Den Flächenverbrauch minimieren

Mit jedem neuen Bauprojekt gehen Natur- und Ackerflächen verloren. Das schafft nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme. Detlef Grimski ist Projektleiter im Umweltbundesamt und und fordert einen bewussteren Umgang mit neuen Siedlungsflächen – auch im Eigeninteresse der Kommunen und Planer.

Herr Grimski, Deutschland liegt in der Mitte Europas, das Kontingent an Freiflächen ist äußerst begrenzt. Dennoch wachsen Städte, Dörfer und Gemeinden in vielen Teilen Deutschlands stetig an. Wie kommt es dazu?

Der Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche – sprich der hohe Flächenverbrauch – ist in Deutschland in der Tat ein Problem. Ein Grund ist, dass vor allem in kleineren ländlichen Gemeinden – wo rund zwei Drittel des Flächenverbrauchs in Deutschland stattfindet – die Ausweisung von neuen Baugebieten oft als einzige Möglichkeit gesehen wird, um durch Neuansiedlung von Einwohnern und Gewerbe das Steueraufkommen zu erhöhen – selbst wenn die Bevölkerung abnimmt. Der Bau von Einfamilienhäusern spielt dabei eine große Rolle. Und wenn die eine Kommune neue Baugebiete ausweist, fühlt sich die andere Kommune meist aufgefordert, das ebenso zu tun. Das nennt man dann interkommunale Konkurrenz. Jede Kommune weist ihr eigenes Baugebiet aus und treibt so den Flächenverbrauch noch mehr in die Höhe.

Mit welchen Konsequenzen?

Die Konsequenzen sind vielfältig. Man denkt dabei heute vornehmlich an die Umwelt, an mehr Verkehr, die Zerschneidung von Landschaften und Lebensräumen, das Abnehmen der Biodiversität, den Eingriff in die Bodenbeschaffenheit und die Versiegelung von Böden, die Störung von Wasserkreisläufen und, und, und. Zugleich verlieren wir dringend benötigte Landwirtschaftsflächen, was ja auch der Deutsche Bauernverband seit Jahren beklagt. Der Bauernverband rechnet damit, dass Deutschland seit den frühen 1990er-Jahren Landwirtschaftsfläche annähernd von der Größe des Bundeslandes Schleswig-Holstein verloren hat – überwiegend durch Umwandlung von Ackerfläche in Siedlungs- und Verkehrsfläche. Aktuell, d. h. für das Jahr 2021, hat das Statische Bundesamt berechnet, dass der Flächenverbrauch täglich 55 Hektar beträgt. Das entspricht hochgerechnet auf ein Jahr ziemlich genau der Fläche Hannovers, die überwiegend der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen wird. Aber neben diesen offensichtlichen negativen Umweltauswirkungen schafft die Zersiedelung von Landschaften auch soziale und ökonomische Probleme. So sehen wir bei vielen kleinen und mittleren Städten zum Beispiel sehr häufig eine Entleerung der Innenstädte, den sogenannten Donut-Effekt. Innenstädte sind unbelebt, oft wird von Verödung gesprochen. Flächenentwicklung und Zuzug findet an den Ortsrändern statt. Zumeist geht das auch mit einer sozialen Entmischung einher. Diejenigen, die es sich leisten können, verlassen die Innenstadt und siedeln sich in der Peripherie im Einfamilienhaus an. Das sorgt nicht nur für mehr Verkehr. Es hat zudem auch ökonomische Folgen. Die Infrastruktur in den Ortszentren wird nicht mehr ausgelastet, muss aber trotzdem weiter gewartet werden – oft sogar aufwändiger und teurer als vorher. Zusätzliche Infrastrukturkosten entstehen aber auch, weil die neuen Siedlungsflächen noch an den ÖPNV sowie die Energie- und Wasser-, bzw. Abwasserversorgung angeschlossen und mit Schulen, Kitas und Gesundheitseinrichtungen versorgt werden müssen.

Also läge es auch im ökonomischen Interesse der Kommunen, anders mit den Freiflächen hauszuhalten?

