Testwohnen in Wilhelmsburg
Ein Gespräch mit den Bewohnern des LichtAktiv Hauses
www.velux.de/lichtaktivhaus.de

Seit gut anderthalb Jahren gibt es das Wohnexperiment „Velux LichtAktiv Haus“, das im Rahmen der IBA Hamburg in Wilhelmsburg als Nullenergiehaus konzipiert wurde (lesen Sie dazu unseren ausführlichen Bericht in der DBZ 1/2011). Das Siedlerhaus aus den 1950er-Jahren wurde mit dem Ziel modernisiert, die benötigte Energie inklusive des Haushaltsstroms durch erneuerbare Energien zu erzeugen und mit einer anspruchsvollen Tageslichtarchitektur ein Klima des Wohlbefindens und der Behaglichkeit zu schaffen. Um herauszufinden, wie das LichtAktiv Haus im täglichen Betrieb funktioniert, bewohnt eine 4-köpfige Familie das Gebäude zwei Jahre lang. Begleitet wird dieses Wohnexperiment durch ein umfassendes wissenschaftliches Monitoring der Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt sowie der Humboldt-Universität zu Berlin, deren Konzept physikalische und soziologische Untersuchungsmethoden verbindet. Nach den bisherigen Auswertungen der Ergebnisse wird deutlich, dass das modernisierte Siedlerhaus die Erwartungen in den meisten Bereichen erfüllt oder sogar übertrifft. Ziel der Untersuchungen ist es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich nachhaltiges Wohnen auf das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt und so eine Well-being-Forschung des Wohnens zu begründen. Die Wohnzufriedenheit der Testfamilie im Velux LichtAktiv Haus und das Zusammenspiel von Gebäude und Technik zeigen, dass sich höchster Wohnwert bei optimaler Nutzung erneuerbarer Energien auch bei der Modernisierung von Bestandsgebäuden verwirklichen lässt. Schon nach etwa 20 Monaten haben sich bei diesem auf zwei Jahre ausgelegtem Wohnexperiment bemerkenswerte und interessante Erkenntnisse für das Wohnen in der Zukunft ergeben.

Die DBZ Redaktion hat Irina (IO) und Christian Oldendorf (CO) darüber befragt, wie sie sich nach gut anderthalb Jahren in dem neuen Zuhause fühlen.

Mehr Infos zu dem Projekt unter: www.velux.de/lichtaktivhaus.de
Den Blog der Testfamilie lesen Sie unter www.lichtaktivhaus.de

Hättet ihr euch vorstellen können, mit einem Haus eine so hohe Identifikation herzustellen? Ich meine nicht nur die emotionale Lebensqualität, sondern auch die technische Dimension des Hauses?

CO: Uns wird eigentlich erst jetzt in der Endphase deutlich, wie das Haus auf uns wirkt, wie es uns beeinflusst. Wir stellen uns schon die Frage: Gehen wir zurück in die alte Wohnung? Kann man das überhaupt noch? Wir stellen fest, es geht nicht! Nicht weil es kleiner ist, sondern weil es dunkler ist, nur kleine Fenster mit dunklen Räumen, wir mussten immer das Licht anschalten. Hier merken wir, wie wichtig uns Tageslicht ist, das die Räume regelrecht durchflutet. Als wir von diesem Projekt gehört hatten, fanden wir es sehr spannend, so modern und energiesparend wohnen und leben zu können! Für uns war Ottensen als Wohnort immer ein ganz wichtiger Aspekt, jetzt sagen wir aber, dieses Haus hier in Wilhelmsburg ist uns wichtig. Es ist uns wichtig, dass die Kinder draußen spielen können, dass wir viele Leute einladen können. Solche Dinge haben an Wert gewonnen.

Wie erleben eure beiden Jungs dieses Haus, wie nehmen sie die Technik wahr?

IO: Für die beiden ist der große Garten das Wichtigste und dass sie Fußball spielen können. Wenn sie Freunde einladen und sich plötzlich die Fenster automatisch öffnen, erschrecken die sich erst einmal und fragen ‚Was ist das?’ Und sind dann beeindruckt von dem modernen Haus. Für unsere Kinder ist vieles selbstverständlicher als für die Besucherkinder. Schön ist, dass unsere Kinder durch das Haus in ihrer Wahrnehmung sensibilisiert sind, Energie bewusst und sparsam zu verbrauchen.

Ist die funktionale Trennung zwischen Alt- und Neubau etwas, was sich im Alltag bewährt hat?

CO: Ja, sehr. Hier im Neubau kann man feiern, macht die Schiebetür zu und die Kinder schlafen und kriegen nichts mehr mit. Der Neubau als öffentlicher und der Altbau als persönlicher Bereich mit Schlafräumen, das ist schon perfekt. Schön ist auch, dass alles so offen ist mit viel Tageslicht. Die Kinder haben zwar kleine Zimmer für sich, aber in der Galerie als Gemeinschaftsraum kommen wir halt zusammen.

Es gibt oft Vorbehalte gegen Nullenergie- oder Effizienz-Plus-Häuser wegen der hohen Technik-Abhängigkeit. Ihr habt euch darauf eingelassen. Wusstet ihr, was das bedeutet und was auf euch zukommt?

