Wohnraumskulptur
Wohnhaus für eine Familie in Frankfurt a. M.
Üblicherweise versteht man unter urbanem Wohnen etwas anderes als Einfamilienhäuser. Doch in Frankfurt a. M. steht genau so eines mitten in der Stadt – anders als erwartet, urban in vielerlei Hinsicht, ein Wohnhaus, nicht mehr, aber auch keinen Deut weniger.
Neben der Altstadt ist das Frankfurter Westend zu einer willkommenen Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Althergebrachtem geworden. Das wird deutlich etwa auf der Homepage der Stadt: „Wohlhabende Frankfurter bauten sich hier Mitte des 19. Jahrhunderts großzügige Domizile, deren Wohnqualität gut verdienende Großstädter geradezu magisch anzieht.“ Das wird noch deutlicher und in seiner Eindimensionalität weit ärgerlicher in den Schriften des konservativen Romanciers Martin Mosebach, der von prächtigen Fassaden der klassizistischen Villen schwärmt, von verzauberten Gärten, von handwerklich präzise ausgeführten Interieurs. Eine nostalgisch verklärte Welt des stets stilsicheren Westend-Bürgertums in herbstlicher Dämmerung, für deren Zerstörung Mosebach allein eine diffus umschriebene Moderne und allen voran Architekten verantwortlich macht. Wie frühlingshaft frisch, wie aufregend vielschichtig, wie hochgradig differenziert ist doch dagegen das Haus Schmuck! Als „grüne Oase“ für einen zuvor unansehnlichen Hinterhof entworfen, bietet das Gebäude nicht nur eine äußerst komplexe Raumskulptur, nicht nur attraktive, auf die individuellen Bedürfnisse einer sechsköpfigen Familie zugeschnittene Grundrisse, sondern jede Menge Geschichte. Auch wenn es nicht so aussieht, so erzählt es doch beim Gang durch das Gebäude viel von den Zeitläufen, die es erlebt hat. Und: Es spielt mit den traditionellen Typologien der Hofreite, des Patiohauses und sogar der Villa mit großem Garten.
In der Savignystraße im südlichen Westend ist von den angesprochenen „großzügigen Domizilen“ nicht mehr viel zu sehen. Außer dem 1986 nach den Plänen von Salomon Korn und der Architektengemeinschaft Balser fertiggestellten jüdischen Gemeindezentrum, das in all seiner bleiernen Schwere und seiner plakativen Formensprache vernehmlich die Züge seiner Entstehungszeit trägt, gibt es den für Frankfurt üblichen städtebaulichen Wildwuchs mit meistens drögen Bauten in mal offenen, mal Blockrandstrukturen. Vis-á-vis des Gemeindezentrums lag in einem Innenhof ein beige verputztes, flach gedecktes Gebäude aus den 50-er Jahren, das als Büro, Kindertagesstätte und Lager benutzt wurde. Auf einem aus der Gründerzeit stammenden, überstehenden Gewölbekeller ruhend, ragte es etwa eineinhalb Geschosse aus der Oberfläche. Ein für Frankfurter Verhältnisse doch ausgedehnter Garten machte das bescheidene Gebäude zum begehrten Objekt. Nachdem sich schon einige Kollegen daran vergeblich versucht hatten, bekam das Büro Meixner Schlüter Wendt den Direktauftrag, das Haus für eine Familie mit vier Kindern umzubauen und zu erweitern.
Die Architekten entwickelten die Gebäudeform aus einer fiktiven, das ganze Grundstück einnehmenden, städtebaulich eingepassten Kubatur, von der sie in einem subtraktiven Prozess verschiedene Volumen ab- und ausschnitten. Die Beschaffenheit der abgetrennten Fragmente war den Faktoren Gebäude- und Baumbestand, Nutzung und Belichtung, Orientierung und den zahlreichen Nachbarschaftsabständen geschuldet. Der urbane Kontext mit seiner hochverdichteten Bebauungsstruktur bestimmte jenseits der entwurflichen Eingebung die Form einer fließenden Raumskulptur, wobei die Übergänge zur öffentlichen Zone der Straße und des Blockrands, zur halböffentlichen Zone des Eingangs und des Vorgartens klar definiert sind. Eine besondere Rolle spielt dabei die multifunktionale Brückenloggia, die zum einen als Rückgrat das Gesamtvolumen zusammenhält, zum zweiten vieldeutige Raumbeziehungen generiert, und zum dritten einen Ort entstehen lässt, an dem sich vielfältige und lebendige Interaktionen zwischen Familie und Nachbarschaft entfalten können.
Das in Mischbauweise errichtete Haus nimmt zum Teil die Höhenlinien des Bestands auf, der weiß gestrichene Keller mit seinem Kappgewölbe blieb ebenso erhalten wie an ausgewählten Stellen die Deckenhöhen des 50-er Jahre Baus. Der Umbau bescherte dem Gebäude teilweise höchst spektakuläre Räume wie etwa ein sieben Meter hohes Entrée mit Garderobe, den wunderbar Luft und Licht atmenden Wohn-, Ess- und Kochbereich mit fließendem Übergang zu Terrasse und Garten oder erwähnte Brückenloggia, die sich als willkommener Spielplatz eignet. Ein Einfamilienhaus in der Innenstadt: Es scheint zunächst paradox, offenbart sich das Gebäude jedoch bei näherer Betrachtung als gelungene Füllung einer Baulücke, das zugleich attraktives urbanes Wohnen bietet.