Verdeckte ModerneGerling Hochhaus, Köln
Hans Gerling dachte groß. Nicht nur das Hochhaus, gleich das ganze Quartier trägt seinen Namen. Damit hat er sich und seinem Imperium ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Nun baut kister scheithauer gross (ksg) die Büros, in denen früher die Welt versichert wurde, zu Wohnungen um.
Den Sitz der Gerling Versicherung in Köln entwickelte Hans Gerling, deutscher Versicherungsunternehmer, 1904 zu einer Stadt in der Stadt, in der er selbst Ordnung, Maß und Stil vorgab. Generiert aus den Repräsentationsarchitekturen verschiedener Jahrhunderte, entstand hier mitten in der Kölner Innenstadt etwas ganz Eigenes und vollkommen Ortsfremdes. Der heroische Stil der GerlingBauten war Anfang der 1950er-Jahre im bürgerlichen Köln umstritten, zu viele spürten in der Monotonie der Fassadenraster, der Symmetrie und schieren Größe des Ensembles wieder das Pathos des Dritten Reiches. Dies war wenig verwunderlich, denn alle der von Gerling engagierten Architekten gehörten ehedem zum Planungsstab des Generalbauinspektors Albert Speer.
Nach dem Aufstieg des Konzerns über viele Jahrzehnte folgte der Fall, nicht plötzlich aber doch unvermeidlich. Besiegelt wurde das Ende 2006 schließlich mit der Übernahme des Konzerns und dem Verkauf der damit obsolet gewordenen Kölner Zentrale, immerhin ein Paket aus einem 4,6 ha großen Gelände in bester Innenstadtlage und 112 000 m² BGF in einem außergewöhnlich gut erhaltenen und zum großen Teil denkmalgeschützten Immobilienbestand.
Um das Gerling-Universum quasi in sein Gegenteil – ein offenes und lebendiges Stadtquartier – zu transformieren, lobte die neue Eigentümerin FRANKONIA Eurobau AG 2007 ein zweistufiges Gutachterverfahren aus. Hier überzeugte das Büro kister scheithauer gross (ksg), das der Eigenart der Architektur und der stadträumlichen Situ-ation das größte Verständnis entgegen gebracht hat.
Nun, fast zehn Jahre und einen weiteren Eigentümerwechsel später, ist der Umbau fast abgeschlossen. Das Quartier wurde mit ca. 18 000 m² nachverdichtet und trotz Nutzungsänderungen vom Arbeiten zum Wohnen im Duktus seines Erbauers fortgeschrieben. Die Wohnungen und Townhouses sind entsprechend der von ksg erstellten Gestaltungsfibel von fünf weiteren Büros geplant.
Chefsache Hochhaus
Besondere Beachtung verdient die Sanierung des Gerling Hochhauses, das bis heute in dem vergleichsweise flach angelegten Quartier eine herausragende Position einnimmt. Hans Gerling beauftragte Anfang der 1950er-Jahre die Architekten Helmut Hentrich und Hans Heuser mit dem Bau eines Hochhauses, denn diese bis dahin in Köln kaum populäre Bauform versprach eine effiziente und schnelle räumliche Expansion. Die Architekten entwarfen ein sich nach oben marginal verjüngendes, 17-geschossiges Hochhaus in Stahlskelettbauweise, das sie mit einem Netz aus Muschelkalk umhüllten. Gerade über den umlaufenden Gang zwischen den beiden Fassaden zerstritten sich Bauherr und Architekt so sehr, dass sie sich schließlich trennten. Gerling änderte den Entwurf mit seiner eigenen Bauabteilung, rückte die Fenster in die Ebene der steinernen Hülle und erhielt statt des Wandelgangs nun so mehr Bürofläche, dass er auf die beiden oberen Geschosse verzichten konnte.
Dem Ort und dem Aufwand der Maßnahme geschuldet, sind in dem ehemaligen Bürohochhaus nun hochwertige Eigentumswohnungen entstanden. Allerdings schränkte die Denkmalpflege die unbegrenzte Planungsfreiheit erheblich ein. Hier galt es also für die Architekten, individuelle Lösungen zu entwickeln, die keinesfalls als Kompromisse lesbar sind.
