Null CO2 und wenig
Kosten
Nullemissionshaus
Boyenstraße, Berlin

Mit ihrem „Nullemissionshaus“ demonstrieren die Architekten Deimel Oelschläger, dass Energieeffizienz und CO2-Neutralität im Wohnungsbau keine Kosten­frage sein müssen. Mit reinen Baukosten unter 1 800 €/m² setzt das Mehrfamilienhaus einer Berliner Baugruppe nicht nur im teuren Berlin-Mitte Maßstäbe.

Christoph Deimel und Iris Oelschläger, die sich auf energieoptimiertes Bauen und partizipative Planung spezialisiert haben, entwickelten das Konzept für das 7-geschossige Wohnhaus und planten dann zusammen mit den Mitgliedern der Baugruppe die Grundrisse. Das Null-emissionshaus in der Boyenstraße ist bereits das zweite Baugruppenprojekt der Architekten, die derzeit eine ambitionierte Plusenergie-Siedlung in einer für Baugruppen ungewöhnlichen Größenordnung projektieren. Zusammen mit drei anderen Architekturbüros aus dem Netzwerk Berliner Baugruppenarchitekten entwickelten Deimel Oelschläger das Konzept für eine Wohnanlage in Berlin-Adlershof. Das XXL-Bauherrenprojekt wird aus neun Häusern mit insgesamt 100 Wohnungen bestehen. Die Grundstücke sind gekauft, die Fertigstellung ist für 2015/2016 geplant (www.newtonprojekt.de).

Das gemeinsame Ziel mit der Baugruppe LUU Boyenstraße: energetische und soziale Nachhaltigkeit baulich umsetzen. Der Häuserblock erhielt ein Flächentragwerk aus Stahlbetonschotten, das viel­fältige und flexible Nutzungen ermöglicht, sowie Außenwände aus Holztafeln. Für die Energieeffizienz sorgen Passivhausstandard und regenerative Stromerzeugung durch Photovoltaik. Das begrünte Dach bindet Staub und mindert die sommerliche Überhitzung und sorgt damit, wie auch die Grauwasseranlage, für den ökologischen Fußabdruck. Nachhaltig ist auch die Grundrissplanung: Die 21 durchgesteckten, teilweise barrierefreien Wohnungen sind unterschiedlich groß und haben variable Grundrisse, die sich durch Teilung oder Zusammenlegung an später geänderte Bedürfnisse ihrer Bewohner anpassen lassen und damit generationenübergreifend nutzbar sind.

Das Wohnhaus fügt sich in die geplante Blockrandbebauung ein und ist straßenseitig nach Norden orientiert. Die Fassade variiert das Motiv des Erkers der für Berlin prägenden Gründerzeitbebauung. Gleichzeitig wirken die verschieden weit auskragenden Kuben wie ungeordnet übereinander gestapelte Container und geben der langen Straßenansicht eine zeitgemäße Plastizität. Zudem ermöglichen sie eine breite Varianz von Wohnungsgrößen zwischen 60 und 140 m², die im Schottensystem sonst nicht darstellbar gewesen wäre. Die

Abweichung der Fassadenerker vom günstigen A/V-Verhältnis wurde vorab mittels Passivhaus Projektierungspaket (PHPP) auf ihre Darstellbarkeit im Energiekonzept geprüft. Die nach Süden gerichtete Gartenseite wird von zwei wärmebrückenfrei angedockten Balkon-

regalen aus Metall aufgelockert. Die geschosshohen Faltläden aus Lärchenholz sorgen für Sonnenschutz und beleben die Ansicht mit
ihrem Wechsel aus offenen und geschlossenen Elementen.

