Freie Mitarbeit oder
Scheinselbständigkeit
In der Wirtschaft besteht unter anderem aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen eine starke Neigung, Arbeitsverhältnisse durch selbständige Beschäftigungsformen zu ersetzen. Tätigkeiten, die früher durch Arbeitnehmer ausgeführt wurden, werden auf so genannte Subunternehmer oder freie Mitarbeiter übertragen.
In der Wirtschaft besteht unter anderem aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen eine starke Neigung, Arbeitsverhältnisse durch selbständige Beschäftigungsformen zu ersetzen. Tätigkeiten, die früher durch Arbeitnehmer ausgeführt wurden, werden auf so genannte Subunternehmer oder freie Mitarbeiter übertragen.
Allzu häufig werden jedoch die sich daraus ergebenden, teilweise existenzbedrohlichen wirtschaftlichen Folgen übersehen. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen „Voll‑Schein-
selbständigen“ (§ 7 Abs. IV SGB IV), die allen Zweigen der Sozialversicherung unterliegen (Kranken‑, Pflege‑ und Rentenversicherung), und so genannten „arbeitnehmerähnlichen Selbständigen“ die lediglich rentenversicherungspflichtig sind (§ 2 Nr. 9 SGB VI). Der
Sozialversicherungsträger hat von Amts
wegen zu prüfen, ob ein ihm bekannt gewordenes Beschäftigungsverhältnis der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Die Frage nach einer Scheinselbständigkeit wird dabei in zwei Schritten geprüft.
Erster Prüfungsschritt
Der Sozialversicherungsträger hat die Ein-
ordnung des Beschäftigungsverhältnisses unter Mithilfe des Betroffenen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu treffen. Dabei untersucht er, ob der Betroffene die typischen Merkmale unternehmeri-
schen Handelns, die Erbringung von Leis-
tungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung aufweist und inwiefern von ihm ein unternehmerisches Risiko getragen wird. Für eine Sozialversicherungspflicht des Betroffenen spricht hingegen eine Tätigkeit nach Weisung unter gleichzeitiger Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Weisungen können dabei insbesondere die Zeit, den Ort und die Dauer der Tätigkeit betreffen. Der frühere Vermutungskatalog ist zwar mit Neufassung des Gesetzes entfallen, die darin enthaltenen Indizien sprechen aber weiterhin für eine Scheinselbständigkeit:
Der auf diese Weise scheinselbständige Unternehmer beschäftigt im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der Regel keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis aktuell 400,00 € übersteigt. Auch Familienangehörige kommen als Arbeitnehmer nicht in Betracht.
Eine Scheinselbständigkeit liegt auch
vor, wenn die Tätigkeit auf Dauer und im
Wesentlichen nur auf einen Auftraggeber ausgerichtet ist. Bei der Auslegung des Begriffs „im Wesentlichen“ gehen die Sozialversicherungsträger von einem Anteil von 5/6 des Umsatzes mit einem Auftraggeber aus. Es genügt dann nicht, weitere vertragliche Auftragsverhältnisse pro forma anzugeben, die Auftraggeber müssen vielmehr tatsächlich nachgewiesen werden.
Ein weiteres Kriterium liegt vor, wenn der Auftraggeber weitere Mitarbeiter beschäftigt, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der vermeintlich Selbständige.
Relativ klar liegt die Sache auch, wenn
die angeblich selbständige Tätigkeit die typischen Merkmale unternehmerischen Handels nicht erkennen lässt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Prüfling in die Strukturen sowie die Hierarchie des Auftraggebers eingebunden ist und de facto dessen Weisungen unterliegt.
Scheinselbständige tragen außerdem
mit Blick auf ihre Tätigkeit kein unterneh-
merisches Risiko. Hat der Auftragnehmer
seine jetzige Tätigkeit beim Auftraggeber
zuvor als dessen Arbeitnehmer verrichtet, spricht ebenfalls einiges für das Vorliegen
einer Scheinselbständigkeit.
Zweiter Prüfungsschritt
Ergibt die Prüfung des Sozialversicherungsträgers, dass eine echte Selbständigkeit vorliegt, bleibt die Frage zu klären, ob trotz Selbständigkeit eine Rentenversicherungspflicht besteht? Dabei ist zu untersuchen, ob der Selbständige ein so genannter „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ ist und in dieser Eigenschaft der Rentenversicherungspflicht unterliegt.
Arbeitnehmerähnlich selbständig sind Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis aktuell 400,00 € im Monat übersteigt und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI).