Unter der steinernen Hülle
In enger Zusammenarbeit mit HIG Hempel Ingenieure GmbH sind ksg an die Substanz des Gebäudes gegangen und haben die unter der historisierenden Naturstein-Rasterfassade liegende, äußerst modern und filigran geplante Stockwerksrahmenkonstruktion freigelegt. Anhand der historischen Pläne, deren Maßgenauigkeit stichprobenartig überprüft wurde, fertigten die Ingenieure ein 3D-Modell des statischen Systems an. Darin konnten tragwerksrelevante Entwurfsentscheidungen schnell bewertet und kritische Punkte optimiert werden. So wurden sechs Innenstützen mit Doppel-T-Querschnitt in den unteren Geschossen durch symmetrisch beigestellte U-Profile verstärkt. In den Geschossen 3, 6, 9 und 12 unterstützen acht über die gesamte Gebäudehöhe reichende horizontale Verbände aus Stahlbeton die Eckfelder der Konstruktion. Größere Eingriffe in die Struktur waren des Weiteren im Bereich des Gebäudekerns notwendig, der aus bauordnungsrechtlichen Gründen formal und geometrisch modifiziert werden musste, um die Stahlkonstruktion zu entlasten. Diese Änderungen betreffen auch die Erschließung, die an ihrer ursprünglichen Position an der Westflanke blieb, jedoch vollkommen erneuert und mit einem Feuerwehraufzug ergänzt wurde, um den Brandschutzrichtlinien zu entsprechen.
Haltung bewahren
Dass das Hochhaus eine vollkommen neue Fassade erhalten hat, sieht nur, wer ihre ursprünglichen Proportionen genau erinnert. Denn durch den bauphysikalisch bedingt stärkeren Aufbau sowie eine dickere Plattenstärke wurde das Volumen der Steinelemente skaliert und nach außen verschoben. Außerdem wurde die Verjüngung des Hochhauses nach oben – immerhin 16 cm an den Schmalseiten, 24 cm an den Längsseiten – über die Verkleidungen kompensiert, sodass überall Fenster der gleichen Größe verwendet werden konnten, während die Stützen dazwischen mit jedem Geschoss einige Millimeter schmaler werden. Damit die Aussicht über die Stadt erlebt werden kann, haben die Architekten in der neuen Fassade die Fensterbrüstungen absenken und gläserne Absturzsicherungen in die Laibung montieren lassen.
Innerhalb des Stahlskeletts konnten die Architekten die Grundrisse vergleichsweise frei anlegen und die rund 350 m² jeder Etage auf eine, zwei, drei oder auch vier Wohnungen verteilen. Jede der 51 Eigentumswohnungen verfügt, abhängig von ihrer Größe, über mindestens eine Loggia. Diese Freibereiche, auf die Gerling damals ganz bewusst verzichtet hatte, liegen, entsprechend den Vorgaben der Denkmalpflege, an den langen Gebäudeseiten in jeweils zwei Achsen übereinander und hinter der Natursteinfassade. Damit dieser Eingriff auch bei Dunkelheit nicht sichtbar wird, durften in den Loggien keine Deckenleuchten montiert werden, möglich war hier nur indirektes Licht durch an den Stützen angebrachte Bodenleuchten. Zwei Seiten der in diesem Bereich vollverglasten Fassade lassen sich schwellenlos und ohne Eckstütze jeweils zur Hälfte aufschieben, sodass dieser mit 6 m² knapp bemessene Außenbereich als direkte Erweiterung der Wohnräume genutzt werden kann.
In der Gerling-Ära befanden sich im Staffelgeschoss der Hochhauskrone nicht die Büros des Vorstands sondern die Technik. Heute steht die Klimaanlage auf dem Dach und gibt den Raum frei für ein Penthouse mit Rundumpanorama – mutmaßlich Kölns teuerste Wohnung. Hier verdichtet sich das strenge Raster der Fassade mit deutlich schmaleren Fensterachsen, weshalb die Architekten die Verglasung, wie ursprünglich von Hentrich und Heuser geplant, an drei Seiten in eine eigene Ebene weiter innen setzen und somit einen schmalen Wandelgang ausbilden, der sich an der Südwest-Fassade zu einer Terrasse weitet.
Für Johannes Kister strahlt das Hochhaus eine mondäne Urbanität aus: Eleganz, Stil, eine moderne klassische Attitüde. Alles Eigenschaften, die nicht typisch Köln sind, aber eben typisch Gerling.
Uta Winterhager, Bonn