„Thesen für ein menschengemäßes Bauen“Prof. Dipl.-Ing. Peter Hübnerzum Thema „Bauen für Kinder“
Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther fasste am Schluss einer Fernsehsendung seine Aussagen zum Thema Schule zusammen, in dem er sagte: „Eigentlich ist alles ganz einfach, ohne die Liebe zum Kind gibt es keine gute Pädagogik!“ (nach: Gerald Hüther, Uli Hauser: Jedes Kind ist hoch begabt. Knaus 2012). Dem schließe ich mich, nach dem Bau von über 20 Schulen und über 20 Kindergärten, gerne an: „Ohne die Liebe zum Kind gibt es keine guten Kindergärten und keinen guten Schulbau!“
Für mich ergeben sich folgende zentrale Forderungen für ein menschengemäßes Bauen von Schulen (und für Kindertageseinrichtun-gen entsprechend):
1. Ohne Partizipation, also rechtzeitige, möglichst die Programmfindung und den gesamten Entwurfsprozess begleitende Beteiligung der späteren Akteure, entsteht keine maßgeschneiderte, Identität stiftende Schule.
2. Anstatt den Begriff Schule zu verwenden sollten, wir von „Lernlandschaften“ sprechen, sie bieten Individualität und Maßstabsgerechtigkeit, Flexibilität und Raum für neue Lern- und Lehrkonzepte. Die Kinder und Erwachsenen verbringen mehr und mehr Zeit in der Schule, die damit den wichtigsten Lebensort für lange Zeit darstellt. Die Schulen/Kindergärten werden in Zukunft verstärkt die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse aller beteiligten Akteure stützen und fördern müssen. Deswegen dürfen sie nicht länger anonyme Lehranstalten mit standardisierten Klassenkisten an langen Fluren sein, sondern müssen kleinteilige, differenzierte, anregende Raumangebote bieten, die offene Lehr- und Lernformen ermöglichen. Flure sollten durch kluge Brandschutzkonzepte grundsätzlich für pädagogische Aktivitäten nutzbar sein. Das Vorbild „Stadt“ oder „Dorf“ stellt exemplarisch ein mögliches Modell für das Zusammenleben einer großen Zahl von unterschiedlichen Akteuren dar.
3. Um überhaupt einen innovativen zukunftsfähigen Schulbau zu ermöglichen, müssen andere Planungsvoraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört vor allem der Ersatz der völlig veralteten Schulbaurichtlinien durch ein neues flexibleres Regelwerk, das größere Spielräume für die Profilierung der jeweiligen Schulen unter zwingender Teilhabe der betroffenen Akteure bietet, durch z. B. Abschaffung des Klassenbezuges. Die Bemessung könnte besser auf Schüler und Lehrer, nach dem Vorbild von Südtirol, bezogen werden. Es sollten andere Wettbewerbsbedingungen gelten, nach denen bereits vor der Auslobung eine Auswahl qualifizierter Architekten durch ein Auswahlgremium (in dem nach schwedischem Vorbild die Pädagogen und nicht die Architekten die Majorität haben) stattfindet.
4. Die Bereitstellung größerer Finanzmittel für Bau, Betrieb und Unterhalt von Schulen ist zu fordern. Besondere Unterstützung sollten „Leuchtturmschulen“ mit besonderer pädagogischer Eignung und architektonischer Qualität erhalten und somit das Spektrum „was Schulen sein könnten“ erweitern. Eine Schule als Lernlandschaft sollte nicht vordergründig den ästhetischen Ehrgeiz der ArchitektInnen befriedigen, sondern den Anforderungen der dort lebenden LehrerInnen und SchülerInnen an einen menschengemäßen Aufenthaltsort und Lebensraum genügen.
5. Schulen sollten nicht dem Zeitgeist folgende Energiesparmaschinen mit Passivhausstandard werden, sondern die aktive Beteiligung aller Benutzer herausfordern und damit ein aktives Übungsfeld für ökologisches nachhaltiges Handeln darstellen.
6. Bildungseinrichtungen sollten als zentrale Orte sowohl baulich als auch gesellschaftlich eng mit der Stadt verwoben sein und durch Öffnung zur Kommune und Teilhabe am öffentlichen Leben die Stadt als wichtiges didaktisches Umfeld nutzen. Schule selbst als „Stadt in der Stadt“ und nicht als stadtferner Campus.
Der Baubestand in Deutschland beläuft sich auf circa 40 000 Schulen. Allein unter ökologischen, aber auch unter ökonomischen und städtebaulichen Gesichtspunkten wird in Zukunft der Um- und Erweiterungsbau bestehender Schulen eine besonders wichtige Aufgabe sein müssen.
Literaturempfehlungen
– Peter Hübner: „Lernlandschaften entwerfen“. In: Entwurfsatlas Schulen und Kindergärten, Birkhäuser 2011
– Ders.: Schüler bauen ihre Schule. Edition Axel Menges 2005
– Schulen Planen und Bauen, hrsg. v. Montag Stiftung. Jovis Verlag 2012 (in der DBZ rezensiert)
– Peter Blundell Jones: Peter Hübner, Bauen als ein sozialer Prozess. Edition Axel Menges 2007
– Mehr zum Thema unter www.plus-bauplanung.de. Ein längerer Beitrag von Peter Hübner („Schulen als Kraftorte gestalten“) auf DBZ.de (Stichwort „Hübner“).
Der Architekt
Professor Dipl.-Ing. Peter Hübner, geb. 1939, studierte nach einer Orthopädieschuhmacher- und Schreinerlehre von 1963 bis 1968 an der Universität Stuttgart Architektur. Er eröffnete 1971 ein Entwicklungsbüro für industrielle Bauteile und Bausysteme und erhielt im selben Jahr für drei Jahre einen Lehrauftrag an der Uni Stuttgart für das Bauen mit Kunststoffen. 1979/80 wurde er als Stipendiat der Villa Massimo Rom in Stuttgart zum Professor berufen und gründete sein eigenes Architekturbüro.