Gebäudegebirge
Salewa-Headquarter, Bozen/IT

Bild und Funktion: Cino Zucchis Gebäudegebirge sollte die Marke eines Bergsportspezialisten sinnlich erfahrbar machen. Dies gelingt und erfüllt darüber hinaus einen erweiterten Nachhaltigkeitsbegriff.

Reinhold Messner als Preisrichter neben renommierten Baumeistern wie Walter Agonese oder Martha Schreieck bei einem internationalen Architekturwettbewerb? Dass er an Baukunst interessiert ist, weiß man seit seinem monumentalen Projekt Messner Mountain Museum, das an fünf teilweise in 2 000 m Höhe gelegenen Standorten in den Provinzen Südtirol und Belluno gemeinsam ein Bergmuseum darstellen soll. Doch als der Südtiroler Vorzeigeunternehmer Heiner Oberrauch dem ehemaligen Extrembergsteiger angeboten hatte, Jurymitglied zu werden, appellierte er in ureigenster Sache: Es ging um die Zentrale einer Firma, die sämtliche Ausrüstungsgegenstände mitsamt Funktionskleidung für Bergsteigen, Bergwandern und Skitouren herstellt und vertreibt. Ein einzigartiges Gebäude sollte es werden, das, unmittelbar an der Autobahn Richtung Brenner bzw. Modena und der Ausfahrt Bozen Süd gelegen, die Marke „Salewa“ sicht-, hör- und fühlbar machen sollte. Und das als Höhepunkt des Gebäudeensembles eine Kletter- und Boulderhalle bietet, die mit einer Kletterfläche von gut 2 000 m², einer Höhe von 24 m und einer Wand von 19,5 m die Größte ganz Italiens und eine der größten Europas darstellt. Wobei das teilweise wild zerklüftete Gebäude selbst, je nach Perspektive, einem Fels oder einem Bergkristall gleicht.

Mit Messner sprach die Jury den ersten Rang Cino Zucchi, Mailänder Architekt und Professor am dortigen Polytechnico, zusammen mit dem Büro Park Associati, ebenfalls Mailand, zu. Passend zum Ort, an dem die Stadt Bozen mit ihrer Industriezone ausläuft und in die von Obstplantagen und dem Fluss Etsch geprägte Tallandschaft übergeht, sah Zucchis Konzept vor, ein „topografisches Gebäude“ zu errichten. Der Bau sollte in einen „formalen Dialog“ mit den umgebenden schroff-rauen Bergwänden treten. Die gefaltete, in grau-blauen Farbtönen schimmernde Metallverkleidung sowie die nördliche Glasfassade sollten eine „Empfindung des Kristallinen vor dem Hintergrund einer grandiosen Berglandschaft“ schaffen. Zucchi und sein Team verschränkten dabei den Ort mit den zahlreichen Funktionen des Headquarters zu einem prominenten, aufgrund seiner solitären Lage weithin sichtbaren Werbezeichen. Denn außer der Kletterhalle beherbergt der Gebäudekomplex die Salewa-Hauptverwaltung, ein Entwicklungszentrum, einen 2-geschossigen Showroom mit Shop, ein Logistikzentrum für die tägliche Abwicklung von 30 000 Paketen, ein Fitnessstudio und eine Kantine für die Mitarbeiter, eine Tages-stätte für die Kinder der Mitarbeiter und die der umliegenden Betriebe sowie ein öffentliches Bistro. Und weil um das Firmengelände kein Zaun verläuft, ist die Öffentlichkeit ausdrücklich eingeladen, den fast parkartigen Garten im Südosten des Ensembles zu benutzen.

Für die vielfältigen Funktionen schufen die Architekten ebenso vielfältige Volumina, die sich von flachen, breit gelagerten Lagerhallen in mehreren Stufen bis zu einem 50 m hohen Bürohochhaus auftürmen. Das Logistikzentrum befindet sich dabei im Süden des insgesamt 2,5 Hektar umfassenden Baugeländes, die Verwaltung im Norden, die Kletterhalle, die auch von Vereinen und Schulklassen benutzt wird, im Osten. Parallel zur Autobahn liegt ein vollautomatisches Hochregallager, dessen Wände wie die des östlich sich anschließenden Kommissionierungsbereichs und die der anderen Lager aus Betonfertigteilwänden bestehen, die auf Streifenfundamenten gründen (die Verwaltungsbereiche gründen dagegen auf einer Bodenplatte). Die Decken der Lagerbereiche wurden vor Ort betoniert und wegen der gewünschten Stützenfreiheit vorgespannt. Auf dem Dach wurde eine Photovoltaikanlage in einer Gesamtgröße von 4 000 m² installiert, die bei einer Gesamtleistung von 380,7 kW im Durchschnitt 520 000 kWh im Jahr produziert. Damit stellt die Anlage rund das Doppelte des jährlichen Stromverbrauchs des Gebäudes her.

