Spielerische Raum­aneignung

Kindergarten St. Hippolytus, Troisdorf

Schräge Winkel, kaum Farbe, die Bahntrasse mit Fernverkehr gleich nebenan und neben dem Spielplatz eine Friedhofsmauer. Klingt nicht gerade nach Kindergarten? Der Entwurf von Atelier Brückner in Köln-Troisdorf widersetzt sich gängigen Mustern und beweist, dass kindgerechtes Bauen durchaus schräg, kantig und zugleich elegant sein darf, dass lange Flure spannend sein können und dass der ­Außenraum eines Kindergartens auch Richtung Norden ­gelingt. Projektleiter Jannis Renner erklärt, wie das in ­Trockenbau funktioniert.

Trotz deutlich verkürzter Montagezeiten dank der Holzständerkonstruktion zog sich die Bauzeit über zwei Jahre in die Länge. Ursache war ein alter Friedhof auf dem Gelände des zukünftigen Ensembles aus der bestehenden Kirche St. Hippolytus, dem ebenfalls von ATELIER BRÜCKNER geplanten Pfarrzentrum und der Kita. Das Erzbistum Köln als Bauherrin des Projekts ließ sich nicht beirren und erfreute sich der unter Denkmalschutz stehenden Grabsteine, die zu Tage kamen und in die Außen­anlagen integriert wurden. Weitere Herausforderungen für den zukünftigen Kindergarten waren zu Beginn ein sozialer Brennpunkt südlich des Grundstücks und der Lärm der südlich angrenzenden ICE-Trasse. Die Planer:innen entwickelten eine Gesamtform für das Gebäude, die das Maximum des Grundstücks und zugleich die Hanglage ausnutzte. Tagsüber wirkt der Bau mit durchgehender Holzlamellenverkleidung aus Lärche auf einem Betonsockel monolithisch, während sich zur Dämmerung hin die Fens­ter hinter den Lamellen als schimmernde Rechtecke abzeichnen und die Umgebung beleben. „Dank der Fassade und des Höhenversprungs können die Kinder hinausschauen, aber es kann niemand hineinschauen“, erläutert Projektleider Jannis Renner das Konzept der Sichtbeziehungen. 

Raum für Bewegung

Die Nordseite öffnet sich dank einer raumhohen Elementfassade aus Holz und dunkel eloxiertem Aluminium zum geschützten Spielbereich des Kindergartens. Der Verkehrslärm wird gemäß Renner dank der städtebaulichen Figur gedämpft. „Der zentrale Platz inmitten dieses Ensembles ist sehr ruhig dank der Einrahmung mit dem Kindergarten im südlichen Bereich des Grundstücks, wo der Verkehrslärm die höchste Intensität hat.“ Im Grundriss sind die Nutzungsbereiche in Nebenräume südlich und Aufenthaltsbereiche nördlich des zentralen Flures gegliedert. Umkleiden und Nebenräume befinden sich an der eher geschlossenen Südfassade, während sich die Gruppenräume mit zugehörigen Themenräumen zum Hof orientieren. Auf 70 m Gesamtlänge entsteht ein fließender Übergang von trichterförmigen Raumzonen an den Stirnseiten des Gebäudes und schrägen Wänden. Diese Bewegungsachse wird von den Kindern gerne zum witterungsgeschützten Spielen und Toben genutzt. Laut Renner spüren die wartenden Eltern im östlichen Eingangsbereich dank des trichterförmigen Übergangs in den Flur intuitiv die Schwelle, ab der der geschützte Bereich des Kindergartens beginnt. Die westliche Stirnseite des Baus wiederum ist eine Spielzone bei schlechtem Wetter. Schlanke ­Deckenschienen bieten die Möglichkeit für das Anbringen von mehreren Schaukeln im Innenraum. Die Holzbalken als Unterkonstruktion für die Traglast verschwinden unsichtbar oberhalb einer gelochten Abhangdecke, in der die Schienen bündig eingebaut sind. Für die gebogene Ecke im Eingangsbereich kamen biegsame Spezialgipsplatten von 6 mm Dicke zum Einsatz, ­um den Innenradius von etwa 950 bis 1 000 mm zu bewerk­stelligen.

