Vorfertigung vor Ort

Antón García-Abril
zum Thema „Vorgefertigte Bauten“

„Vorfertigung vor Ort“ scheint ein Widerspruch zu sein. Denn Vorfertigung heißt ja doch, ein System zu entwickeln, welches nach einer Bau­anleitung hergestellt, transportiert und zusammengebaut werden kann, ohne Ort, ohne Zweckbestimmung, allein entwickelt mit Geschicklichkeit und größtem Erfindergeist. Und wir wissen alle, dass „Ingenieur“ von „Genius“ kommt, das heißt, der Fähigkeit des Menschen, sich schnell und sogar auch spielerisch leicht etwas auszudenken und damit etwas neu zu erfinden. Das Ingenieurwesen hat die Intuition gehabt, diese mechanischen Artefakte zu schaffen, wie ein Rätsel, mit dem Ziel, eine vorgegebene Frage nach bestimmten Regeln zu lösen. Und die Ingenieure haben es mit der Leichtigkeit erledigt, die ein rasant sich ändernder, unglaublich vielfältiger Markt erfordert.

Schon das Wort prefabricar, vorfertigen, enthält semantische Widersprüche und steht auch nicht im Wörterbuch der spanischen Sprache. Das Wort fabricar, herstellen, fertigen, allerdings schon, und es wird beschrieben als die Tätigkeit, Gegenstände in Serie zu produzieren, im Allgemeinen mit mechanischen Mitteln. Damit bezeichnen pre-fabricar (vor-fertigen) und fabricar (fertigen) dasselbe. Daher heißt fertigen konstruieren, errichten. Und es ist egal, ob vor, während oder nach dem Einbau.

Die zeitlichen Grenzen zwischen den unterschiedlichen Produktionsstadien verschwimmen. Trotzdem gibt es Teile, die in einer Werkstatt effizienter, mit besseren Qualitätskontrollen hergestellt werden können, zudem billiger sind und, in Bezug auf die Umwelt, mit einem optimierten Energieverbrauch für Herstellung und Montage. Es sind jene Teile, die es dank der Vorspannung des Betons ermöglichen, große Lichträume zu entwickeln und Lasten zu tragen, und uns in der Architektur neue Räume erschließen. Komendant, Fisac oder Mendes Da Rocha haben heldenhaft an der Entwicklung der Technologie gearbeitet, und heute arbeitet Ensamble Studio an der Entwicklung jener Räume, durch die eine neue architektonische Sprache entstehen könnte, die die Möglichkeiten dieser Technologie nutzt, im Wohnbereich wie dem Hemeroscopium House, in hohen Gebäuden wie dem Torre Berklee in Valencia und in Forschungsprojekten für die Entwicklung eines Systems zur Vorfertigung von städtischen Flächen.

Am Anfang stehen plastische Studien. Mittels „Gleichgewichtsspielen“ werden die den Studien inneliegenden dynamisch/statischen Potentiale ausgelotet. Das Ergebnis dieser „Spielereien“ orientiert sich immer an den Potentialen, die den Ausgangsformen logisch zu entnehmen sind. Der in dieser Weise spielerische Prozess steht immer in Verbindung mit einer Idee, einem Ort, einem Programm. Daher verteidigen wir die „Vorfertigung vor Ort“, die das Beste der Herstellungsoptimierung mit der poetischsten und unveränderbaren Seite der Architektur zusammenbringt.


Der Architekt:

Geboren 1969, 1995 Master Architektur an der ETSA Madrid, 1996 Forschungsstipendium in Rom, zahlreiche Artikel über Architektur und Kultur in “El Cultural”.

2000 Bürogründung „Ensamble Studio”, Gastdozenturen an verschiedenen Hochschulen, zahlreiche Projekte bis heute, Professur an der ETSA Madrid, Projekte und Auszeichnungen in zahlreichen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, Bester Architekt des Jahres 2008 (Architectural Digest Award). www.ensamble.info

Zum Thema:

Zu zahlreichen Projekten von Ensamble Studio gibt es gute Videos auf Youtube, so auch zu der hier im Heft vorgestellten Villa Hemeroscopium (S. 38ff.). Literatur zum Thema der Vorfertigung:

- FIB Handbuch für Planung und Entwurf von Fertigteilbauten. Bauverlag, Gütersloh 1996;

- Peter Schreibmayer (Hg.), Architektur aus der Fabrik. Springer, Wien 2002;

- Anton Graf, Vorgefertigte Einfamilien- und Reihenhäuser. Individuelle Gestaltung mit Raumzellen, Platten- und Skelettkonstruktionen. Callwey, München 2003;

- Florian Urban, Berlin/DDR neohistorisch. Geschichte aus Fertigteilen. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2007

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