Für viele schon. Dass neue Baugebiete die Kommunalhaushalte ganz oft eher belasten, als dass sie zusätzliche Einnahmen bringen, haben wir in einem Modellprojekt von 2013 bis 2017 festgestellt. Damals haben wir bundesweit 87 Kommunen dazu eingeladen, an einem Modellversuch des Bundes zum Flächenzertifikatehandel teilzunehmen. Die Idee ist die, dass jede Gemeinde nach Einwohnerzahl Zertifikate bzw. ein Kontingent an jährlicher Fläche erhält, die sie im Außenbereich – also auf der grünen Wiese – bebauen darf. Die Kontingente, die sie nicht benötigt, darf sie an andere Gemeinden, die mehr Außenbereichsflächen bebauen wollen, als sie Kontingente haben, weiterverkaufen. Um als potenzielle Käuferkommune eine Kaufentscheidung treffen zu können, muss man natürlich wissen, ob es sich auch lohnt, Kontingente dazu zu kaufen. Mit sogenannten Kostenrechnern – Fiskalwertanalysen genannt – lässt sich relativ zuverlässig berechnen, ob und in welchem Ausmaß eine Flächenentwicklung aus Sicht der Gemeinde langfristig eher rentabel oder eher unrentabel ist.

Mit welchem Ergebnis?

Wir haben die Gemeinden gebeten, ihre geplanten Siedlungsvorhaben für die kommenden 15 Jahre in den Modellversuch einzubringen. Insgesamt waren das 540 Baugebiete, die einer Kostenrechnung – also einer Saldierung von voraussichtlichen kommunalen Einnahmen und Ausgaben über einen Zeitraum von 25 Jahren – unterzogen wurden. Rund ein Drittel dieser Planungen erwiesen sich als unrentabel und würden die Kommunalhaushalte potenziell belasten. Von diesen unrentablen Flächen lagen mit 92 Prozent übrigens fast alle im Außenbereich auf der grünen Wiese. Vielen Kommunen hat das die Augen geöffnet.

Wie sind die Kommunen damit umgegangen?

Die unrentablen Baugebiete waren natürlich diejenigen, auf die viele Gemeinden am ehesten verzichten konnten. Allerdings wurden den Kommunen auch Alternativen zur grünen Wiese aufgezeigt, indem für alle die sogenannten Innenentwicklungspotenziale ermittelt wurden, d. h. Flächen innerhalb der Gemeinde – im sogenannten Innenbereich – die bebaut werden können, ohne dass dafür Zertifikate benötigt werden. Dadurch konnten z. B. alle wohnungspolitischen Ziele erreicht werden, wenn die Kommunen die Wohnungen nicht auf der grünen Wiese, sondern auf der bereits vorhandenen Siedlungsfläche plante. Also Verdichtung, Aufstockung, Baulückenmanagement, Brachflächenrevitalisierung – die Themen, über die wir seit langem diskutieren, um den Flächenverbrauch zu stoppen.

Hat das Modellprojekt zu einem Umdenken geführt?

In Sachen „Kostenwahrheit“ sicherlich. In vielen Bundesländern gibt es mittlerweile Kostenrechner für Flächenentwicklungen, die an die spezifischen Belange der jeweiligen Länder angepasst wurden. Allerdings muss man schon berücksichtigen, dass Gemeinden mit ihrer Flächenpolitik ja in erster Linie auch Daseinsvorsorge für die Menschen betreiben und zur Erhöhung von deren Lebensqualität beitragen möchten. Das heißt, Flächenentwicklungen dürfen natürlich nicht nur nach ökonomischen Gesichtspunkten erfolgen. So gab es im Projekt durchaus auch Kommunen, die aus diesen übergeordneten Gründen an bestimmten Flächenentwicklungen festhielten, obwohl sie nicht rentabel waren.

Eine breite Umsetzung auf politischer Ebene ist also nicht in Sicht ?

Also, politisch ist die Einführung eines Flächenzertifikatehandels auf Bundesebene schon ein ziemlich dickes Brett, an dem man noch eine Zeit lang wird bohren müssen. Kurzfristig sehe ich leider keine politischen Mehrheiten, dieses Instrument einzuführen. Allerdings hat unser Modellversuch durchaus dazu beigetragen, die Idee des Handelns mit Flächen aus der Nische der Wissenschafts­theorie herauszuholen und die Machbarkeit unter realitätsnahen praktischen Bedingungen erfolgreich zu demonstrieren. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass es der „Flächenzertifikatehandel“ in die Koalitionsverträge einiger Bundesländer geschafft hat – als nennenswerte Option zur Reduzierung des Flächenverbrauchs. In Nordrhein-Westfalen wurde sogar eigens ein Projekt konzipiert, in dem herausgefunden werden soll, ob der Flächenhandel eine Option für NRW wäre, um den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Was muss aus Ihrer Sicht getan werden?

