Mauerwerk
Bemessung mittels
Eurocodes

In Deutschland ist zum 1. Juli 2012 eine Reihe europäischer Bemessungsnormen (Eurocodes) in die Musterliste der technischen Baubestimmungen aufgenommen worden und damit bauaufsichtlich verbindlich. Der Mauerwerkbau ist davon bisher ausgenommen. Der Beitrag stellt die wichtigsten Ände­­rungen im Bereich der Mauerwerkbauten vor.

Die Eurocodes ersetzen die bisher bauaufsichtlich eingeführten nationalen Normen (siehe Tabelle 1). Die Bereiche Mauerwerkbau (DIN EN 1996) und Erdbebenbemessung (DIN EN 1998) sind von dieser bauaufsichtlichen Umstellung bisher nicht betroffen. Die Umstellung im Mauer­werkbau konnte noch nicht erfolgen, da die nationalen Anhänge zu den Eurocodes der Reihe DIN EN 1996 erst im Laufe des Jahres 2012 fertig gestellt werden. Für den Bereich Mauerwerkbau wird daher die Umstellung frühestens im Jahr 2014 vorgenommen. Bis dahin bleibt die DIN 1053 die einzige bauaufsichtlich eingeführte Norm für den Mauerwerksbau in Deutschland.


Gleichwertigkeitserklärung für die DIN EN 1996

Um nach bauaufsichtlicher Einführung der übrigen Eurocodes zum 1. Juli 2012 zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine durchgängige Bemessung des gesamten Gebäudes nach dem Teilsicherheitskonzept zu ermöglichen, hat die Bauaufsicht eine sogenannte Gleichwertigkeitserklärung für die Bemessung nach DIN EN 1996 publiziert (www.dibt.de/de/data/Newsletter/03_2012.pdf ). Das bedeutet, dass nach Vorliegen aller Weißdrucke der nationa­len Anhänge zu DIN EN 1996 (Ausgabedaten siehe Tabelle 2) eine Bemessung nach DIN EN 1996 alternativ zur bauaufsichtlich eingeführten DIN 1053 möglich ist.

Zur Unterstützung der Anwender bei der Arbeit mit den neuen Normen hat die Arbeits­gemeinschaft Mauerziegel hierzu die neue Broschüre „Bemessung von Ziegelmauerwerk – Ziegelmauerwerk nach DIN EN 1996-3“ herausgegeben, die unter www.argemauerziegel.de zum Download zur Verfügung steht. In dieser sind die Neuerungen anschaulich mit Beispielen erläutert.


Was ändert sich bei der Umstellung?

Die Bemessung wird vom globalen Sicherheitskonzept auf das Teilsicherheitskonzept umgestellt. Durch die Zuweisung von differenzierten Sicherheits- und Kombinationsbeiwerten für Einwirkung und Widerstand verspricht man sich eine genauere Beschreibung der Bemessungs­situation und damit wirtschaftlichere Kon­struktionen.

Die deutschen Vertreter in den europäischen Normengremien konnten die Festlegung von vereinfachten Berechnungsmethoden in der DIN EN 1996-3 erreichen. Bei Verwendung dieses Normenteils sind die Bemessungsaufgaben weiterhin mit einem vergleichsweise überschaubaren Aufwand zu lösen. Aufgrund des ständigen Abgleichs der nationalen Anhänge mit den bisherigen deutschen Normen ergeben sich für die praktische Arbeit kaum Unterschiede. Dennoch gibt es einige wenige wesentliche Neuerungen für das Bauen mit Mauerwerk:

– Wenn das Gebäude offensichtlich ausreichend ausgesteift ist, ist ein rechnerischer Querkraftnachweis nach DIN EN 1996-3 nicht erforderlich, die Norm enthält kein Berechnungsverfahren. Falls ein rechnerischer Nachweis erforderlich werden sollte, ist der entsprechende Abschnitt der DIN EN 1996-1-1 anzuwenden.

