Lebendige Designgeschichte
„Ach, könnte man im Leben nur einen einzigen guten Stuhl entwerfen – aber das geht eben nicht.“ So klagte Anfang der fünfziger Jahre der Däne mit dem deutschen Namen Hans J. Wegner (1914–2007). Und seine Klage ist durchaus doppeldeutig zu lesen: Einmal als Ausdruck einer Sehnsucht nach dem besten aber unerreichbaren Stuhl, dann als Ausdruck der schier ungebändigten Obsession, immer wieder weiter Stühle zu entwerfen, selbst wenn am (Lebens)Ende rund 3 500 Möbelentwürfe stehen, von denen etwa ein halbes Tausend in Produktion ging.
Wegner war ein Handwerker, der bis zum Schluss jedes seiner Möbel vom Material her entwickelte. Hier war er bei Stühlen oder Tischen, die der Eleganz einer bürgerlichen Moderne verpflichtet waren, perfektionistischer Erfinder von immer neuen Seiten des nur einen Materials: Holz. Ob geformt oder als Kompositkonstrukt geplant, ob eher dem Komfort oder mehr der edlen Ausstrahlung zugewandt, niemals konnte (und wollte) Wegner sein grundsolides handwerkliches Herkommen verleugnen.
Die vorliegende Katalogmonografie – selbstverständlich in zeittypisch grobes, hellgraues Leinen gebunden, innen ordentlich dickes Papier mit klassisch klarem Satz – arbeitet den Wegner Komplex in seinen größeren Geschichten auf: Die erste ist eine an seiner Biografie sich orientierende, die andere eine, die den unterschiedlichen Varianten von Stühlen und Stühlen und anderem nachgeht.
Der mehr biografische Teil zieht seine Spannung aus der Vielzahl der Schwarzweißfotografien, die Wegner mit anderen zeigt – Architekten, Designern, Künstlern. Wie auch daraus, dass uns der Kosmos der Möbelwelt im Europa der fünfziger und sechziger Jahre aus dänischer Perspektive geschildert wird. Hersteller, Händler, Werkstätten, Ausstellungen und Fertigungsmethoden, das und Weiteres sind die Stichworte, die den Möbeldesigner sehr lebendig werden lassen.
Der zweite Teil zeichnet sich aus durch die Vielzahl abgedruckter Zeichnungen und Skizzen, der Vielzahl der vorgestellten Stuhl- (und Tisch-)Varianten und Variationen der Falt- und Liegestühle, der Konferenzsessel, der Bürostühle etc. Dabei ist die Qualität der Abbildungen (sämtliche Stuhlporträts sind in schwarzweiß gedruckt) der der Abgebildeten entsprechend.
Die sehr knappe Bibliografie deutet auf größere Forschungsdesiderata, dem Abdruck des Stichwortverzeichnisses ist der dankbar, der sich der Möbelwelt Wegners auch professionell zuwendet und immer wieder Abbildungen und Beschreibungen einzelner Möbelstücke vergleichend anschauen möchte. Allen anderen öffnet der Katalog sicherlich einen neuen Blick auf ein längst bekannt geglaubtes Stück Designgeschichte. Be. K.