„Interdisziplinär und kooperativ“
Klaus Sedlbauer zum Thema „Smart Houses“

Die Anforderungen, die an unsere Gebäude gestellt werden, steigen kontinuierlich. Die ursprünglichen als essenziell angesehenen Schutzfunktionen vor Niederschlag, Wind, Kälte oder Hitze gelten heute als selbstverständlich. Darüber hinaus sollen moderne Gebäude nun auch eine geringe Umweltbelastung aufweisen und gleichzeitig energieeffizient sowie für den Bewohner komfortabel und gesundheitsverträglich, also nachhaltig sein. Diese sich veränderten Anforderungen wirken sich auch auf die technischen Gebäudestandards aus, deren Fortschreibung sich zukünftig eher noch beschleunigen wird. Aber nicht nur Energieeffizienz und Nachhaltigkeit wirken sich auf das Bauwesen aus, sondern letztlich alle gesellschaftlichen Entwicklungen. Wir leben beispielsweise in einer alternden Gesellschaft: Der Anteil der über Achtzigjährigen wird sich in den nächsten 50 Jahren verdreifachen. Ein Großteil dieser Altersgruppe wird voraussichtlich bis ins hohe Alter in einer eigenen Wohnung leben. Die bauliche Herausforderung des Wohnens im Alter geht dabei weit über die barrierefreie Architektur hinaus. So bietet der Technikeinsatz neue Möglichkeiten für ältere Menschen, so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu können. Unter dem Begriff „umgebungsunterstütztes Leben“ (Ambient Assisted Living AAL) werden intelligente Umgebungen zusammengefasst, welche in der Lage sind, die Abnahme motorischer und kognitiver Fähigkeiten weitgehend zu kompensieren. Die Möglichkeiten sind vielfältig, so kann das System helfen, einen versehentlich eingeschalteten Herd zu erkennen oder nach einem Sturz unverzüglich Hilfspersonal herbei zu rufen. Weitere Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz entstehen durch die integrative Verknüpfung aller Einzelkomponenten.

Die Gebäudeleittechnik und damit der optimierte Betrieb der eingesetzten Anlagen und Komponenten definiert eine Schnittstelle zwischen einem rein bauphysikalischen und einem rein nutzungsorientierten Ansatz. Dieser Prozess wird zusätzlich überlagert vom Wandel der Energieversorgungsstrukturen. Der zunehmende Anteil erneuerbarer Energien und der damit verbundenen zeitlich variablen Energieerzeugung erfordert einen Paradigmenwechsel von der bisher verbrauchsabhängigen Energieerzeugung hin zum (teilweise) erzeugungsabhängigen Verbrauch. Durch eine intelligente Gebäudeleittechnik kann das Bauwesen auch auf diese Entwicklung reagieren.

Während bei Neubauten direkt „smart“ geplant werden kann, liegt die große Herausforderung in der Schaffung von Lösungen für den Immobilienbestand. Bisher werden bei einer Sanierung technische und bauphysikalische Maßnahmen weitgehend getrennt betrachtet, so dass das energetische Einsparpotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Gerade integrale Sanierungskonzepte, welche neben der Gebäudehülle auch die Gebäudenutzung mit berücksichtigen, versprechen zusätzliche Effizienzgewinne. So konnte in einem Forschungsvorhaben des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik gezeigt werden, dass allein durch die intelligente Heizungs- und Rollladensteuerung je nach Systemvariante Einsparpotenziale von 17 bis 40 Prozent bestehen. Die Analyse und Bewertung solch komplexer Systemzusammenhänge erfordert neben der engen interdisziplinären Zusammenarbeit auch neue Kooperationsmodelle, wie beispielsweise im Fraunhofer-inHaus-Zentrum, bei denen Anwender, Hersteller und Forscher gemeinsam den Entwicklungsprozess vollziehen. Nur durch solch eine enge Zusammenarbeit lassen sich in kurzen Entwicklungszyklen marktgerechte Lösungen finden, die Energieeffizienz, Kosteneffizienz und Nutzer­akzeptanz in sich vereinigen.

Der Ingenieur

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Sedlbauer, Jahrgang 1965. Studium der Physik an der LMU München. Ab 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Stuttgart und Holzkirchen. Promotion 2001. Von 2001 bis 2003 stellvertretender Institutsleiter. Ab Nov. 2003 Instituts­leiter des Fraunhofer-Instituts für Bau­-physik und Ordinarius des Lehrstuhls für Bauphysik der Fakultät 2 „Bau- und Umweltingenieurwissenschaften“ so­-wie kooptiertes Mitglied der Fakultät 1 „Architektur und Stadtplanung“ der Universität Stuttgart. Ständiges Mit­-glied der IRK des Umweltbundesamtes seit 2003. Im Juni 2004 Verleihung des WTA-Preises durch die WTA. Seit 2007 Mitglied im Senat der Fraunhofer-Gesellschaft sowie in diversen Ausschüssen und Aufsichtsräten.

www.lbp.uni-stuttgart.de, www.ibp.fraunhofer.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 09/2011

Klimawandel und Fassadenkonstruktion Der Umgang mit steigenden Wassermengen

Der Klimawandel ist im Gange, die Erde erwärmt sich. Darüber besteht weltweit kaum Zweifel. Strittig hingegen ist die Frage, welche Auswirkungen das Aufheizen der Atmosphäre auf das Klima und die...

mehr
Ausgabe 07/2017

Steuerung für Sonnenschutzsysteme

Mit dem Smart-Home-System HomePilot ermöglicht Rademacher die Steuerung von Rollläden, Raffstoren und Markisen. Die Steuerung erfolgt über einen Mehrfachwandtaster oder digital von unterwegs....

mehr

TEAM STRESSTEST

Kuratorium des Deutschen Pavillons auf der 19. Architekturbiennale Venedig 2025 ausgewählt

Eine Kommission aus neun Expertinnen und Experten hat, im Beisein der Parlamentarischen Staatssekretärin Elisabeth Kaiser, die Kuratorinnen und Kuratoren in einem offenen Wettbewerbsverfahren...

mehr
Ausgabe 09/2020

Materialcheck: Faserzement für die Gebäudehülle

Giebelwohnh?user am Quai de la Cunette, Dunkerque ZAC Grand Large /FR - ANMA/Agence Nicolas Michelin & Associ?s

Das Wort Fassade kommt aus dem Lateinischen und meint „die äußere Erscheinung, das Aussehen“. In der Architektur beschreibt der Begriff die nach außen hin sichtbaren Wandflächen eines Bauwerks....

mehr