Kommt der Sozialversicherungsträger zu dem Ergebnis, der Betroffene unterliege der Rentenversicherungspflicht, besteht dennoch ein Ausweg. Arbeitnehmerähnliche Selbständige können sich auf Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen (§ 6 Abs. 1 a SGB VI). Dies gilt insbesondere für erstmalige Existenzgründer für die ersten drei Jahre ab Aufnahme der Selbständigkeit sowie gegebenenfalls für drei weitere Jahre (Existenzgründer 2. Versuch). Ferner besteht eine generelle Befreiungsmöglichkeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres, wenn der Betroffene bereits selbständig tätig gewesen und erstmals als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger versicherungspflichtig ist. Ebenfalls können sich so genannte gleichwertig Versicherte, die eine vergleichbare
Altersversorgung oder eine betriebliche Altersversorgung aufweisen, von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Einen Sonderfall stellt der vom Arbeitsamt geförderte Existenzgründer dar. Personen, die für ihre selbständige Tätigkeit einen Zuschuss nach § 421 l Abs. 1 SGB III erhalten, gelten (widerlegbar) in dieser Tätigkeit und für die Dauer des Bezugs als Selbständige.
Verfahren
Um diese komplexe Fragenstellung rechts-
sicher für die Zukunft zu beantworten, hat der Gesetzgeber das so genannte Anfrageverfahren eingeführt. Im Anfrageverfahren können Beteiligte eines neu zu schließenden Vertragsverhältnisses bei der Deutschen Rentenversicherung Bund innerhalb eines Monats nach der Aufnahme der Tätigkeit eine
für alle Sozialversicherungsträger verbindliche Statusentscheidung beantragen.
Stimmt der Beschäftigte dem Verfahren zu, und hat der Beschäftigte eine vertragliche Absicherung, die ihrer Art nach den Leistungen der gesetzlichen Kranken‑ und Rentenversicherungspflicht entspricht, getroffen, tritt die Versicherungspflicht erst mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung ein. Der Vorteil besteht darin, dass die Sozialversicherungsbeiträge erst in dem Moment fällig werden, in dem eine unanfechtbare Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund vorliegt. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass Widerspruch und Klage nach der neuen gesetzlichen Regelung eine aufschiebende Wirkung entfalten.
Schlechter gestellt ist hingegen der Be-
troffene, wenn die Versicherungspflicht erst nachträglich, zum Beispiel im Rahmen einer Betriebsprüfung, festgestellt wird. Nur wenn für den Zeitraum zwischen Arbeitsbeginn und rechtskräftiger Entscheidung eine der gesetzlichen Kranken‑ und Rentenversicherung vergleichbare Versicherung bestand, der Beschäftigte zustimmt und die Beteiligten weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt haben, treffen den Arbeitgeber nicht die nachteiligen Auswirkungen und Folgen. Eine fehlerhafte Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses führt beim Arbeitgeber häufig zu schweren wirtschaftlichen, teilweise seine Existenz bedrohenden Folgen.
Sozialrechtliche Konsequenzen
Der Arbeitgeber ist zur Nachzahlung der
gesamten Sozialversicherungsabgaben,
rückwirkend für bis zu vier Jahre verpflichtet. Dabei muss der Arbeitgeber sowohl die Arbeitgeber‑ als auch die Arbeitnehmeranteile übernehmen. Lediglich die Arbeitnehmeranteile für die vergangenen drei Monate lassen sich mit dem Gehalt des ehemaligen Angestellten verrechnen.
Steuerrechtliche Konsequenzen
Wird die Unternehmereigenschaft „umsatzsteuerlich verneint“, fällt die Berechtigung des Auftraggebers zum Vorsteuerabzug nachträglich weg. Der Auftraggeber muss die gesamte abgezogene Vorsteuer für alle noch nicht veranlagten Jahre zurückzahlen. Wird, was in der Regel der Fall sein wird, auch die einkommensteuerrechtliche Unternehmereigenschaft des Freien verneint, so haftet der Auftraggeber für die noch nicht abgeführte Lohnsteuer.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen
Wird auch arbeitsrechtlich die Arbeitnehmereigenschaft des „neuen“ Angestellten
bejaht, so genießt der Scheinselbständige alle Rechte eines Arbeitnehmers, einschließlich Kündigungsschutzes, Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Resümee
Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes sind die Sozialversicherungsträger verpflichtet, ein ihnen bekannt gewordenes Beschäf-
tigungsverhältnis auf das Bestehen einer
Versicherungspflicht zu untersuchen. Dem Arbeitgeber ist deshalb dringend anzuraten, bei Unklarheiten bezüglich der Versicherungs-
pflicht innerhalb eines Monats das Anfrageverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einzuleiten.
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