Wohnhochhaus im Wandel der Zeiten
Tour Bois-le Prêtre, Paris/FR

Anstatt den Tour Bois-le Prêtre am Rande der Ringautobahn Périphé­­rique im Norden von Paris in ein Styro-porkorsett zu verpacken oder abzureißen und durch ein zeitgenössisches Gebäude zu ersetzen, entschied sich Paris Habitat für eine Bestandssicherung. Das Büro für sozialen Wohnbau in Paris schrieb 2005 einen Wettbewerb aus, dessen Ergebnis das Gesicht des Gebäudes grundlegend verändern sollte. Der umgebaute Wohnturm ist Teil eines vielschichtigen Renovierungsprogramms des Stadtteils Pouchet.

Geschichte

Die Architektur des von Raymond Lopez zwischen 1958 und 1961 entworfenen Gebäudes ­besaß in seiner ursprünglichen Form die Ausstrahlung der Zeit der industriellen Massenfer­tigung: ein 50 m hoher Turm mit beinahe identischen Sozialwohnungen auf 16 Geschossen, die Zugang zu 4 oder 8 Wohnungen ermöglichten: insgesamt 96 2-, 3- oder 6-Zimmerwohnun­gen, die auf Halbgeschossen angeordnet waren. Die Stahlbetonkonstruktion mit den parallelen Betonscheiben und der vorgehängten Fassade entsprach den modernsten Bautechniken der damaligen Zeit.

Das streng geometrische Fassadenraster mit seinen plastischen Qualitäten wurde während einer thermischen Generalsanierung zu Beginn der 1990er-Jahre völlig zerstört und durch Isolierglasfenster auf einer klassischen Fensterbrüstung ersetzt. Während der 2. Sanierung durch die Pariser Architekten Anne Lacaton, Jean-Philippe Vassal und Frédéric Druot wurden die alten Außenwände abgerissen und durch ein insgesamt 3 m tiefes Fassadenpaket aus Glas und Polycarbonat ersetzt, das sich auf ein vorgesetztes Stahlgerüst stützt.

Gebautes Manifest

Es wäre weit gefehlt zu behaupten, dass es Druot, Lacaton und Vassal um eine rein ästhetische Aufwertung des Gebäudes gegangen wäre. Die Arbeit des Büros zeichnet sich seit seiner Gründung durch die Suche nach der Verbesserung des Komforts, der Wohn- und Arbeitsumgebungen und der Schaffung von großzügigen, multifunktionellen Räumen aus. Sie sehen die Renovierung des Wohnhochhauses Bois-le Prêtre nicht als architektonische Intervention, sondern als einen Beweis dafür, dass das Kulturerbe, das so charakteristisch für die Vororte der französischen Großstädte ist, in wärmetechnischer und räumlicher Hinsicht aufgewertet werden kann und die Kosten der Renovierung gegenüber eines Abrisses und Neubaus wesentlich geringer sind. Ein entscheidendes Argument für Renovierungen ist aber auch der Erhalt des sozialen Gefüges, das sich über die Jahre entwickelt hat. Das Hochhaus ist Teil eines Gebäudetypus, der seit Jahren aufgrund seiner desaströsen Bausubstanz, seinen Instand-haltungsmängeln und seiner schlechten städtischen Integration im Stadtnetz in den französischen Medien diskutiert wird.

Die Operation darf zu Recht als Manifest bezeichnet werden. Es reiht sich in eine Vielzahl von ähnlichen Studien zur Erneuerung gebauter Monumente ein, die das Büro seit Jahren anstellt und die unter anderem in einem Buch „Plus. Les grands ensembles de logements, Territoire d‘exception“ bei GG 2007 veröffentlicht wurden.

Die gewonnenen Quadratmeter sind nicht nur eine Erweiterung des Wohnzimmers in der warmen Jahreszeit, sondern auch ein Wärmepuffer gegen Hitze und Kälte. Die Heizkosten wurden auf diese Weise um 60 % gesenkt.

Neues Gesicht

Dank der Erneuerung und der Umstrukturierung des Hochhauses zählt das Gebäude heute 100 Wohnungen mit einer Vielfalt von Wohnungstypen von der 1,5- bis zur 7-Zimmerwohnung und einem Zuwachs von 3 560 m² Nettowohnfläche (oder rund 20 bis 30 % pro Wohnung).

Die neu geschaffenen Wohnflächen, die an den Stirnseiten des Bauwerks geschlossen sind, ermöglichten entweder die Vergrößerung der Wohnzimmer und der Küchen oder die Schaffung neuer Schlafräume. Die eingreifendste und auffälligste Veränderung war allerdings der Bau der Wintergärten und Balkone an der Ost- und Westfassade. Mit einer Tiefe von 2 m verlängern sie die Wohnräume und enden mit einem davorgesetzten, 1 m tiefen Balkon. Die Wintergärten werden nach außen von raumhohen Schiebewänden aus Polycar­bonat abgeschlossen. Drei Laufschienen ermöglichen eine breite Öffnung der Fassade und auch eine vielfältige Positionierung der Schiebeelemente. Die verglasten Balkonbrüstungen verhindern eine Verdunkelung der tiefer gewordenen Wohnräume, während silber­beschichtete Vorhänge die Sonnenstrahlen filtern.

