Kunsthandel statt Kunstunterricht
Umbau der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in Berlin, www.gruentuchernst.de, www.maedchenschule.org

Mit ihrer klinkerverblendeten Fassade und den in horizontalen Bändern zusammengefassten Fenstern ist die 1928 nach Plänen des Gemeindebaumeisters Alexander Beer errichtete Jüdische Mädchenschule in Berlin-Mitte ein schönes Beispiel der Neuen Sachlichkeit. Ein geometrischer Bau, der ganz der Gegenwart verpflichtet war. An seiner Nordseite tritt das Gebäude turmartig hervor, hier befanden sich hinter großen Fensterflächen Turnhalle und Aula der Schule. Das Dach besitzt eine 150 m² große Terrasse, die im Sommer – bei Licht, Luft und Sonne – für Leibesübungen und Freiluft-Unterricht genutzt wurde. Zum Schuljahresbeginn 1930 eingeweiht, ahnte niemand, dass die neue Mädchenschule nur zwölf Jahre ihrer Bestimmung dienen würde. Auf die Schließung 1942 folgten verschiedene Zwischennutzungen. Von 1950 bis 1996 diente der Bau wieder als Schule, danach stand er leer und verfiel zusehends.

Jetzt richteten Grüntuch Ernst Architekten das Gebäude im Auftrag des international
tätigen Galeristen Michael Fuchs als Galerienhaus her. Fuchs nutzt gemeinsam mit zwei weiteren Galerien Klassenräume und Aula des Gebäudes als Ausstellungsfläche. Im obersten Geschoss entstanden Gästeapartments und eine Wohnung für den Galeristen.

Die Sanierung war für Grüntuch Ernst Architekten eine doppelte Heraus­forderung:
Einerseits sollte das Haus seiner neuen Nutzung angepasst werden, andererseits galt
es, zahlreiche entstellende Einbau­ten zu beseitigen und die Luftigkeit und den reformatorischen Geist von 1928 wieder herauszuarbeiten. Durchgreifende Umbauten schieden schon deshalb aus, weil die Jüdische Gemeinde das Gebäude nicht verkauft, sondern für (zunächst) 30 Jahre an den Investor vermietet hat.

So bestand die Arbeit der Architekten vor allem in einem Reparieren und Freilegen. Als einzige sichtbar neue Elemente im Treppenhaus fügte man zwischen die restaurierten Pfeileroberflächen Glaswände ein, die die Abgeschlossenheit der verschiedenen Galerien gewährleisten (Brandschutz). Die Klinkerhülle und die teils aus Stahl, teils aus Holz ge­arbeiteten Fenster der Fassade wurden
bestandsorientiert repariert. In den baulich unveränderten Klassentrakten erinnert die von einer Blechverkleidung beschirmte Tafelbeleuchtung an den früheren Zweck der Räume. Die umfassende technische Aufrüstung des Gebäudes bleibt dagegen unsichtbar.

Während in der früheren Turnhalle mit dem Restaurant „Pauly“ die Dependance eines Berliner Promi-Lokales einzog, entstand im rückwärtigen Flügel mit dem „Kosher Classroom“ ein öffentlicher Fest- und Speisesaal, wo man koschere Gerichte aus der traditionell jüdischen Küche kennenlernen kann. Die Selbstverständlichkeit, mit der im Ge­bäude Berliner Kunstszene und jüdisches
Gemeindeleben quasi Tür an Tür aufeinander treffen, macht Mut. Nach den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts ist das Gebäude gut 80 Jahre nach seiner Errichtung in der heiteren Normalität eines urbanen Kulturtreffpunktes angekommen, ohne Überwachungskameras und Sicherheitsschleuse. Wenn sich an Vernissagentagen Besuchermassen durchs Haus drängen, erhellen seine zierlich gesprossten Fenster wie eine überdimensionale Laterne die Umgebung, der Bauhaus-Geist strahlt wieder.

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