Ein Teil der Lagerhallen sowie die West-, Süd- und Ostfassaden der Bürogebäude ist mit Aluminiumpaneelen verkleidet, wobei diese Hülle mal skulptural auskragt, mal sich Bauteilen anschmiegt, mal sich, der Höhenentwicklung folgend, auftürmt, als Sonnenschutz wirkt und bündig in die Glasfassade übergeht. Die Unterkonstruktion der Verkleidung, deren Geometrie man mit einer 3D-Software entwickelte, besteht aus verzinkten Stahlprofilen (die Gesamtlänge beträgt, Profil an Profil gelegt, 25 km), die man über Bügel thermisch getrennt an Wänden und Dächern verankerte. Die 60 x 120 cm großen, in einem elektrochromatischen Verfahren behandelten Aluminiumplatten, die fast fugenlos in die Unterkonstruktion eingehängt wurden, weisen je nach Anforderung und gestaltungsmotiviertem Rhythmus vier unterschiedliche Lochdurchmesser und drei verschiedene Farbtöne auf. Letztere kommen durch Lichtbrechung zustande und changieren je nach Sonnenstand und –intensität. Während im Gesamtbild die 13 000 Einzelteile der Aluminiumverkleidung für den felsigen-rauen Teil zuständig sind, stellt die Glasfassade im Norden den Bergkristall dar. Für den Gesamteindruck ist eine hohe Detailqualität verantwortlich, wobei beispielsweise bei der Pfosten-Riegel-Unterkonstruktion mit gekoppelten Riegeln gearbeitet wurde, sodass die Deckleisten nicht sichtbar sind und in Verbindung mit großformatigen Scheiben sich der gewünschte kristalline Effekt je nach Sonneneinfall einstellt.

Vorzeigemodell für nachhaltige Planung

Der Bergkristall ist Sinnbild für das, was Salewa verkauft: die notwendige Ausrüstung, um ein besonderes Naturerlebnis im Gebirge zu genießen. Für solch ein Unternehmen wäre es unpassend, abgehoben in vollklimatisierten Räumen zu residieren. Das Salewa-Hauptquartier wurde nun von der Agentur „Klimahaus“ mit dem Zertifikat „Work&Life“ ausgezeichnet, das nicht nur die Gebäudehülle und Gesamtenergie­effizienz, sondern auch den Gebäudebetrieb (etwa Beleuchtung, Müllentsorgung, wassersparende Armaturen) und den Umgang mit Mitarbeitern (Lärmschutz, Kita, Förderung der Fahrrad- und ÖPNV-Benutzung) bewertet. Die Agentur „Klimahaus“ selbst befindet sich im Eigentum der Provinz Südtirol, ist eine öffentlich-rechtliche Institution und kann bei der Verbreitung des Niedrigenergiehauses mittlerweile in ganz Italien einen großen Erfolg aufweisen, wobei der Salewa-Gebäudekomplex ein Vorzeigemodell darstellt. Wichtig war, dass das Nachhaltigkeitskonzept der Architektur nicht wie eine fremde Hülle übergestülpt wurde. Planerteam und Bauherr entwickelten gemeinsam ein Gebäudekonzept, in dem alle Bestandteile ineinander greifen und auf den Ort bezogen wurden. Denn aufgrund der Talkessellage sind die Winter in Bozen ziemlich kalt, im Sommer dagegen ist es sehr heiß. Deshalb verzichteten die Planer auf die Maximierung der solaren Einträge. Hinter der feststehenden Metallverkleidung im Bürohochhaus, die auch eine schallschützende Funktion hat, befinden sich Besprechungs- und Nebenräume. Für die Glasfassade im Norden dagegen, durch die Mitarbeiter stets die Stadt Bozen und die Berge im Blick haben, wurde neben einem Blendschutz auch Sonnenschutzglas (G-Wert 0,28) verwendet.

Zur Grundlast-Heizung und -Kühlung wurde Betonkernaktivierung eingesetzt. In den 30 cm dicken Flachdecken verlaufen die Rohre zwischen der unteren und der oberen Bewehrung. Nur in einem 2,5 cm breiten Streifen an der Glasfassade, wo sich die Decken auf 20 cm verjüngen, gibt es eine zusätzliche Aktivierung, wobei die Rohre dann unter der unteren Bewehrung verlaufen. Die Trägheit des Systems wird so minimiert, darüber hinaus kamen kontrollierte Lüftung, Fußbodenheizung sowie Kälteaggregate zum Einsatz, wobei Salewa an das Fernwärmenetz der Stadt ange-schlossen ist. Weil Bozen in einem Wasserschutzgebiet liegt, ist die Verwendung von Grundwasser zur Kühlung verboten.

Den Schlussstein im Nachhaltigkeitskonzept setzte Bauherr Heiner Oberrauch, der den hundertprozentigen Komfort ablehnte – und damit auch Kostenreduzierung betrieb: Dass seine Mitarbeiter im Winter mit Pullover, im Sommer nur leicht bekleidet sind, sei seinem Unternehmen angemessen. Kontinuierliche 24°C beispielsweise gibt es in den Salewa-Räumen nicht. Planer und Ausführende wurden angehalten, stets den Einsatz von technischen Mitteln zu hinterfragen und gegebenenfalls auch zu reduzieren. Dennoch greift das Klima- und Komfortkonzept. Er selbst fühle sich, ließ Oberrauch wissen, in seinem zusammen mit Reinhold Messner eröffneten Gebäude wie auf einer Bergwiese unter dem Schatten eines Baumes. Enrico Santifaller, Frankfurt a.M.

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