Die Unterseiten der mit 90 mm Steinwolle isolierten, 7,5 m langen und 3 m breiten Betonfertigteile sind, so wie die Ummantelungen der die vorgesetzten Wintergärten tragenden Stahlstützen, mit Aluminium-Zinkplatten verschalt.

Die neugeschaffenen und von allen Räumen zugänglichen Wintergärten hinterfragen aber auch die Dichotomie zwischen Wohn- und Schlafräumen, die traditionsgemäß vor einer Wand im Gang endet, von dem aus die verschiedenen, aneinandergereihen Räume zu betreten sind. Die Wintergärten erlauben den Bewohnern, alteingesessene Nutzungs- und Bewegungsmuster innerhalb der Wohnungen zu verändern und fügen einen räumlichen und lichttechnischen Mehrwert hinzu.

Die Architekten erzeugten nicht nur neue, sondern auch völlig veränderte Raumkonstellationen und Verbesserungen der Wohnatmosphären, ohne dabei die Lebensstile der Bewohner im Geringsten zu verändern. Wie schon bei den Sozialwohnungen in Mülhausen/FR entwarfen sie auch hier multifunktionale und neutrale Rahmen, in denen die Bewohner sich ganz nach ihren individuellen Vorlieben einrichten können.

Umbau im Inneren

Die Erneuerung des Gebäudes beginnt bereits im Erdgeschoss. Der Zugang erfolgte früher durch massive Gittertüren, hinter denen man über eine Treppe auf die Höhe der Liftzugänge gelangte. Die Architekten vereinfachten die Erschließung der einzelnen Geschosse grundlegend, indem sie die drei ursprünglichen und im Zentrum gruppierten Lifte durch einen größeren ersetzten und zwei neue Lifte an die Enden des zentralen Ganges platzierten. Dadurch konnten sie nicht nur die Fläche der Eingangshalle wesentlich vergrößern, sondern auch die ursprünglich gedrehten Treppen durch gerade ersetzen. Die verglasten Außenwände der Lifte erlauben eine natürliche Belichtung der Gänge. Durch diese neuen Aufzüge sind die auf Zwischenhöhen gelegenen Wohnungen an den Seiten des Blocks für die Bewohner leichter zu erreichen.

Die Küchen der außenliegenden Wohnungen der ungeraden Geschosse wurden gedreht, um so Raum für die neuen Lifte zu schaffen. Durch die Erweiterung des Gebäudes an diesen Seiten wurden die Küchen geräumiger.

Um den gesamten Zugang zum Gebäude zu vereinfachen und einladender zu machen, fügten die Architekten im Außenbereich Rampen hinzu und verglasten die gesamte Lobby. Zusammen mit den Stützen und Balkonen entsteht dadurch ein grüner Außenbereich, der dem Gebäude seine bunkerartige Ausstrahlung nimmt.

Die Fensterbrüstungen machen raumhohen Glasschiebetüren mit Aluminiumrahmen Platz. Die in die Decken integrierten Laufschienen erlauben nicht nur einen maximalen Lichteinfall, sondern auch einen barrierefreien Übergang zwischen dem Wohnraum und dem Wintergarten. Zusätzlich ermöglicht der Anbau der Betonplattformen die diskrete Integration von Lüftungsschlitzen unterhalb der Laufschienen.

Hinter den Laufschienen der Polycarbonatelemente befinden sich auch die Vorhangschienen für die schweren, innenliegenden Vorhänge, die zusätzlich zu ihrer Funktion als Sonnenschutz die Wintergärten thermisch und akustisch isolieren.

Pädagogische Arbeit

Renovierungen müssen noch viel stärker als Neubauten von einem partizipativen und pädagogischen Prozess begleitet werden. Das trifft besonders zu, wenn die Wohnungen während der Umbauarbeiten bewohnt bleiben, wie es bei der Sanierung des Tour Bois-le Prêtre der Fall war. Druot, Lacaton und Vassal sind davon überzeugt, dass das Potential für die Schaffung von mehr und qualitativ hochwertigerem Wohnraum in der Renovierung des Bestandes liegt und nicht im Neubau, gerade in so dicht besiedelten und teuren Städten wie Paris. Unter den Gesichtspunkten der Ökologie, des Energiesparens und der Kosteneinsparungen ist die Modernisierung alter Wohnblöcke unumgänglich und bietet in der Zukunft ein breites Arbeitsfeld für Architekten.

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