Plusenergie für ein BestandsgebäudeDas Powerhouse 2 in Kjørbo/NO
Der erste Umbau eines Bürohauses aus dem Bestand zu einem Plusenergie-Haus in Norwegen ist das Powerhouse 2 in Kjørbo. Anhand von zwei Gebäuden des fünf Häuser umfassenden Ensembles in der Nähe von Oslo soll gezeigt werden, dass eine Ertüchtigung vom Bestand in den Plusenergiestandard sowohl wirtschaftlich als für die Umwelt sinnvoll ist – sogar im Norden Europas.
Als Powerhouse ist in Norwegen ein Gebäude definiert, das in seinem Lebenszyklus mehr Energie erzeugt, als für die verwendeten Materialien, den Bau selbst, den Betrieb, die Renovierungsarbeiten und später den Abbruch oder Rückbau verbraucht wird. Als weiteres Kriterium gilt der Bau unter ökonomi-schen Bedingungen: Die Energiebilanz wird mit „Plus-Energie“ oder „Energie-positiv“ beschrieben, wenn zugekaufte, für den Bau und die Nutzung im Haus „importierte“ Energie durch die im Haus erwirtschaftete und ins Netz „exportierte“ Energie kompensiert werden kann. Die Life Cycle Performance eines
Powerhouses ist über 60 Jahre kalkuliert.
Powerhouse Kjørbo
Der Schlüssel zum Erfolg lag in der Integra-tion von ganzheitlicher Architektur, Fassa-
dengestaltung, Einsatz energieeffizienter Technik und Berücksichtigung der Nutzer-
belange: „Indem wir existierende Technologien in einer neuen Art und Weise kombinierten, haben wir einfache und ökonomi-sche Lösungen erhalten, um gewöhnliche Bürogebäude in Gebäude zu verwandeln, die über ihren Lebenszyklus mehr Energie produzieren als sie verbrauchen und dies sogar inklusive der Grauen Energien“, sagte Kjetil
T. Thorsen, Partner bei Snøhetta Architects
in Oslo und Mitglied der Powerhouse Allianz. Die Allianz wurde 2010 als Arbeitsgemeinschaft gegründet. Sie besteht aus dem Bauträger Entra Eiendom, der Baugruppe Skanska, dem Architekturbüro Snøhetta, der Um-
weltgruppe Zero und Sapa Building Systems mit der Marke Wicona; 2013 kam asplan viak Architekten als weiterer Partner hinzu. Die Allianz setzte sich zum Ziel, das Powerhouse Kjørbo so zu realisieren, dass es sich durch größtmögliche Benutzerfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit auszeichnet und die selbstgesteckten Ziele für die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit des Projektes erfüllt. Eine Case Studie der Skanska Gruppe vom April 2014 nennt dafür ökonomische, ökologische und soziale Kriterien:
– 100 % geringere Stromkosten als in konventionellen Bürogebäuden in Norwegen
– 100 % Energieeinsparung, Plusenergie-
Gebäude
– keine CO2-Emission bis 2070
– verantwortlicher Umgang mit Rohstoffen, überflüssiges Materials dient zu 97 % der Landverfüllung
– Einsparung von 10 % Wasser gegenüber konventionellen Bürogebäuden
– gesunde Arbeitsumgebung im Gebäude
Ausgangssituation
Bei dem Bestandsgebäude handelt es sich um ein Ensemble aus fünf würfelförmigen Bürogebäuden, die 1979 um ein Zentralgebäude herum errichtet wurden und von dort über verglaste Verbindungsstege erreichbar sind. Der Komplex gilt als historisch bedeutsam, seine Architektur als schützenswert.
Bestandteil des Projektes Powerhouse Kjørbo sind nur zwei der Bürogebäude: Haus Nr. 4 mit drei, Haus Nr. 5 mit vier Etagen. Sie waren mit den in Norwegen klassischen Holzständer-Fassaden errichtet: Holzständerwand zwischen Stahlbeton-Decken eingestellt, außen Brüstungsgläser und Alu-Andruckleisten als Wetterschutzebene – gleichsam eine Holz-Alu-Fassade. Im Brüstungsbereich befanden sich emaillierte Glasscheiben. Die vorhande-nen Holz-Schwingfenster waren nicht mehr funktionstüchtig.
