Mehr als eine bauliche Ergänzung, mehr als Maisonettes
Tridom-Puzzle – Auf-stockung in München
Durch ein raffiniertes Konzept und einen kniffeligen Trick wird aus einer Aufstockung in der Hörwathstraße 2 im Norden des Münchner Stadtteils Schwabing mehr als das. Drei Maisonettes, geschickt ineinander verschachtelt, bieten nun hausähnliche Wohneinheiten in luftigen Höhe.

Sie wird Leonardo zugeschrieben, manche Kunsthistoriker sehen in ihr schon den Manierismus des 16. Jahrhunderts, doch für Palladio war sie einfach „eine schöne Art von Treppe“. Romantiker dagegen nennen sie „die Treppe der verlorenen Liebenden“. Und Florian Wurfbaum erzählt eine andere Anekdote: Die Mätresse des Königs nahm unbemerkt die eine Treppe nach unten, während die Königin auf der anderen Treppe nach oben ging. All diese Geschichten und Legenden handeln von der Doppelhelix-Treppe des Loire-Schlosses Chambord. Freilich, ob royale Untreue oder romantisches Liebesleid, auf bürgerliche Verhältnisse übertragen, macht diese Treppe eine vertikale Erschließung auch auf engstem Raum möglich.


Der geniale Kniff

Für das deutsch-portugiesische Architekturbüro WUDA* war die Cham­bord-Treppe der geniale Kniff, um aus einer Aufstockung mehr als nur eine Aufstockung, aus drei Maisonettes mehr als nur drei Stück übereinander gestapelte Ebenen zu machen. Denn in der Hörwarthstraße 2 im Norden des Münchner Stadtteils Schwabing – dies ist der Ort des Geschehens – sind die Maisonettes kleine Häuschen. Wohnungen mit zwei Ebenen, die das Raumerlebnis von Häuschen bieten. Das Gebäude mit einer schmucklosen Lochfassade stammt vom Anfang des vorigen Jahrhunderts. Ursprünglich stand an der Ecke Leopold-/Hörwarthstraße ein zweites spiegelbildliches Haus, das in den 1960er Jahren durch einen sechsgeschossigen, schmalen, sonst nicht weiter erwähnenswerten Wohnungsbau mit Laubengangerschließung ersetzt wurde. Da auch die weiteren Gebäu­de in der Bauflucht sechs Etagen aufweisen, war die Erhöhung um zwei Stockwerke allein schon aus städtebaulichen Gründen dringend geboten.

Das Projekt gliederte sich in zwei Teile: Modernisierung des Bestandsgebäudes und Erweiterung um drei Wohnungen. Das äußerst unebene Bestandsmauerwerk ließen die Architekten mit einer 12 cm starken Mineralwolldämmung sowie hinterlüfteten Putzträgerplatten versehen. Der darauf aufgetragene eher grobe Putz ist dunkelgrau durchgefärbt, sein Steinanteil relativ hoch – die Architek­ten wollte keine „glattgeschleckte“ Haut, sondern „Materialität“. Der Bauherr spendierte neue Fenster, neue Heizungen mit Fernwärmeanschluss, neue Bäder mit neuen Oberlichtern und einen neuen mit Industrieglas verkleideten Aufzug. Andererseits wurden unter dem Motto „alles was da und schön ist, soll erhalten bleiben“ die schönen Holztreppen mit ihren schnörkeligen Metallgeländern oder gefundene Malereien belassen und konserviert. Das bis zu 60 cm starke Mauerwerk sowie die alten, nun nicht mehr gebrauchten drei Kamine boten ausgezeichnete Bedingungen, im Hinblick auf die Aufstockung die Statik zu verbessern: Die Kamine wurden mit Beton und Bewehrung gefüllt, eine Stahlbetonstütze ist in eine Treppenwand integriert, zwei weitere sitzen in einer Tasche der Schaufassade. Die hinzugekommenen Lasten werden jetzt darüber abgeleitet.