Konstruktion
Die Konstruktion erfolgte kostengünstig in Mischbauweise aus Betontragwerk und vorgehängter Holzfassade. Der Schottenbau und die massiven Kerne wurden aus Betonfertigteilen aufgerichtet, die Fassadenöffnungen auf der Baustelle mit vorgefertigten Holztafeln verschlossen. Die hochwärmegedämmten Fassadenelemente sind
24 cm dick, außenseitig mit diffusionsoffenen MDF-Platten, innenseitig mit OSB beplankt. Zur Dämmung wurden die Holztafeln mit Zellulose befüllt. Raumseitig folgt eine 6 cm dicke Installationsebene, die mit Gipskarton 2-lagig verkleidet ist. Die Straßenfassade erhielt eine Wetterhaut aus sandgelben Faserzementplatten, die als vorgehängte hinterlüftete Konstruktion ausgeführt wurde. Die Gartenfassade wurde mit einem Außenputz auf einer 8 cm dicken Holzfaserplatte versehen. Außen und innen sind die Holztafelelemente wärmebrückenfrei mit Mineralwolle überdämmt. Durch den Dämm-Mix ergeben sich bauphysikalische Vorteile: U-Werte von 0,245 W/(m²K) und sehr gute Schallschutzwerte. Zudem erübrigen sich Brandschotts zwischen den Geschossen oder Brandriegel über den Fenstern. Bei den 3-fach-verglasten Passivhausfenstern kam den Architekten die Kostenentwicklung für Bauteile zugute: Es konnten Fenster mit thermisch getrennten Profilen mit deutlich besseren Dämmwerten als beim Vorgängerprojekt und trotzdem zu günstigeren Preisen eingebaut werden. Alle Konstruktionselemente liegen, wie auch die Anlagentechnik und die Lüftungsleitungen, im warmen Bereich. Auch die Keller liegen in der wärmegedämmten Gebäudehülle. Aus Kostengründen wurden alle Leitungsführungen auf wenige Schächte konzentriert.

Energiekonzept

Das zertifizierte Passivhaus wird klimaneutral durch die vollständige Erzeugung der notwendigen Restenergie aus regenerativen Energien. Mit dem Strom aus der PV-Anlage auf dem Dach ergibt sich in der Gesamtbilanz ein Null CO2, da das Gebäude mehr Energie erzeugt als es verbraucht – Haushaltsstrom inklusive. Der Primärenergiebedarf von 16 kWh/m²a liegt weit unter der Vorgabe der EnEV 2009.

Mit dem PHPP wurde ermittelt, dass die Wohnungen ohne aktive Beheizung auskommen werden. Lediglich die Bäder wurden aus Komfortgründen mit Handtuchheizungen ausgestattet. Die inneren Wärmequellen und die internen solaren Wärmegewinne wurden ebenfalls mit PHPP errechnet. Die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung konzipierten die Planer als semizentrale Anlage: eine Lüftungszentrale im Keller und Nachheizregister in jeder Wohnung sorgen dafür, dass die Temperatur und die Luftqualität der Zuluft wohnungsweise individuell geregelt werden kann. Die Luft wird im Garten angesaugt und über ein Erdregister in Form eines unterirdischen Luftkanals vortemperiert, d. h. im Winter vorgewärmt und im Sommer vorgekühlt. Denn durch einen „Bypass“ kann die Lüftungsanlage auch zur Kühlung genutzt werden. Den für die Anlagentechnik notwendigen Strom liefert ein gasbetriebenes BHKW im Keller. IS