Architektonisches Konzept
Zur optimalen Gestaltung von Planung, Ausführung und Bewirtschaftung wurden die Gebäude einer digitalen Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling, BIM) unterzogen, in der sich alle relevanten Daten vernetzen ließen. Im Ergebnis entstand eine Sanierungslösung, die Photovoltaik, Erdwärme, Lüftungs- und Fassadenkonzept so auf-einander abstimmt, dass der angestrebte Plusenergie-Standard möglich wird.
Das äußere Erscheinungsbild blieb wegen des Denkmalschutzes weitgehend erhalten. Um die Anmutung der ehemals schwarzen Fassaden zu bewahren, nutzte man eine unter dem Namen Shou Sugi Ban bekannte, auf japanischer Tradition fußende Technik, bei der die Oberfläche des Holzes durch Beflammen verkohlt wird. Durch dieses Verfahren und die Nachbehandlung wird das Holz konserviert und extrem wetterbeständig.
Alle vorhandenen Ressourcen wurden intensiv genutzt. Die Anordnung der Einzel- und Großraumbüros berücksichtigt sowohl das Tageslichtangebot als auch den Baumbestand der Umgebung. Das Thema Hitze- und Blendschutz wurde durch außenliegende schwarze Zip Screens gelöst. Sie gestatten freie Sicht nach außen und bieten Sichtschutz nach innen. Große gekrümmte Lichtkuppeln lenken Tageslicht über organisch geformte Treppenhausanlagen bis hinunter ins Erdgeschoss. Tageslicht und Sonneneinstrahlung sowie die Möglichkeit der natürlichen Lüftung ermöglichen den Nutzern des Hauses einen ungezwungenen Kontakt mit der natürlichen Umgebung des Hauses.
Die Fassade
Das Fassadenkonzept des Powerhouse-Projekts wurde mit einer Passivhaus-Fassade umgesetzt. Die hochwärmegedämmte Holzständerkonstruktion erhielt eine Vorsatzschale im Shou Sugi Ban-Design als Wetterschutz. Im Bereich der Fensterbänder wurde das Holzständerwerk kombiniert mit der Passivhaus tauglichen Pfosten-Riegel-Konstruktion Wictec 50 PH – mit 2,25 m breiten und 0,6 m hohen Senk-Klapp Ganzglasflügeln und darüber angeordneter Festverglasung. Bei unverändertem Fensterflächenanteil dienen die größeren Ganzglasfenster Wicline 90SG der bestmöglichen Tageslichtversorgung der Büroräume. Die 3-fach-verglasten Fenster (Wärmedurchgangskoeffizient Uw = 0,80 W/m²K) öffnen sich ohne motorische Unterstützung nach außen. Für die Montage wurden die
Folienanschlüsse am Pfosten-Riegel-Element vormontiert an die Baustelle angeliefert. Festverglasungen und Senk-Klapp-Fenster wurden bauseits eingesetzt.
Die durch Stützen getrennten Senk-Klapp-Fenster mit den darüberliegenden Festverglasungen bilden Fensterbänder, deren Brüs-tungsbereich wie zuvor opak erscheint. Für die 45°-Gebäudeecken z. B. wurden Fassadenelemente mit Festverglasungen als Sonderkonstruktionen auf der Basis von Wicona Fenster- und Fassadensystemen entwickelt.
Die Dämmung der Außenwand besteht aus drei Schichten, die wärmebrückenarm mitein-ander verbunden sind. Der innere Ebene ist zwischen den Geschossdecken eingestellt. Die mittlere bildet die Haupt-Dämmebene, in die auch das Pfosten-Riegel-Element eingebaut ist. Die äußere Dämmschicht läuft in einer Ebene komplett von oben nach unten durch und ist am Fußpunkt des Gebäudes über dem Kellergeschoss abgelastet. Der Sonnenschutz verschwindet hinter der Wetterschutzschicht.
Energie-Konzept
Thermische Energie liefert eine Wärmepumpe. Für die Erdsonden wurden 100 bis 300 m tiefe Bohrungen gesetzt. Die Wärmepumpe arbeitet in verschiedenen Betriebsmodi: Während der Heizperiode entnehmen die Sonden Wärme aus dem Erdreich, in der Kühlperiode transportieren sie Wärme dorthin. Das Erdreich dient sowohl als Energiequelle als auch als Puffer und Wärmesenke.
