Karosserie als Vorbild
Museum Casa Enzo Ferrari in Modena/IT
 

Das Museo Casa Enzo Ferrari entstand aus einer Initiative mehrerer öffentlicher Institutionen, insbesondere durch die Stadt Modena, die das Geburtshaus von Enzo Ferrari in eine Gedenk-und Ausstellungsstätte des großen Auto­bauers, umnutzen wollte. Unweit vom historischen Stadt­kern entfernt, hatte das Haus die städtebaulichen Veränderungen der Nachkriegszeit unverändert überstanden.

Ursprünglich sollte nur das Gebäude, in dem Enzo Ferrari am z18. Februar 1898 geboren wurde und das er kurz nach dem Tod seines Vaters im Alter von 20 Jahren verkaufte, um sich den ersten Sportwagen zu kaufen, in ein Museum umgewandelt werden. Doch schon bald nach der Gründung der Stiftung im Jahr 2003 zeigte sich die Idee, nur das schlichte Backsteingebäude umzubauen,
als zu bescheiden und unangemessen, um der Legende des ­Autobaus gebührend zu ehren. So wurden Mittel
aus öffentlicher und privater Hand gesammelt, um einen anspruchsvollen Erweiterungsbau realisieren zu können.

Im Jahr 2005 wurde dafür ein internationaler Wettbewerb ausgelobt, zu dem acht Architekturbüros eingeladen wurden.

Das Preisgericht entschied sich damals für den Entwurf des ­Büros Future Systems mit Jan Kaplický.

Der 1937 in Prag geborene Architekt hat seine berufliche Laufbahn in England begonnen und, bevor er 1979 sein eigenes Büro gründete, arbeitete er mit Renzo Piano, Richard Rogers und Norman Foster.

Das Büro Future Systems realisierte nur wenige Projekte, alle wurden jedoch zu architektonischen Ikonen, wie das „Selfridges Kaufhaus“ in Birmingham und das „Netwest Media Centre“ des Lord‘s Cricket Ground in London, beides Beispiele einer „organischen“ Architektur, geprägt von einer „eckenlosen“ ­Geometrie und von den Anwendungen neuartiger Materialien und Techno- logien.

In Modena galt es nun den berühmten Autokonstrukteur Ferrari mit einem Neubau in geeigneter Form zu würdigen und gleichzeitig einen räumlichen Bezug zu dem einfachen Geburtshaus zu schaffen. Das Ergebnis der Planung von Kaplický ist eine Art überdimensioniertes  Karosseriestück mit einem eindeutigen Bezug zur Ästhetik des Autobaus. Dieses starke formale Motiv sollte das
Geburtshaus jedoch nicht dominieren: der neue „Anbau“ sollte das ­Geburtshaus in der Höhe nicht überragen und hatte sich diesem ­respektvoll, wie ein „schützende Hand“, zuzwenden.

Formen aus dem Karosseriebau

Aus der Entfernung wird der Eindruck eines überdimensionalen Karosseriestücks durch die Oberlichter, die
wie Kühleröffnungen in das in Ferrari-Gelb leuchtende Dach eingeschnitten sind, bekräftigt. Die „Kühlerhaube“ krümmt sich im Anschluss zum Boden und geht in einen begrünten Sockel über. In Richtung des Geburtshauses ist das gelbe Karosseriestück durch eine große, doppelt geschwungene Glaswand abgeschlossen. So hat man von Außen Einblick in die große Ausstellungshalle und von Innen besteht Blickbezug zu dem bestehenden Backsteingebäude. Somit entsteht, trotz der radikal unterschiedlichen Formensprache der beiden Gebäude, ein
interessantes Spannungsverhältnis und eine klare Ortsbezogenheit.

Der Eingang zur Ausstellungshalle ist in die doppelt geschwungene gläserne Fassade eingeschnitten, die mit den horizontalen Sonnenschutzlamellen weitere Assoziationen zum Autobau hervorruft. Der große, stützenlose Innenraum ist von dem weißen Dach und Fußboden,
von dem sich nur die eingesetzten gelben, abgerundeten Einbauten für den Shop, Ticketverkauf und Cafeteria, ­sowie Toiletten absetzten, geprägt.