– Der vereinfachte Nachweis von Kellerwänden ist jetzt bis zu Anschütthöhen von 115 % der lichten Kellerhöhe möglich, was z.B. einen barrierearmen Ausgang auf Terrassen ermöglicht. Weiterhin werden Randbedingungen für die Verdichtung des Arbeitsraums angegeben (Abb. 1)

– Bei einschaligen Außenwänden wird die Auflagertiefe a der Decke auf der Außenwand bei der statischen Berechnung explizit berücksichtigt (Abb. 2).

– Hinsichtlich der statischen Leistungsfähigkeit wird stärker als bisher zwischen verschiedenen Steinarten (z.B. Ziegel, Leichtbeton), Steintypen (Vollziegel, Lochziegel) und Mörtelarten (Normal- und Leichtmauermörtel) unterschieden.

– Planziegel werden weiterhin in allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen geregelt. Diese Zulassungen nehmen zum Stand Juni 2012 überwiegend Bezug auf die bauaufsichtlich eingeführte DIN 1053-1 und sind weiter uneingeschränkt gültig. Die Ergänzung der Bemessung nach DIN EN 1996 ist beantragt und wird vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) zurzeit mit Hochdruck bearbeitet.


Vereinfachte Berechnungsmethoden nach DIN EN 1996-3

Allgemeines

Mit diesen Methoden können wie bisher gewohnt die überwiegende Mehrzahl der Bemessungsaufgaben schnell und einfach gelöst werden.

Anwendungsgrenzen

Die Anwendung dieser Methoden ist allerdings an gewisse Grenzen gebunden, die den bekannten Randbedingungen aus DIN 1053-1 entsprechen. 

Diese sind unter anderem:

– Gebäudehöhe h über Gelände h = 20 m (bei geneigten Dächern der Mittelwert von First- und Traufhöhe).

– Die Stützweite l der auf Wänden aufliegenden Decken ist l = 6 m, sofern nicht Maßnahmen zur Zentrierung, wie z.B. die Einlage eines Weichfilzstreifens im Randbereich, ergriffen werden.

– Es werden Decken mit Scheibenwirkung oder statisch nachgewiesene Ringbalken verwendet.

– Die maximale lichte Höhe h von Wänden mit Dicken t < 240 mm beträgt h = 2,75 m, bei Außenwänden mit Dicken t = 240 mm maximal das 12?fache der Wanddicke, wenn gleichzeitig die Nutzlast (inklusive Trennwandzuschlag) auf den Decken
qk = 5 kN/m² beträgt.


Wesentliche „neue“ Randbedingung ist die Forderung nach einer Mindestauflagertiefe a, welche in der Regel das 0,5 fache der Wand­dicke t (bei Wanddicke t = 0,365, a ≥ 0,45 t) betragen muss.

Wenn diese Randbedingun­gen eingehalten sind, ist ein rechnerischer Nachweis schnell und einfach möglich. Das Vorgehen wird in der Broschüre der Arbeitsgemeinschaft Mauerziegel anhand von Beispielen demonstriert.


Standsicherheitsnachweis von Wänden bei Normalkraft-Beanspruchung

Die Standsicherheit von Wänden bei Normalkraft-Beanspruchung wird nach DIN EN 1996-3 durch den Vergleich der vorhandenen Normalkraft NEd mit der maximal aufnehmbaren Normalkraft NRd nachgewiesen: NEd ≤ NRd.

Bemessungswert der vorhandenen
Normalkraft NEd


In Hochbauten darf angesetzt werden:

NEd = 1,35 · NGk + 1,5 · NQk

 

In Hochbauten mit Stahlbetondecken und charakteristischen veränderlichen Lasten
qk ≤ 3,0 kN/m2 (inkl. Trennwandzuschlag) darf vereinfacht angesetzt werden:

NEd = 1,4 · (NGk + NQk)

 

Bemessungswert der aufnehmbaren Normal­kraft NRd

NRd = Φ · A · fd


mit Φ Abminderungsfaktor (Φ = min (Φ12))