In der obersten Etage wurden Lüftungszentralen errichtet. Der Verzicht auf eine Aufdachlösung sicherte Flächen für Photovoltaikanlagen, außerdem ließen sich so kurze Wege für die Luftführung durch Treppenhäuser, Fluchttreppen oder neue Deckenausschnitte realisieren. Die Luftschächte verlaufen in abgehängten Akustikdecken. Die Luft-
verteilung erfolgt jeweils vom Kern des Gebäudes nach außen. Werden die Fenster zum Lüften genutzt, besteht lediglich Fortluftbetrieb.
Die Dachflächen der Bürogebäude wurden mit doppelt geneigten PV-Modulen bestückt, 15 ° in südöstlicher bzw. 10 ° in nordwestli-cher Richtung. Die 464 hocheffizienten monocristallinen SunPower Module mit 333 Wp auf einer Gesamtfläche von 756 m² werden im Jahr 115 000 kWh Strom liefern. Das Parkhausdach wurde auf 635 m² mit 396 einfach geneigten PV-Modulen belegt. Sie erzeugen 98 000 kWh Strom im Jahr für die Energie-
bilanz der Powerhouse Gebäude.
In diese Energiebilanz fließt auch die sogenannte Graue Energie mit ein. Dazu formuliert die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e. V. (WTA): „Die Graue Energie (indirekte Energie) berücksichtigt die für die Gewinnung der Rohstoffe, die Herstellung der Materialien und die dazwischenliegenden Transporte benötigte Primärenergie. Bei einer zukunftsgerichteten Bauweise mit sparsamem Energieeinsatz erreicht die Graue Energie unter Berücksichtigung der Lebensdauer der Bauteile einen Anteil, welcher gegenüber der Primärenergie für den Betrieb nicht mehr vernachlässigt werden darf.“
Integraler Bestandteil des Sanierungskonzepts war daher der sorgsame Umgang mit den vorhandenen Materialien. Innentüren wurden aufgearbeitet und wieder eingesetzt. Die Glasscheiben der Brüstungspaneele erhielten neue Funktionen als Innentrennwände oder Ausfachungen von Türen für Besprechungszimmer und Treppenhausverkleidun-
gen. Alle wieder verwendbaren Materialien wurden sortengerecht aufbereitet.
Fazit
Am Projekt Powerhouse Kjørbo haben 375 Menschen gearbeitet. Ein großer Teil kam aus der Umgebung des Bauvorhabens, aber es waren auch viele international tätige Unternehmen und Handwerker einbezogen.
Die komplexen Zusammenhänge, das optimale aufeinander Abstimmen von Raumprogramm, örtlichen Gegebenheiten, Architektur und Gebäudetechnik verlangten den dauerhaften, intensiven Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten. So bestand beim Powerhouse Kjørbo die Herausforderung darin, die sich stetig neu ergebenden Erkenntnisse allen Teilnehmern zeitnah weiterzugeben, damit diese sie in ihre Überlegungen einbeziehen konnten. Die Art der Zusammenarbeit in interdisziplinären Workshops und deren Moderation für das Finden optimaler Lösungen waren zumindest in Norwegen etwas komplett Neues. Mit der erfolgreichen Umsetzung des Powerhouse Kjørbo strahlen die gewonnenen Erfahrungen nun auch auf andere Projekte im Norden aus.
Das Powerhouse wurde nach BREEAM und ZEB-Zero Emission Building zertifiziert. Es zeigt, dass ein ganzheitlicher, alle Einflussgrößen über einen Lebenszyklus berücksichtigender Ansatz praktikabel ist.
Asplan Viak Architekten, www.asplanviak.no
Verglasung, Ug = 0,5, Tl = 68 %, g = 49 %
Außenwände opak, U = 0,15 W/m²K
Außenwände EG, U = 0,15 W/m²K
Bodenplatte Keller, U = 0,30 W/m²K
Bodenplatte gegen Erdreich, U = 0,12 W/m²K
Kellerdecke zu EG, U = 0,16 W/m²K
Dach, U = 0,08 W/m²K