Natürlich hell, natürlich bunt

Die Anordnung der offenen Umkleiden mit Fensteröffnungen nach Süden, gegenüber den Gruppenräumen im Norden, tauchen den langen Flur in helles Licht. Für die Nebenräume zwischen den Umkleiden schlug ATELIER BRÜCKNER ursprünglich vollverglaste Trennwände zwischen Flur und Nebenräumen vor. Die Leitung des Kindergartens jedoch wünschte sich opake Wände. Der Kompromiss wurde in Oberlichtern oberhalb der Trockenbauwände gefunden. „Wir haben uns für eine Konstruktion aus vier Stahlstützen und einem durchlaufenden Stahlträger entschieden, der mit Teleskopanschlüssen an der Wand befestigt wurde. CW- und UW-Profile konnten wir anschließend direkt an dem Stahlträger beziehungsweise den Stützen befes­tigen und so insgesamt eine Tragfähigkeit von 50 kg/m erzielen“, erläutert der Geschäftsführer Peter Brinkmann von der Bauunternehmung J. Brinkmann GmbH. Bis zu 1,40 m hohe Lichtschächte mit Oberlichtern im Dach erhellen den ­Innenraum zusätzlich. Die Farbigkeit der Baumaterialien ist bis auf das warme Buchenholz im Innenraum sehr reduziert. Der Linoleumboden ist Graubeige, die Trockenbauwände allesamt Weiß; ganz im Gegensatz zu vielen anderen Kindergärten, in denen mit bunten Farben nicht gespart wird. Gemäß Renner ist der Gedanke dahinter mehr als bloße Zurückhaltung: „Wir bieten den Kindern mit dem Gebäude eine Plattform, sich selbst zu entfalten und den Raum selbst zu gestalten. Nicht wir als Architekt:innen bringen die Farbe ins Gebäude, sondern die Kinder, die sich den Raum spielerisch aneignen.“ Somit verzichtete man auf vollfarbige Markierungen der Gruppenräume, wie ursprünglich von den Planer:innen angedacht, da die Pädagogik sich eine Vermischung der Kindergruppen untereinander wünschte und eine zu starke Identität mit einem Raum oder einer Farbe kontraproduktiv gewesen wäre.

Schallschutz

Kinder machen gerne Krach. Und sie machen gerne Mittagsschlaf. Damit beides und noch viel mehr gleichzeitig stattfinden kann, gelten besonders hohe Anforderungen an den Schallschutz und eine angenehme Raumakustik. Für die Fassadenöffnungen entlang der südlichen Flanke wurden Schallschutzverglasungen verwendet. Die Geometrie der schräg zueinanderstehenden Flurwände und Decken bricht wiederum den Schall im Innenraum. Die Holzlamellen von der Außenfassade werden als gestalterisches und gleichermaßen akustisch wirksames Element im Innenraum fortgeführt. Die Bauweise als Holzständerkonstruktion im gesamten Gebäude wirkt sich im Vergleich zu einer massiven Konstruktion etwas ungünstiger auf die Schallausbreitung aus. Erschwerend kommen Werte von bis zu 59 dB hinzu, die es beim Schallschutz im Innenraum zwischen Gruppennebenräumen und dem zentralen Flur einzuhalten gilt. Um diesen Umständen zu begegnen, ist die Decke in den Umkleide- und Gruppenräumen als Doppelkonstruktion ausgebildet. Unterhalb einer mit Nonius-Abhängern befestigten Abhangdecke aus zweifachen Gipsplatten mit jeweils 12,5 mm Dicke befindet sich eine zweite, sichtbare Lage aus einfach beplankten, gelochten und vlieskaschierten Gipskartonplatten. Dieses Akustikvlies bewirkt neben einer Verbesserung der Raumakustik ein gesünderes Raumklima dank eine speziellen Luftreinigungstechnologie.