Wir haben eine glasklare Analyse des Deutschen Instituts für Urbanistik, die folgendes besagt: Ers-tens müssen verbindliche Flächensparziele eingeführt werden, zweitens muss weiterhin alles getan werden, um die Innenentwicklung zu stärken und somit Alternativen zur Bebauung der grünen Wiese zu haben und drittens müssen Fehlanreize beseitigt werden, beispielsweise die staatliche Förderung von Gewerbegebieten auf der grünen Wiese. Wir als Umweltbundesamt plädieren schon lange dafür, Flächensparziele verbindlich einzuführen. Neben dem Flächenzertifikatehandel gäbe es theoretisch auch noch die Möglichkeit, Ziele über das Raumordnungsrecht vorzugeben. Das lassen wir gerade näher untersuchen. Auf regionaler Ebene könnte die Regionalplanung zwar heute schon Mengenvorgaben für die Gemeinden machen. Dazu müsste sie aber institutionell gestärkt werden. Leider bestimmen hier oft immer noch kommunale Einzelinteressen der delegierten Kommunalvertreter das Geschehen. Andererseits ist es aber nicht so, dass aus den vergangenen Jahren ein ausschließlich negatives Resümee gezogen werden muss.

Zum Beispiel?

Immerhin haben wir den Flächenverbrauch mehr als halbiert. Bereits im Jahr 2002 hat sich die damalige Bundesregierung im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zum Ziel gesetzt, den Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche – also den Flächenverbrauch – von damals rund 120 Hektar pro Tag bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen. In der Folge entfaltete das Thema Reduzierung des Flächenverbrauch zahlreiche Aktivitäten. Kommunale Handreichungen und Leitfäden wurden entwickelt, Forschungsprogramme aufgelegt und das Bau- und Planungsrecht wurde unter diesem Aspekt diverse Male nachgeschärft. Die Entwicklung richtete sich ressortübergreifend stärker auf den Bestand, auf das Brachflächenrecycling, den Vorrang der Innenentwicklung in den Städten, Themen wie Nachverdichtung, Baulückenmanagement und Aufstockung gewannen deutlich an Gewicht. Sodass wir heute in der Situation sind, dass sich der Flächenverbrauch auf 55 Hektar pro Tag mehr als halbiert hat, auch wenn wir unser Ziel nicht erreicht haben.

Und wie geht es weiter?

Momentan verdichten sich leider die Anzeichen dafür, dass sich der abnehmende Trend nicht fortsetzen wird. Wir erinnern uns: Das ursprüngliche Ziel war ja, bereits 2020 den Flächenverbrauch pro Tag auf 30 Hektar zu begrenzen. 2017 steuerte die Bundesregierung noch einmal nach und formulierte die Erreichung von unter 30 Hektar pro Tag bis 2030 als neues Ziel. Das eine Ziel haben wir bereits verfehlt, ob wir 2030 im Soll sein werden ist unklar. Immerhin ist der Flächenverbrauch nun schon zum zweiten Mal in Folge wieder angestiegen.

Weshalb?

Da gibt es sicher nicht den einen Grund, der verantwortlich dafür wäre. Einen Beitrag hat möglicherweise schon die zeitlich befristete Einführung des sogenannten Flächenverbrauchsparagraphen 13b ins Baugesetzbuch geleistet. Dieser ermög­lichte es Städten und Gemeinden von 2017 bis Dezember 2022, einfacher an ihren Rändern ins Grüne hineinzuwachsen. Konkret vereinfachte diese Bestimmung unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren für Bebauungspläne für Wohnraumzwecke, die ohne Umweltprüfung aufgestellt werden können. Auch wenn diese Regelung mittlerweile ausgelaufen ist, wird sie sich in den kommenden Jahren noch auf den Flächenverbrauch auswirken. Darüber hinaus wird sich auch die Energiewende noch deutlich stärker auf die Flächenentwicklung auswirken, als es den meisten bislang bewusst ist.

Wie meinen Sie das?

Ein Großteil der Photovoltaikmodule wird auf – heute meist noch landwirtschaftlich genutzten – Freiflächen entstehen und den Flächenverbrauch erhöhen.

Die Flächenkonkurrenz wird also künftig noch zunehmen?

Davon ist derzeit leider auszugehen. ↓

⇥Interview: Jan Ahrenberg/DBZ
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