Tapes zum Lesen
Eigentlich kein Buch, aber was macht das schon. Bücher verstauben, schlimmstenfalls in Würde, Zeitschriften altern, bestenfalls im tagtäglichen Gebrauch. Das wird ganz sicher der hier besprochenen Zeitschrift wiederfahren, der ARCH+ Nr. 216. Wie schon zu Ungers und zuletzt (und hier besprochen) zum theoretischen Werk von Posener ist auch diese Ausgabe monografisch auf einen Protagonisten der deutschen Architekturgeschichte fokussiert. Und zwar – das kann man nach der Lektüre sagen – auf einen ganz besonderen dieser Spezies.
Anlässlich des 30-jährigen Gründungsjubiläums des Deutschen Architekturmuseums, Frankfurt a. M., dessen Gründungsdirektor Heinrich Klotz (1935-1999) war, und eigentlich schon einige Jahre zuvor, hat das Kuratorenteam des DAM die verschriftlichten Tondokumente – Tagebuchnotizen gleich – gesichtet und für den Abdruck vorbereitet. Der Titel der Publikation führt also ein wenig in die Irre, hier wird eben nicht the masters voice auf Silberscheibe präsentiert, sondern tatsächlich nur das Transskript. Das damals das Sekretariat für Klotz übernommen hat, der offenbar überall und zu jeder ihm wichtig erscheinenden Sache einen Kommentar ins Mikrofon sprach.
Die von kurzen Essays eingeleitete Dokumentation – die Essays beziehen sich inhaltlich auf die Tapes und umkreisen die Themen der Klotz-Fotografie, der Gründungs- und Architekturgeschichte des Hauses, den damaligen Kunstmarkt oder das Selbstbild, das Klotz von sich hatte – sind ein tiefer Einblick in das Ego eines Exzentrikers, in seine Gefühlswelt, die auf Architektur und ihre Protagonisten ausgerichtet war (wesentlich auf Oswalt
Mathias Ungers). Die knapp 200 Druckseiten (dt./engl.) umfassenden Notizen sind mit Fotografien wunderbar genau bebildert. Die Fotos machte Klotz neben allen Tonaufzeichnungen auch noch, 1000fach. Die Texte, die hier nur selten durch Auslassungen redigiert oder teils, weil vielleicht zu persönlich (aber geht das noch??!), gestrichen wurden, sind entlarvend und, weil so nah am Zeitgeschehen, heute extrem lebendig. Hier geht es um das Projekt des DAM, hier geht es um den Erwerb von Sammlungsstücken, hier geht es um Machtspiele und Abhängigkeiten, hier findet man die Hintergründe, die das Werden des DAM bis heute vielleicht erklärlicher machen. Und tatsächlich geht es auch um den Anspruch von Heinrich Klotz, die Postmoderne in Deutschland zu etablieren und vielleicht sogar noch darüber hinaus (was ihm allerdings nicht gelang).
Unglaubliches, Abstruses, Bedenkliches, Glänzendes, Hochspannendes, das ganze Spektrum eines wie wild Arbeitenden und so einflussreichen wie häufig auch gescheiterten Vermittlers zwischen denen, die die eigentlichen Lenker waren … oder die glaubten, sie wäre es gewesen. Die Tapes, das lässt sich zusammenfassend schreiben, sind das Lebendigste, was über die Architekturgeschichte der Achtziger in Deutschland publiziert wurde und wer sie nicht liest vergibt sich ein großes Vergnügen. Und ist, so würde HK es wohl diktieren, selbst schuld! (zur Ausstellung hier auf S. 40) Be. K.