Die Halle sollte flexibel gestaltet werden, um Wechselausstellungen, die sich mit den Themen des Autobaus, des Autodesigns, sowie der Formel 1 Rennen beschäftigen, aufnehmen zu können. Das Museum verfügt nicht über eine ständige Sammlung von Autos, sondern diese sind temporäre Leihgaben von Autosammlern oder Herstellern, für die verschiedenen Ausstellungen. (Eine Auswahl der historischen Ferrari-Modelle ist in dem unweit entfernten Fabrikmuseum in Maranello zu sehen.)

Die feste Ausstellungsarchitektur besteht aus vom Boden abgesetzte Podest-Bühnen, mit einem einzigen Stützpunkt, auf denen die Autos in eine ungewohnte Blickhöhe gebracht werden. Die Bühnen verteilen sich über verschiedene geneigte Ebenen, die bis zu einem unteren Niveau führen. Man kann so den Raum immer ganzheitlich und aus verschiedenen Blickpunkten erleben. Die Halle wird am Rand, im Bereich des Übergangs von Dach und Boden, durch eine lange Vitrine für kleinere Exponate abgeschlossen. Die geneigte Ebene ­endet im Untergeschoss, wo ein Konferenz- und ein ­Besprechungsraum, sowie weitere Nebenräume Platz finden.

Technologie und Konstruktion

Der Bezug zu der Autoindustrie entsteht nicht nur durch formale Aspekte, sondern auch durch die Konstruktion und das Tragwerk . Hier werden Technologien angewandt, die für die Bauindustrie unüblich sind. Für die freien organischen Formen, die nicht auf eine einfache Geometrie zurückzuführen sind, müssen für die Umsetzung immer neue Lösungen gefunden werden. Die 78 m lange und 45 m breite Karosserie ist „geometrisch unbestimmt“, kann also nicht abgewickelt und auch nicht durch die Addition einfach gekrümmter Elemente erzeugt werden.

Für die Eindeckung wurde ein aus dem Schiffsbau adaptiertes Aluminiumsystem verwendet, das auf einer tragenden Unterkonstruktion aus Stahl lagert. Die Stahlträger bestehen aus mit Laser ausgeschnittenen Profilen, in einer Vielzahl von unterschiedlichen Einzelteilen, die so optimal an die gewünschte Geometrie angepasst werden konnten. Von unten ist die Konstruktion mit weißen Textilbahnen abgedeckt, die von engen Fugen unterbrochen sind, durch die man die darüber liegende Konstruktion erkennen kann.

Die doppelt gekrümmte Glasfassade

Eine ebenfalls anspruchsvolle technische Herausforderung hat die doppelt gekrümmte Glasfassade dargestellt. Diese ist als Seilfassade konzipiert, die an dem geschwun­­­genen rohrförmigen Träger, an dem das Dach ­endet, befestigt ist. Der Träger, der in einzelnen Stücken vor Ort
zusammengeschweißt wurde, wird durch zwei ­Y-förmige, geneigte Stützen – die einzige „Stützen“ der gesamten Ausstellungshalle – getragen.

Das von außen unveränderte Geburtshaus wird im
Innenraum durch eine aufwendige Ausstellungsarchitektur zu einer Gedenkstätte für Enzo Ferrari. Der zentrale Bereich wird durch eine enge Folge von frei gekurvten Wänden definiert, zwischen denen Videos und Gegenstände von Enzo Ferrari gezeigt werden. Auch sein Arbeits­zimmer ist nachgebaut: ein bescheidener Raum, der zeigt, dass der Hersteller von Luxusautos für sich selbst gar keinen Anspruch auf Luxus hatte.

Dr. Clemens Kusch, ­Modena, Webcode DBZ3P7LR

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