Untergang und AuferstehungIn Maastricht rettet man Kirchen mit Büchern
Wer sich sich in Norwegen eine gute Flasche Wein gönnen möchte, hat zweierlei Hürden zu überwinden: Die erste ist der vergleichsweise hohe Preis, die andere der Erwerb der Flasche selbst. Seit dem Alkoholverbot aus alten Tagen müssen Genießer wie Süchtige die staatlichen „Vinmonopolets“ aufsuchen. Diese Verkaufsräume mit dem Charme einer leergeräumten und zugestaubten Arztpraxis, in welcher man schon im Empfang seine Krankengeschichte vor aller Ohren offenbaren muss, könnten auch hartgesottenen Trinkern ihr Laster verleiden, immerhin gilt es, Winzernamen und Jahrgänge in weiter Ferne vor Augen, vor den Ohren zweier streng dreinblickender Angestellter die verbotenen Wünsche zu äußern. Dass diese dann wie selbstverständlich erfüllt werden, ist das eine, das andere der Abgang: Mit der in neutrales Papier eingewickelten Flasche unterm Arm hat der Käufer dann viele Meter bis zum Eingang zurückzulegen, wissendde Blicke im Nacken, eine gnadenlos lange Strecke im ungeschützten Niemandsland.
Zurück von Stamsund beispielsweise ins niederländische Almere. In dieser zivilisierter anmutenden Region Europas, in der Alkohol allüberall zu erwerben ist, betrat ich einen Buchladen in De Corridor 6, schlenderte durch die offensichtlich neu gestaltete Ladenlandschaft, nahm schließlich einen Comic aus einem Regal und suchte die Kasse. Die offenbarte sich als trendig gestyltes Echo aus dem Stamsunder „Vinmonopol“; ich ließ das Bilderbuch wo es war und suchte das Weite.
In Maastricht, ebenfalls Niederlande, der gleiche Buchhändler und die gleichen Architekten (Merkx + Girod, Amsterdam). Hier ist die Kassensituation eine andere, wenngleich die Räume noch weiter sind. Die Einkaufswege reichen schon mal hundert Meter tief in den Raum; einen Kirchenraum mit Seitenkapellen aus dem 13. Jahrhundert allerdings, in welchem zuletzt Fahrräder geparkt wurden. Hierhinein bauten die Architekten nicht bloß die Regale ein, sie verhinderten mit ihrem zentralen, mehrgeschossigen Raummöbel die horizontale Schließung des spätgotischen Raums, der trotz aller Imposanz dem Händler zu klein war. Denn der liebt die Weite der Wege. Wer die erleben möchte kann das in der Dominikanerkerkstraat 1 tun. Und kauft sich hier ein Buch über den Untergang eines längst nicht mehr sakrosanten Bautypus. In Maastricht aber ist der Untergang zugleich eine wundervolle Auferstehung. Be. K.