwa 8x8 m bilden die lichten Inseln im 20 m breiten Gebäude. Das Oberlicht, welches zu öffnen ist, lässt Brandrauch und verbrauchte Warmluft entweichen, eine Spaltlüftung ermöglicht die Nachtkühlung. Rund um die hohen, hellen Lufträume formieren sich gelbe, grüne und orange Teeküchen, Drucker, Kopierstationen, Archivschränke und Besprechungsräume am Parkett der offenen Mitte, die so zum kollektiven Wohnzimmer wird. An ihren Rändern erschließen durchgehende Läufer aus grauem Teppichbelag die Büros, wo grau in vielen Nuancen den Ton angibt: metallbeschich­tete Kunststoff-Stores als innenliegender Sonnenschutz, Sichtbeton, Streckmetall, anthrazitgraue Möbel. Die Büros sind mindestens 3,20 m breit, 5 m lang, werden von ein bis vier Personen genutzt und liegen an Sonne und Aussicht.

Die Fassaden folgen einem Raster von 1,60 m, die in je zwei raumhohe Isolierglasscheiben und einen Lüftungsflügel aus anthrazitgrauem Metall unterteilt sind. Öffnet man ihn, lässt sich wie in einem französischen Fenster an einer Brüstung im Freien stehen. Schmale, geschosshohe Paneele aus Streckmetall bilden den außenliegenden Sonnenschutz. Ihre gelbe Beschichtung lässt den Bürobogen gold schimmern. Der werkraum Wien errechnete die Statik für die abgehängten, rahmenlosen Elemente, die als Prototypen entwickelt und mit Diagonalstreben ausgesteift wurden.

Auch für die Gestaltung von Atrien und Park gab es einen Wettbewerb, bei dem die französischen Landschaftsplaner H.Y.L. siegten. Die Atrien sollen mit Stahlseilen bespannt und mit Farnen aus Brasilien, Australien, Afrika und Japan bewachsen werden. Im Park werden Blutahorn, rote, blau blühende, grüne Gewächse und ein stilisierter Erzberg von den Heiß- und Kaltphasen erzählen, die der Stahl durchläuft. Isabella Marboe, Wien

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