Wir haben uns gute
"Chancen ausgerechnet"
Nennen wir es gutes Gespür oder einfach: Glück gehabt! Denn als die Jury des Balthasar Neumann Preises am 10. November in einer online-Sitzung das Gewinnerprojekt des Balthasar Neumann Preises 2021 kürte, hatten wir das Projekt bereits für die Dezember-Ausgabe ausführlich vorbereitet. Ganz offensichtlich waren sowohl die Redaktion alsauch die JurorInnen von dem ganz Besonderen dieses eher kleinen Projektes, der Kita Karoline Goldhofer in Memmingen, beeindruckt. Wir trafen die Architekten Peter Geiger und Jörg Heiler sowie den Ingenieur Kurt Güttinger in München, wo wir mit ihnen, direkt vor der Aufzeichung der virtuellen Preisbekanntgabe, über eben dieses Beeindruckende sprachen … So über das kybernetische System oder darüber, wie man den Erfolg eines solchen Projektes in den größeren Rahmen des Baugeschehens insgesamt übertragen kann.
Herzliche Glückwünsche zum Gewinn des Balthasar Neumann Preises 2021. Haben Sie damit gerechnet?
Peter Geiger: Nein, natürlich nicht. Umso mehr freut es uns, so eine Auszeichnung, die ja deutlich aus dem Nationalen ins Europäische hineinragt, für dieses Projekt erhalten zu haben.
Jörg Heiler: Ich habe uns schon Chancen ausgerechnet, ganz ehrlich! Ich glaube, dass das Projekt zur richtigen Zeit die ganz wichtigen Aspekte im Bauen anspricht. Mit unserem Projekt geben wir ganz konkrete Antworten auf das, was wir heute schon leisten können, wenn wir nur wollten: auch gerade in intensiver Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, bei uns mit Güttinger Ingenieure. Also ich glaube, unsere Kita trifft einen Nerv; auch gerade deshalb, weil sie kein rein technisches, kein Öko- oder ein Energieprojekt ist. Aber ja: Am Ende braucht man auch ein bisschen Glück.
Glück?! Ihr Projekt hat mehrere Preise erhalten.
Kurt Güttinger: Weil es etwas ganz Besonderes ist. Die Idee, mit der alten Substanz in mehrerer Hinsicht zu arbeiten, die Polycarbonatplatten als Gebäudehülle und so fort … Das macht man nicht jeden Tag. Vielleicht hatte ich deshalb schon in der Anfangsphase so ein vages Gefühl, dass da mehrere Preise drin sind!
Mit dem Balthasar Neumann Preis wird im Kern die gelungene Zusammenarbeit aller am Projekt Beteiligter ausgezeichnet. Können Sie diese Zusammenarbeit kurz skizzieren? Was hat sie ausgemacht?
Peter Geiger: Das Wichtige im Planungsprozess und in der Realisierungsphase ist zum einen die sehr intensive Zusammenarbeit mit dem Bauherrn, der Alois Goldhofer Stiftung, die dieses Projekt initiiert hat und die die Pädagogik für das Haus ausgewählt hat. Damit war schon etwas sehr Zentrales vorbestimmt. Bereits in der Konzeptphase haben wir im Team gearbeitet. Neben dem Ingenieurbüro Güttinger waren weitere wichtige Fachplaner der Kunst- und Tageslichtplaner, der mit uns zusammen die schon angesprochene Poly-carbonathülle so entwickelt hat, dass diese sowohl licht- wie energetisch-wirksam optimiert wurde. Aber auch der Landschaftsarchitekt, der unser Konzept des Wiederverwenden von Gebrauchtem und seinem Wert in der Außenanlage weitergeführt und mit umgesetzt hat. Wir waren tatsächlich ein interdisziplinäres Planungsteam von Anfang an, inklusive Nutzer.
Wer hat das Team moderiert?
Jörg Heiler: Das waren wir. Das ist auch die Aufgabe der Architekten, nach wie vor. Generalisten ja, aber nicht mehr die allwissenden Baumeister! Wir sind einer von vielen Akteuren, aber wir müssen die Moderatorenrolle haben, mit Hilfe derer wir immer wieder die einzelnen, sich immer weiter auseinanderdifferenzierten Dinge zum Ganzen zusammenfügen. Unser Wissen um den Raum ist das große Potenzial von uns Architekten. Bei der Kita haben wir über den Raum die Einzelteile wieder zusammengefasst unter der Hülle. Die brauchen wir, damit der Raum funktioniert, auch klimatisch, energetisch, dass wir den Bestand erhalten können, ihn nicht dämmen müssen. Wir haben das alles über eine dreidimensionale, dynamische Simulation mit den Ingenieuren entwickelt, haben am Tisch zusammen gesessen und die einzelnen Faktoren, Kriterien und Parameter der Simulation miteinander besprochen. Und der Kurt Güttinger ist nicht nach einer Woche wieder gekommen und hat uns ein fertiges Ergebnis geliefert, sondern wir haben miteinander diese Parameter gesteuert.
