Ein Museum öffnet sein Archiv. Und zeigt uns daraus 102 Architekturmodelle. Nicht aus allen Regionen dieser Welt, und auch nicht aus
allen Zeiten, die Ausstellung beginnt seine Chronologie ab etwa 1920. Die Auswahl, es handelt sich tatsächlich nur um einen Ausschnitt aus der Museumssammlung von 1240 Modellen, Arbeiten von 419 Architekten aus 25 Ländern, zeigt bisher nie Gezeigtes, oder Arbeiten, die aus zahllosen Publikationen ins kollektive Gedächtnis übergegangen sind, real aber seit langem nicht mehr vor Augen standen. Zu den Höhepunkten zählen die Ausstellungsmacher des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main die Hängemodelle von Frei Otto, sowie zwei städtebauliche Modelle von Rem Koolhaas
zu Planungen in Paris La Villette, 1983, und Melun-Sénart, 1987. Der Besucher darf – und wird – andere Glanzpunkte für sich ausmachen.
Aber mit der Präsentation des Ausschnittes eines offenbar riesigen Bestandes nicht genug – und für die drei Ebenen, auf denen die Ausstellung im Haus im Haus sich ausbreitet auch nicht ausreichend: Es kommen weitere 200 Leihgaben hinzu, beispielsweise aus dem Museum of Modern Art, New York, dem FRAC Centre Orléans, dem Deutschen Museum München und aus Berliner Architektursammlungen. Und natürlich liehen bekannte Architekturbüros, darunter Herzog & de Meuron oder Axel Schultes und Charlotte Frank.
Ob der Boom von Architekturmodellen seit Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich vor allem mit der Erfindung der Fotografie und der Entwicklung von Drucktechniken zur Fotoreproduktion zusammenhängt – in der Ausstellung werden vielen Modellen Fotos gegenübergestellt, die das Modell so zeigen, wie der Architekt es veröffentlicht sehen wollte – kann diskutiert werden. Der Blick auf die lange Modellbautradition und die Bezugnahme vieler wichtiger Architekten der Gegenwart auf die jahrhunderte alte Modellbaugeschichte sprechen nicht unbedingt dafür.
Die Dreiteilung im Untertitel der Ausstellung versucht die wesentlichen Aspekte des Modells, seiner Herstellung, seiner Verwendung, seiner Bedeutung über das bloße Arbeitsmittel hinaus zu erfassen. So wären ohne die Seifenhautmodelle beispielsweise von Frei Otto viele seiner Projekte überhaupt nicht realisierbar gewesen. Und wer die große Ungers-Ausstellung in Berlin 2006/2007 (O. M. Ungers. Kosmos der Architektur) noch in Erinnerung hat, der kann nachvollziehen, dass ein Modell durchaus Fetisch ist und Ersatz (wofür aber?). Nicht zuletzt, und das zeigt der Blick auf die Modelle der Sechziger Jahre, verweisen diese auf Utopien, die einmal die Science Fiction-Geschichte der Fünfziger Jahre architektonisch reflektieren, andererseits spinnen sie die Sehnsucht nach neuen Gesellschaftsformen weiter. Das jetzt mit dem „kleine“ zu mindern verwundert angesichts der beeindruckenden und – gemessen an denen aus der Fetisch-Kategorie oder denen der nüchternen Kunststoffbauklötzchenwelten neuerer Entwurfszeiten – wesentlichen Skulpturen dieser Zeit (Franz Krause oder Meret Mattern wären hier zu nennen).
Diese Kontrastierung macht die Ausstellung, neben all ihren Hinweisen auf das Machen, so spannend und für den Betrachter gewinnbringend. So baut sich die gerade skizzierte Polarität auch zwischen den drei „herausragenden Leihgaben“ (DAM) – drei Modelle aus dem MoMA, so unter anderem ein kostbares, in Bronze ausgeführtes Architekturmodell (1955) des Seagram-Buildings von Mies van der Rohe – und den aus den 70er Jahren stammenden Arbeiten des Berliner Architekten Sergius Ruegenberg auf, der aus Zeitungsausschnitten und Kartonresten collagenhafte Modelle herstellte.
Neben Veranstaltungen wie Workshops zum Thema, Führungen oder andere Aktionen, wird im Auditorium das künstlerische Filmprojekt „Mock-Ups in Close-Up“ gezeigt, eine zwei Stunden lange Montage aus Filmszenen, in denen Architekturmodelle vorkommen (Autoren: Gabu Heindl und Drehli Robnik).
Sämtliche Vorarbeiten zur Ausstellung – die unter anderem auch zur einer Provenienz-Neuzuweisung eines bekannten Modells aus der DAM-Sammlung führte – haben ihren Niederschlag in dem umfangreichen Katalog gefunden (Scheidegger & Spiess), der demnächst in einer ausführlichen Rezension gewürdigt wird. Und weil die Menge des Gezeigten, die Vielfalt der Bezüge, die riesige Menge an Anknüpfungspunkten diese Ausstellung wirklich besuchenswert macht, haben wir unseren Autoren Werner Jacob gebeten, hierzu ebenfalls einen Text zu schreiben; auffindbar ist der ab sofort unter DBZ.de. Be. K.
Das Architekturmodell – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie, bis 16. September 2012, DAM, Frankfurt a. M., Schaumainkai 43, Di, Do-Sa 11 bis 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, So bis 19 Uhr