Herstellernachweis
 
Fenster: Ludwig Häußler GmbH Fenster- und Türenfabrik, www.energate.com und batimet TA35SE, batimet GmbH, www.batimet.de
Fensterglas: arcon N Solar, arcon Flachglas-Veredlung GmbH & Co. KG, www.arcon-glas.de
Holztafelbauelemente: Holzwerke Ladenburger GmbH & Co. KG, www.ladenburger.de
Holzfaserplatte: DFD-Platte, Pavatex, www.pavatex.de
Dämmmaterialien Fassade: Kronoply GmbH,www.kronoply.com
Zellulosedämmung isofloc L (W), isofloc Wärmedämmtechnik GmbH,www.isofloc.de
Faserzementtafeln: Cembrit, www.cembrit.dk
BHKW: Mephisto G16+, Kraftwerk, Kraft-Wärme-Kopplung GmbH,http://kwk.info
Lüftungsanlage: MAXK-I2 4000 DC,  Lüfta GmbH, www.luefta.de
PV-Module: Sunmodule plus SW 250 mono black, SolarWorld AG
Beteiligte
Architekt:
Deimel Oelschläger Architekten Partnerschaft, Berlin, www.deo-berlin.de
Bauherr: Baugruppe LUU Boyenstraße GbR
Fachplaner/Fachingenieure
Haustechnik: AEH Ingenieure, Berlin, www.aeh-tga.de
Fassadenstatik: Bauplanungsbürpo Bauer Architekten Ingenieure, Roßwein,
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Rüdiger Jockwer GmbH, Berlin,
Projektsteuerung: L-S-H Bauprojekte für Mensch und Umwelt GmbH, Berlin,
Bauphysik: ACBM Acoustic Consulting Bernhard Marx, www.acbm.de
Zertifikatserteilung Qualitätsgeprüftes Passivhaus: Passivhaus Institut
Darmstadt, www.passiv.de
Energiekonzept
Konstruktion:
Fundamentplatte/KG: Zementstrich, Dichtungsbahn, Trittschalldämmung Ausgleichsdämmung 80 mm, WU-Beton, Trennlage, PE-Folie, Perimeterdämmung
120 mm, Feinplenum Sand, Vliesmatte, Schaumglasschotter 180 mm
Außenwand Garten: Gipskarton, Mineralwolle 60 mm, OSB-Platte, Isoflock 240 mm, DHF Platte Holzweichfaserplatte 60 mm, Putz
Aussenwand Straße: Gipskarton, Mineralwolle 60 mm, OSB-Platte, Isoflock 240 mm, DHF Platte Mineralwolle,Unterkonstruktion, Luftschicht, Faserzementplatte Fenster: Holzaluminium-Fenster mit 3-fach-Verglasung
Dach: Kiesschüttung, bituminöse Dachabdichtung, Wärmedämmung 250 mm
WLG 024, Dampfsperre, Betondecke
Gebäudehülle:
U-Wert Außenwand/Süd                   =          0,12 W/(m²K)
U-Wert Außenwand/Nord                 =          0,127 W/(m²K)
U-Wert Kellerwand                            =          0,141 W/(m²K)
U-Wert Sohle                                     =          0,117 W/(m²K)
U-Wert Flachdach                              =          0,098 W/(m²K)
U-Wert Erkerdach/Dachterrasse       =          0,145 W/(m²K)
U-Wert Fensterrahmen                     =          0,78 W/(m²K)
U-Wert Verglasung                            =          0,64 W/(m²K)
Luftwechselrate n50                            =          0,3/h
Haustechnik:
semizentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, Wirkungsgrad 85 %; Erdregister für Zuluft-Temperierung; Photovoltaikanlage: 40 PV-Module mit 10 kWp, Jahresleistung 10 246 kWh/a Blockheizkraftwerk (Gas), Grauwasseranlage
mit Wärmepumpe (in der Testphase)
Zertifikate/Preise:
Zertifizierung als Passivhaus,
KlimaSchutzPartner Berlin 2012 Kategorie „Erfolgreiche und innovative Planung“, Passivhouse Award 2014 Kategorie „Mehrfamilienhäuser“
x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 04/2018

Partizipatives Planen und Bauen mit Baugruppen

Gemeinsam mit aktiven Baugruppen haben Architekten während des letzten Jahrzehnts auch in Berlin viele Wohnprojekte realisiert. Der soziale und bewusst ökologische Ansatz, der aus Städten wie...

mehr
Ausgabe 05/2014

Passive House Award 2014 www.passivehouse-award.org

Wie gut Weltklasse-Architektur und Passivhaus-Standard zusammenpassen zeigt der Passive House Award 2014. Die Gewinner in insgesamt sechs Wettbewerbs-Kategorien wurden am 25. April 2014 auf der...

mehr
Ausgabe 10/2015

Von Spielregeln beim Bauen Baugruppenprojekt DennewitzEins, Berlin

„Keine Emails an die Architekten lautete die Devise,“ schmunzelt Architekt Ulrich Schop und fährt fort, „denn alle Fragen aus der Baugruppe sind für alle relevant.“ Zwei Sätze eines...

mehr
Ausgabe 03/2012

Verschmelzung mit dem Außenraum Baugruppe BIGYard, Berlin

Mit einer Auszeichnung im Rahmen der Verleihung des Deutschen Architekturpreises 2011 wurde das Berliner Büro Zanderroth Architekten für ihr Baugruppenprojekt BIGyard belohnt. Die zwei zueinander...

mehr
Ausgabe 05/2016

Das erste Passivhaus: langlebig und unverwüstlich www.passiv.de

Das erste regulär genutzte Passivhaus wurde 1991 im Darmstädter Stadtteil Kranichstein bezogen. Von der Reihenhausanlage mit vier Wohneinheiten liegen 25 Jahre Nutzungserfahrung, Messprotokolle und...

mehr