Kurt Güttinger: Ja, wir haben alle wesentlichen Punkte Schritt für Schritt weiterentwickelt, miteinander. Und das Ingenieurbüro Güttinger war froh, dass die Architekten federführend waren und uns sauber in das Projekt eingebunden haben.
Jörg Heiler: Unsere Moderatorenrolle haben wir allerdings weiter gefasst, als allein die Fachplaner zusammenzubringen. Denn natürlich müssen wir immer wieder checken, ob unsre Planung am Ende auch für die Kinder und für die ErzieherInnen passt. Fragen wie: Ist es denen zu warm? Blendet das Licht? Passt die Planung für die Ateliers, für die Krippe? Funktionieren die Abläufe im Alltag und wie sind die Ausblicke im Haus und aus dem Haus heraus? Weil gelungene Architektur so komplex ist, müssen wir alles ausbalanciert haben.
Kurt Güttinger: Die Rolle des Ingenieurs sehe ich nun darin, den Raum für die notwendigen Ideen der Architekten so weit zu machen, dass das Tragwerk oder die Technik dem Entwurf möglichst wenig Probleme macht. Das ist ganz wichtig.
Gab es in der Bauphase Änderungen, ein Feintuning?
Jörg Heiler: Was das haustechnische, das energetische Konzept anbelangt: Nein. Wir hatten ja eine relativ lange, ausgereifte Planung mit den Simulationen. Ich glaube, das hat wirklich gut gepasst. Vielleicht weniger Änderung, aber Klärung gab es während des Bauprozesses: Dass wir das Selbstbewusstsein gefunden haben, das Alte in seinen Brüchen, dem Unreinen und Groben so zu belassen, wie es ist, und den Rohbau, das Neue, so zueinander zu fügen, wie es eben auch die Baupraxis verlangt. Das auch durchzustehen bedurfte einiger Anstrengung und Erläuterung.
Ausgezeichnete Bauten sollen meist ja auch Vorbildfunktion übernehmen, das gilt sicher für den BNP. Ist das Kybernetische Prinzip, das Sie in der Kita zur Anwendung brachten, auch bei anderen Bauten vorstellbar, etwa dem Mehrgeschosswohnungsbau?
Jörg Heiler: Wir haben uns im Vorfeld der Planung sehr intensiv mit dem Konzept von Günter Pfeifer auseinandergesetzt. Wir haben ihn besucht, uns mit ihm die relevanten Häuser angeschaut, es waren etliche. Und nicht nur Sonderbauten, wir haben uns auch einen Wohnungsbau in Mannheim angeschaut.
Was das ein Neubau?
Jörg Heiler: Nein, nein, das Haus in Mannheim ist ein klassischer 1960er-Jahre-Bau, sechs, sieben Geschosse. Der arbeitet mit dem Kybernetischen Prinzip. Aber wir wollten nichts abschauen und es kopieren; wir reagieren kontextuell und haben auch andere Gebäude, die wir mit anderen energetischen Konzepten im Bestand aktivieren. Wichtig ist uns, mit dem Bestand zu arbeiten, als historisches, kulturelles Erbe, aber auch mit Blick auf das Potenzial der grauen Energie. Doch, solche Prinzipien sind übertragbar, gerade auf den Wohnungsbau. Gute, architektonisch räumliche Lösungen führen immer auch zu neuen sozialen Qualitäten. Wir haben mit der Kita und anderen Projekten ja nicht die Welt neu erfunden, wir haben von anderen gelernt und versuchen, das weiter zu bearbeiten.
Beim Kybernetischen Prinzip wird im Grunde auf uralte Raumfügeprinzipen zurückgegriffen. Kann einer von Ihnen das Kybernetische Prinzip einmal erklären?
Jörg Heiler: Beim Kybernetischen Prinzip geht es schlicht um ein Zusammenspiel. Also um das, was Architektur immer schon gemacht hat: Funktion, Licht, Luft, Heizung, den Gebrauch, die Atmosphäre zu einem Haus zusammenzubringen. Wie beispielsweise bei der Fassade der Kita. Wir brauchen sie zur Energiegewinnung, gleichzeitig transportiert sie das Licht nach innen, ist sie die Raumerweiterung, führt Bestand und Neubau zusammen, das Innen und Außen. Wir haben also ein ausgewogenes oder funktionierendes Zusammenspiel der Dinge. Das macht gute Architektur aus.
Wie sind die Rückmeldungen von Groß und Klein? Kann man in der Kita auch arbeiten?
