„Klein und experimentell“
Annette Bögle und
Sabine Kühnast zum Thema „Ingenieurbauten“

Kleine, experimentelle Bauten loten konstruktive Potentiale aus – gleichzeitig können sie intentionale Manifeste darstellen. So steht der Glaspalast von Bruno Taut (1914) für eine expressionistische Architektursprache, in der das Glas zu einer stimmungsvollen Formsprache gefunden hatte. Mit dem Barcelona Pavillon von Mies van der Rohe (1929) wurde die utopische Moderne des fließenden Raums manifestiert. Während hier der Pavillon „nur“ als Statement dient, weist der Philips Pavillon der Brüsseler Weltausstellung im Jahr 1951 von Le Corbusier und Yannis Xenakis in eine umfassende Richtung: Er soll ein Universalkunstwerk sein, in der Raum, Zeit, Klang, und Licht als integrale Bestandteile der Architektur und der Konstruktion aufgefasst werden.

Annette Bögle,  Sabine Kühnast
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Annette Bögle,  Sabine Kühnast
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die Größe und zeitliche Begrenzung der Bauaufgaben (und ihr temporärer Charakter) ermöglichen es, in dem eng gesteckten Maßstab zu experimentellen Fragestellungen und Herangehensweisen zu kommen und dabei weitgehend kompromisslos konkrete konstruktive und/oder gestalterische Prinzipien zu extrahieren. In diesem Sinne wurden die Bauaufgaben für dieses Heft ausgewählt: Neben einigen Pavillons als Prototypen des experimentellen Bauens auch eine Überdachung und eine Fußgängerbrücke. Ihnen allen ist gemein, dass Ingenieure und Architekten gemeinsam eine umfassende Neukombination von Form, Beanspruchung und Material wagen. Sie stehen für die Möglichkeit aktuelle Fragestellungen zu bearbeiten, neue Methoden zu erproben und damit bauliche Forschung zu betreiben.

Bauliche Forschung in diesem Sinne wird dadurch ermöglicht,
die umfassenden Anforderungen eines regulären Neubaus zugunsten der Fokussierung auf wenige Aspekte auszublenden. Die zeitlich begrenzte Standdauer der Bauten erlauben es, sich mit einer Versuchs-anordnung über die gängigen Methoden des Bauens hinwegzusetzen und ohne Kompromisse neue Wege zu beschreiten. Aufgrund ihres experimentellen Charakters, mit dem der Einsatz neuer Materialien, Entwurfsmethoden und Konstruktionsweisen einhergeht, wird in beson­de­rem Maße die Rolle der Ingenieure relevant. Damit sie das erforderliche kreative Potential entfalten, müssen sie gestalterische Verantwortung auch in der Zusammenarbeit mit Architekten übernehmen.

Exemplarisch kann in der geschichtlichen Entwicklung von Fußgängerbrücken das kreative Potential des entwerfenden Ingenieurs gezeigt werden. Fußgängerbrücken erlauben es – im Vergleich zu den deutlich stärker beanspruchten Straßen- und Eisenbahnbrücken –, neue Geometrien der Wegeführung und Formen des Lastabtrags zu praktizieren, so wie in dem vorliegenden Fall der schräg unterspannten Fußgängerbrücke Dürrlewang in Stuttgart von Engelsmann Peters.

Der Serpentine Pavillon von Smiljan Radic Studio (für dieses Heft geplant, aber leider nicht umgesetzt) steht in einer nun seit 14 Jahren dauernden Tradition, gekennzeichnet durch einige Höhepunkte der Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren. Die Pavillons der letzten Jahre im Londoner Hyde Park zeigen zudem auf, wie das Konzept der Serpentine Pavillons Forschung ermöglichte.

Eine wichtige Rolle hat auch die Hochschule. Hier können unproblematisch und unvoreingenommen verschiedene Disziplinen zusammenkommen, um gemeinsam einen Pavillon zu realisieren, wie es in Stuttgart mit der Kooperation des ICD und ITKE unter der Leitung von Prof. Jan Knippers und Prof. Achim Menges geschehen ist.

Sichtbare Struktur charakterisiert die Form der Überdachung
des Messeeingangs Nord von Ingo Schrader und den Ingenieuren Bollinger + Grohmann. Sie verweist auf eine generative Findung der Lastabtragung an der Unterseite des Dachs. Eine konventionelle Rippendecke verwandelt sich ein flirrendes Zusammenspiel von hauchdünnen Rippen unterschiedlicher Höhe, während beim Porsche Pavillon von Henn Architekten mit Schlaich Bergermann und Partner die Form die innere Struktur dominiert.

Die Prinzipien, mit denen kleine Konstruktionen arbeiten, sind nicht unmittelbar auf größere Maßstäbe übertragbar. Doch dienen die kleine Projekte dazu, Methoden und Möglichkeiten zu testen. Der experimentelle Charakter der kleinen Bauten erlaubt die Entwicklung von zukunftsweisenden Geometrien oder Fertigungsmethoden. Somit steht der Pavillon als Urtyp des experimentellen Bauens immer wieder vor neuen Herausforderungen.

Die Ingenieurin / Die Architektin

Prof. Dr.-Ing. Annette Bögle studierte in Stuttgart Bauingenieurwesen und promovierte 2004 bei Jörg Schlaich. Seit 2011 ist sie Professorin für Entwurf und Analyse von Tragwerken an der Hafencity Universität Hamburg. // Sabine Kühnast ist Architektin; nach Gastprofessuren in Berlin und Hangzhou/China promoviert sie über die energetischen Eigenschaften von Ziegelkonstruktionen. // Seit April 2014 existiert das interdisziplinäre Forschungsgebiet „Kreativität im Bauingenieurswesen“ an der Hafencity Universität Hamburg, das die Ingenieurin und die Architektin gemeinsam mit der Kulturtheoretikerin Prof. Dr. Gesa Ziemer betreiben.

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