Die Hauseingangstür – gläsern, rahmenlos und etwas zurückversetzt - ist eigentlich ein Fremdkörper, sie kündigt freilich zusammen mit der tiefen, weißverputzten Türlaibung die Veränderungen in den oberen Geschossen an. Das von dem Künstler Jakob Hentze entwickelte Muster der Fließen im Erdgeschoss wird von den ebenfalls neugeschaffenen Treppenhaus-Leuchten wiederholt und wirft leicht arabisch anmutende Schatten an die Wände. Ganz subtil also werden Bewohner und Besucher in die höheren Geschosse geleitet. Oben angekommen, meint man lediglich einen Unterschied zu erkennen: Aus dem Zweispänner ist ein Dreispänner geworden. Die Überraschung verbirgt sich hinter den Wohnungstüren: Jede der Maisonettes ist anders, jede der Maisonettes bietet ein anderes Raumerlebnis. Die mit 70 m² kleinste Wohnung – in den Schemen stets grün gezeichnet – hat nur die Orientierung nach Süden und Norden, die Ebenen sind aber versetzt. Bei den beiden anderen Wohnungen – der roten und der blauen - kommt zur Orientierung nach Süden und Norden auch noch die nach Westen. Auch ihre Ebenen sind zueinander versetzt. Darüber hinaus bieten die Wohnungen mit äußerst großzügigen Ober­lichtern eine Orientierung nach oben in den Himmel.

Florian Wurfbaum und Ines Dantas konzipierten die drei Maisonettes als dreidimensionale Puzzleteile mit verschiedenen Ecken und Kan­ten, als präzise geformte Passstücke, als überaus komplexe Raumteile, die ineinander verschränkt sind. Die zentrale Rolle, die den Erschließungsraum auf ein Minimum reduziert, spielt dabei die eingangs erwähnte Chambord-Treppe – allerdings nicht als runde Doppelhelix, sondern als diagonale Kuben, die ineinander gesteckt werden. Nachdem die Treppe bis zur Hälfte als zarte Freitreppe ohne Wangen geführt wurde, zeichnet sich danach der Treppenraum der einen Wohnung als schräge Skulptur in der benachbarten ab. Die Oberfläche dieser Skulptur ist wiederum für Erschließung der angrenzenden Wohnung nutzbar. Ist der Kubus in der roten und in der blauen Wohnung noch verputzt und trägt einen weißen Anstrich, so ragt er im grünen Maisonette als expressive Plastik mit einer grobschlächtigen, nur lasierten Betonoberfläche hervor. Und, als wäre es nicht genug des Ausdrucks, schwingen sich die vorher in einer Betontasche geführten, ruppige Metallhandläufe als diametral entgegengesetzte Dreiecke auf. Dazu kontrastieren geschliffene Eichenbohlen, große Raumhöhen, die offenen Grundrisse und eine nicht luxuriöse, dennoch gehobene Ausstattung. Dass die Chambord-Treppe darüber hinaus auch noch keines Treppenpodestes bedarf, dass genau über ihr die besagten Oberlichter platziert wurden, steigert die Großzügigkeit der Räume.

Der Ausblick durch die Schiebefenster, die jeweils fast die gesamte Wohnungsbreite einnehmen, ist großartig – vis á vis ein grüner Vorplatz der Kirche Maria vom Guten Rat (Architekt: Josef Wiedemann), auf der anderen Seite ein typischer Hinterhof mit Werkstätte und, etwas entfernt, die Leopoldstraße. Mit der massiven Lochfassade des Bestandsgebäudes kontrastiert die transparente Fassade der Aufstockung. Sie besteht aus drei Schichten: Ein außenliegender Vorhang aus sonnendichten Markisenstoff, bei dem sogar der Faltenwurf geplant wurde, bildet die erste, bewegbare, je nach Tageszeiten auch bewegte Schicht. Danach kommen eine tiefe Terrasse und schließlich die raumhohe Verglasung. Die wohnungstrennenden Mauern dagegen zeichnen sich an der Fassade ab. Den Maisonettes fehlt noch ein zweiter Bauabschnitt – leider. Konzipiert wurden die Maisonettes mit einer stark vertikalen Komponente, mit einer großzügigen Terrasse auf dem Dach (So bleiben jeder Wohnung „nur“ drei sehr geräumige Terrassen). Bauherr und Architekten planen, noch eine Genehmigung für die Dachterrassennutzung einzuholen. Zumal die Vorbereitungen bereits geleistet und die elektromechanischen Dachaustritte angelegt sind. Dann wären die Maisonettes wirklich Mini-Häuschen mit Dach-garten. Dann wäre das Motto der Aufstockung „Wachsen aus dem Alten“ tatsächlich erfüllt. Ein ceterum censeo noch: Die anfänglichen Bemerkungen um die Chambord-Treppe legen unglückliche Menschen nahe – die Bewohner der Aufstockung sind, nach eigener Aussage, jedoch sehr zufrieden und von ihren Maisonettes und ihrer Treppe äußerst begeistert. Enrico Santifaller, Frankfurt

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