Peter Geiger: Ja, man kann sehr gut dort arbeiten. Natürlich war im ersten Jahr eine Feinabstimmungen der Technik erforderlich, Luftwechselrate, Temperaturen ... ein sehr normaler Prozess bei der Inbetriebnahme.
Jörg Heiler: Trotz aller Simulationen waren wir uns natürlich nicht sicher, ob alle Parameter passen. Gerechnet war, dass die Maximaltemperaturen nicht über 26 Grad Celsius hinausgehen. Gingen sie auch nicht und das wird durchaus positiv wahrgenommen, weil das in einem heißen Sommer spürbar angenehm ist. Aber wir mussten auch grundsätzliche Dinge klären: dass man in der Mittagshitze eben nicht alle Fenster aufreißt oder den Umgang mit den großen Flächen; auch der musste erst einmal gelernt werden. Die Freiräume sollen frei bleiben und nicht zwanghaft möbliert werden.
Kurt Güttinger: Doch, das Innenklima ist schon wunderbar, hier spielt die Masse des erhaltenen Bestands die zentrale Rolle. Wir liegen auch bei heißen Tagen immer unter 26 Grad Celsius.
Und wenn tagsüber die 26 Grad Celsius übersprungen werden? Gibt es eine Art Notbremse?
Kurt Güttinger: Wir haben eine thermische Aktivierung des Fußbodens, mit dem können wir kühlen, falls die Nachtauskühlung nicht ausreicht.
Jörg Heiler: Wir arbeiten hier mit einer PV-gespeisten Luft-Wärmepumpe, die wir im Sommer umdrehen, als Kühlwassererzeuger.
Peter Geiger: Die Pumpe hängt an einer großen Zisterne, die wir mit Regenwasser füllen. Die hat dauerhaft ca. 14 Grad Celsius über die Erdreich-energie. Die wird im Sommer zum Kühlen verwendet, im Winter zur Vorwärmung. Eine normale Klimaanlage für den Sommerfall haben wir nicht.
Jörg Heiler: Wesentlich ist aber, wie Herr Güttinger sagte, der Bestand. Im Sommer kühlen wir den nachts ab, was bei uns im Allgäu immer hervorragend funktioniert. Von null bis sechs Uhr gehen die Klappen in der Fassade auf. Dieses Temperaturspiel hat Günter Pfeifer auch gemacht, wir haben darauf aufgebaut.
Was nehmen Sie mit aus den Kita-Erfahrungen mit für die kommenden Projekte?
Peter Geiger: Ich wünsche mir, dass wir weiterhin mit dem Bestand in dieser Weise arbeiten können. Nachhaltigkeitsthemen müssen endlich im wirtschaftlichen Sinn miteinfließen. Es darf doch nicht sein, dass Abbruch und Neubau nach wie vor günstiger sind und deshalb soviel von der zeitgeschichtlichen, historischen Schicht verloren geht. Wir sollten die Werte, die von vorangegangenen Generationen geschaffen wurden, erhalten und die graue Energie im Bestand endlich angemessen bewerten.
Jörg Heiler: Ich hoffe – konkret bezogen auf die Kita –, dass sie so belebt bleibt, wie sie jetzt ist. Und dass sie in Teilen offensteht für das Quartier, für die Stadt. Für unsere weitere Arbeit erhoffe ich mir, dass wir so aufgeschlossen weitblickende, inhaltlich starke Bauherrn haben, wie wir sie bei der Kita gehabt haben. Das Gebäude in dieser Art würde es nicht ohne diese Bauherrn, also den Vorstand der Goldhofer-Stiftung geben.
Kurt Güttinger: Uns war es wichtig, dass der integrale Planungsprozess bei dem Objekt beispielgebend sein sollte. Dem Architekten beiseite stehen, es ihm möglich machen, die Ideen, die er hat, so zu realisieren, dass sie nicht irgendwo abgeschnitten werden. Die Arbeit an der Kita hat mir gezeigt, dass das geht. Ich sehe ich diese Zusammenarbeit als Ansporn für zukünftige Objekte.
Das klingt jetzt so, als sähen die beiden Büros sich in Zukunft vielleicht auch öfter?
Jörg Heiler: Wir waren ja in der Vergangenheit schon zusammen, gerade bearbeiten wir gemeinsam ein Projekt miteinander, eine in die Jahre gekommene 1970er-Jahre-Sportanlage. Wir sehen das auch als eine soziale Aufgabe für einen großen städtischen Sportverein, der große soziale Wirkung in der Stadt hat.
Peter Geiger: Also das Büro ist oder wir sind miteinander vertraut, wir kennen uns, wir schätzen uns und arbeiten sehr gerne zusammen.
Ein wunderbarer Schluss.
Mit Kurt Güttinger, Peter Geiger und Jörg Heiler (Foto v. l.) unterhielt sich DBZ-Redakteur
Benedikt Kraft am 07.01.2021 corona-konform im ICM der Messe München.