CO: Die Technik läuft im Hintergrund, die ist kaum zu spüren. Sie dient dazu, unser Leben zu vereinfachen und zu entlasten. Wir haben die Möglichkeit manuell einzugreifen, wenn es nötig ist. Ansonsten beschäftigen wir uns mit diesen Dingen nicht mehr.

Was bedeutet es für euch, in einem nachhaltigen Gebäude zu wohnen, welches sich den Menschen anpasst und nicht umgekehrt?

IO: Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass wir kaum gedacht hatten, mit soviel Tageslicht so komfortabel leben zu können.

CO: Das betrifft eigentlich die ganze Technik. In unserer alten 3-Zimmer-Wohnung hatten wir eine Gastherme und haben immer auf ­unsere Abrechnung gewartet. Man hat sich über Schimmelbildung geärgert, die wir dann angeblich durch falsches Lüften selber verursacht haben. Zu wissen, dass es hier eine Technik gibt, die für einen lüftet, dass man eine außergewöhnliche Dämmung hat, Systeme, die aus Sonne Strom produzieren – das alles ist für uns völlig neu. Trotzdem haben wir unsere Gewohnheiten nicht ändern müssen. Wir genießen das und haben zusätzlich wesentlich höheren Wohnkomfort. Man lernt mit der Zeit, mit der Technik umzugehen, dafür muss man kein Fachmann sein. Bei den Bedienungselementen wünschen wir uns eher solche, die portabel sind. Das System mit dem Smartphone zu steuern, wäre schon sehr praktisch.

Nach den bisherigen Erfahrungen mit eurem Energieverbrauch geht ihr davon aus, dass ihr für Raumheizung, Warmwasser und Strom so gut wie nichts werdet zahlen müssen?

CO: Genau! Im vergangenen Jahr haben wir für Strom 5 € bezahlt. Dieses Haus ist ein PlusEnergie-Haus. Der Strom von der Photovoltaik-Anlage wird direkt ins Netz eingespeist und wir bekommen eine Einspeisevergütung. Das läuft über einen Zähler, wir haben hier keinen Speicher. Theoretisch hätten wir das Auto als Batterie, aber diese Technik geht noch nicht. Wir haben einen großen Monitor, auf dem wir alles nachvollziehen können. Mit kleineren Monitoren kann ich für jeden Raum Temperaturen und CO²-Werte einstellen: soll nach­gelüftet werden, sollen die Jalousien rauf- oder runterfahren.

Die Erhaltung der Lebensqualität auf der einen Seite muss natürlich konform gehen mit der Möglichkeit, Energie einzusparen bzw. zusätzlich Energie zu erzeugen. Ist das sichergestellt?

IO: Aus diesem Grund werden wir von zwei Hochschulen begleitet. Von der Humboldt Universität und der TU Braunschweig. Die TU hat den Fokus auf der Technik im Sinne von Monitoring, während die Humboldt Universität uns soziologisch im Blick hat. Die technischen Anforderungen und Maßgaben der  TU werden im Einklang mit uns umgesetzt und wir werden entsprechend angeleitet. Seit Januar 2012 werden alle Daten zu Energieerzeugung und -verbrauch sowie das Außenklima und die entsprechenden Innenraumwerte kontinuierlich quantitativ erfasst und dokumentiert. Parallel dazu beantworten wir im Rahmen von qualitativen Interviews, Gruppendiskussionen und Onlinebefragungen regelmäßig Fragen zu unserem persönlichen Wohn- und Wohlfühlgefühl, um einen Bezug zu den quantitativen Messwerten herzustellen.

Wie kann man sich das vorstellen? Was tun die bei euch, was hinterfragen sie?

CO: Genauso wie wir auch jetzt hier sind, sitzen wir zusammen und erzählen, was uns in den letzten Wochen aufgefallen ist, wie das im Übergang Sommer/Herbst gelaufen ist.

IO: Wir versuchen nachzuvollziehen, wann wir uns wie lange in welchem Raum aufgehalten hat, wann wir geduscht haben, wie lange das Licht an war oder ob wir die Jalousien manuell oder elektrisch bedient haben. Jeder unserer Schritte ist nachvollziehbar, daran muss man sich erst gewöhnen. Unsere Wohlfühltemperatur hatten wir auf 20,5 °C festgelegt, mussten dann aber feststellen, das sie eher bei 22 bis 23 °C liegt, weil hier eine Menge Bewegung im Haus ist: Tür auf, Tür zu ...

Seit ein paar Tagen führen wir eine tägliche Online-Befragung durch: fünf Fragen über drei Wochen. Da werden Fragen nach dem Licht gestellt: wie die Luftverhältnisse, Wärmeverhältnisse, das Wohlbefinden sind und wer sich wo wie lange aufgehalten und was gemacht hat. Das sind nur ganz kurze Fragen, die mit wenig Aufwand zu beantworten sind. Diese Fragen über einen Zeitraum von mehreren Wochen ergeben ein Bild, gerade jetzt im Jahreszeitenübergang, eine Kurve, Ergebnisse und damit wichtige Erkenntnisse zu unserem Wohnverhalten.

Bereut ihr eure Entscheidung für dieses nachhaltige Gebäude an diesem Standort?

Die Frage stellt sich so nicht. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen so zu leben, wie wir es in Ottensen getan haben – wir möchten weiter in Wilhelmsburg und damit auf jeden Fall in diesem wunderbaren Haus bleiben.

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