Gesunde Effizienz

Renner ist überzeugt: „Die Wahl einer Holzständerkonstruk­tion ist absolut zeitgemäß. Sie birgt natürlich im Hinblick auf die Raumakustik mehr Herausforderungen, aber in punkto Raumklima, ökologischer Fußabdruck und Bauzeiten hat Holz viele Vorzüge.“ Nach drei Tagen und einer Vorfertigung im Werk stand die Holzkonstruktion fertig auf der Baustelle. Im Vergleich zu einer Betonkonstruktion bietet diese Konstruk­tionsart zudem den Vorteil, dass sie demontiert und weiterverwendet werden kann. Mit Blick auf Sandknappheit für die Herstellung von Beton und den hohen Energieverbrauch bei der Produktion von Zement ist dies die umweltfreundlichere Variante. Auch konnte die Bauzeit des Innenausbaus trotz Vorgabe von Q3-Qualität auf vier Monate beschränkt werden. ­Von den insgesamt etwa 2,5 Mio. Euro Baukosten flossen rund 170 000 Euro in den Innenausbau. Die Investition hat Beachtung in der Bauwelt gefunden, denn der Bau wurde sowohl mit dem Sonderpreis für Holzbau von der 12. Rigips Trophy 2019/2020 als auch mit dem Kita-Architekturpreis NRW 2020 prämiert. ⇥Nathalie Brum, Köln

Gips und Holz sind die altbekannten Partner beim Holzbau. Hier ist das Holz nicht nur auf Konstruktion und Fassade beschränkt, sondern als Zitat der Außenansicht in die Räume hinein geführt worden. Die haptischen und warmen Holz­oberflächen ergänzen die hellen, kühleren Gips-, Möbel- und Bodenflächen im Sinne einer Wohlfühl­atmosphäre, ohne rustikal zu wirken.«

DBZ Heftpartner Prof. Andreas Betz, Prof. Jochen Pfau, Prof. Jochen Stopper, TH Rosenheim

Projektdaten

Objekt: Kindergarten Troisdorf

Standort: Hippolytusstraße 49, 53840 Troisdorf

Bauherrin: Katholische Kirchengemeinde St. Hippolytus

Nutzerin: Katholische Kirchengemeinde St. Hippolytus

Architektur: ATELIER BRÜCKNER, Stuttgart, www.atelier-brueckner.com

Projektmanagement: WOLF R. SCHLÜNZ, Bonn, www.wolf-schluenz-projekte.de

Bauleitung: Hahn Helten Architektur, Aachen, www.hahn-helten.de

Ausbaubetrieb: Bauunternehmung J. Brinkmann GmbH, Oberhausen,

www.bauunternehmung-brinkmann.de

Bauzeit: 09.2015 – 09.2019

Grundstücksgröße: 6 700 m² (inkl. Pfarrzentrum)

Grundflächenzahl: 0,37

Geschossflächenzahl: 0,42

Nutzfläche gesamt: 763 m²

Nutzfläche: 651 m²

Technikfläche: 10 m²

Verkehrsfläche: 102 m²

Brutto-Geschossfläche: 878 m²

Brutto-Rauminhalt: 4 453 m³

 

Fachplanung

Tragwerksplanung: FINCK BILLEN INGENIEURSGESELLSCHAFT GMBH & CO.KG, Köln, www.ingenieurbuero-finck-billen.de

HLK-Planung, Sanitärtechnik

Elektrotechnik: Peter Zeiler&Partner, Frechen, www.zeiler-partner.de

Bauphysik: knp.bauphysik GmbH, Köln, www.knp-bauphysik.de

Brandschutz: Burckhardt, Pabst + Partner, Köln, www.bpp-ing.de

Geotechnische Baugrunduntersuchung: Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Josef Vogt, Bedburg-Altkaster,

www.boden-vogt.de

 

Herstellerfirmen

Linoleum: Forbo Flooring GmbH, www.forbo.com

Fliesen: Villeroy & Boch AG,

www.villeroy-boch.de

Trockenbau: Saint Gobain Rigips GmbH, www.rigips.de

Baubuche: Pollmeier Massivholz GmbH & Co. KG, www.pollmeier.com

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