A Wandquerschnitt (A = t · l)


t Wanddicke


l Wandlänge


fd Bemessungswert der Druckfestigkeit

fd = ξ · fk / γM


fk siehe z. B. Tabelle 3


ξ Dauerstandsfaktor (in der Regel ξ = 0,85)


γM Teilsicherheitsbeiwert für Material γM = 1,5



Abminderungsfaktor Φ1 bei Traglastminderung durch den Deckendrehwinkel bei Endauflagern

Bei Decken mit geringen Auflasten, z. B. Dachdecken gilt grundsätzlich:

Φ1 = 1/3 für alle Werte der Stützweite l


Bei Decken zwischen Geschossen gilt:

Φ1 = 1,6 – l/6 ≤ 0,9 · (a/t)  für fk ≥ 1,8 N/mm2        .          

Φ1 = 1,6 – l/5 ≤ 0,9 · (a/t)  für fk < 1,8 N/mm2


Abminderungsfaktor Φ2 bei Knickgefahr

Φ2 = 0,85 · (a/t) – 0,0011 · (hef/t)²

hef  Knicklänge


Bei flächig aufgelagerten massiven Decken nach DIN EN 1992 mit lastverteilenden Balken und falls keine größeren horizontalen Lasten als die planmäßigen Windlasten rechtwinklig auf die Wände wirken, gilt:

hef = ρ2· h

mit:

h lichte Geschosshöhe

ρ2 Abminderungsbeiwert

ρ2 = 0,75 für Wanddicke t ≤ 175 mm;

ρ2 = 0,90 für Wanddicke 175 mm < t ≤ 250 mm

ρ2 = 1,00 für Wanddicke t > 250 mm



Konsequenzen für die Anwendung von bauaufsichtlich zugelassenen Mauerziegeln

Die allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassun­gen gelten unabhängig von der Normensi­tu­ation bis zu ihrem letzten Gültigkeitstag weiter. In den meisten Zulassungen ist die Bemessung nach DIN 1053-1 in Bezug genommen, so dass bis zur Umstellung in der Musterliste der technischen Baubestimmungen – frühestens 2014 – die Sicherheit des Bezugs auf eine bauaufsichtlich eingeführte Norm gegeben ist. Die Ergänzung dieser Zulassungen um die Bemessung nach DIN EN 1996 ist beim Deutschen Institut für Bautechnik beantragt und wird spätestens bis zur Aufnahme der DIN EN 1996 in die Musterliste der technischen Baubestimmungen abgeschlossen sein. Damit wird auch mit bauaufsichtlich zugelassenen Produkten die Bemessung nach DIN EN 1996 uneingeschränkt möglich sein.


Zusammenfassung

Zum 1. Juli 2012 sind die Eurocodes für die Bereiche Einwirkungen, Stahlbetonbau, Stahl- und Verbundbau, Holzbau und Geotechnik bauaufsichtlich eingeführt und damit verbind­lich geworden. Für den Eurocode 6 – DIN EN 1996 - Mauerwerk wird diese Umstellung frühestens zum 1. Januar 2014 erfolgen.

Bis dahin bleibt die DIN 1053 die einzige bauaufsichtlich eingeführte Bemessungsnorm für Mauerwerk in Deutschland. Mit einer Gleichwertigkeitserklärung der Fachkommission Bautechnik wird die alternative Anwendung der DIN EN 1996 ermöglicht, sobald alle relevanten Nationalen Anhänge im Weißdruck vorliegen. Die bauaufsichtlichen Zulassungen bleiben weiterhin uneingeschränkt bis zum Ablauf ihrer Gültigkeit verwendbar.

Tabelle 1: Nationale und europäisch harmonisierte Bemessungsnormen
Tabelle 2: Ausgabedaten der nationalen Anhänge zu DIN EN 1996 – frühestmögliche Inbezugnahme der Gleichwertigkeitserklärung für die Bemessung nach DIN EN 1996
Tabelle 3: Charakteristische Werte fk der Mauerwerkdruckfestigkeit für Ziegelmauerwerk nach DIN EN 1996-3, Hochlochziegel HLzA, HLzB und HLzT1 mit Normal- und mit Leichtmauermörtel
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