Design to Decarb
Die Fassade repräsentiert nicht nur die ästhetische Idee der Architekt:innen – sondern auch ihren Beitrag zur Dekarbonisierung des Bausektors. Richtig geplant, sind bereits heute große Fortschritte zu erzielen.
Text: Dr. Karl Stefan Dewald
Hybridlösungen wie die Schüco Aufsatzkonstruktion AOC.TI (Add-On-Construction Timber) ermöglichen die Kombination von recycelbarem Aluminium und dem nachwachsenden Rohstoff Holz
Foto: Måns Berg Photography/ Schüco International KG
Zukünftig wird CO₂ zu einer neuen Währung und die CO₂-Emissionen eines Gebäudes zu einem Hauptkriterium bei allen zukünftigen Investments und Ausschreibungen. Nicht nur deshalb, aber in zunehmendem Maße, muss das Ziel von nun an lauten, CO2-effizienter und intelligenter zu planen, um CO2-Emissionen konsequent zu reduzieren – über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Den Architekt:innen und Planer:innen kommt eine besondere Schlüsselfunktion bei der CO2-Bilanz einer Immobilie zu. Denn der Gebäudeentwurf stellt die grundlegenden Weichen für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes. Bereits im Entwurf müssen die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie berücksichtigt und bestmöglich reduziert werden. Gravierende Versäumnisse können später nur schwerlich ausgemerzt werden. Deshalb müssen für eine ganzheitlich nachhaltige Gebäudeplanung alle Bestandteile eines Gebäudes komplett über- und neu gedacht werden, da sie einen unterschiedlich starken Einfluss auf die CO2-Bilanz haben. Wir wollen uns in diesem Beitrag auf die Fassade und ihren Beitrag zu den Emissionen eines Gebäudes konzentrieren. Denn als Schnittstelle zwischen Innen und Außen hat die Gebäudehülle einen signifikanten Anteil an dem Energiebedarf im Betrieb (Operational Carbon), aber auch an den grauen Emissionen (Embodied Carbon). In beiden Bereichen gibt es noch Einsparpotenzial, das es abzuschöpfen gilt. Gleichzeitig muss eine Fassade viel mehr als nur „nachhaltig“ sein: Design und Funktion müssen in Einklang gebracht werden und im Idealfall profitieren beide Anforderungen von dem Nachhaltigkeitsanspruch. Daraus ergibt sich die entscheidende Frage: Welche Faktoren beeinflussen die CO2-Bilanz der Fassade und wie kann diese reduziert werden?
Bauwerkintegrierte Photovoltaik macht Fassaden zu Energielieferanten und senkt die CO2-Emissionen für den Betrieb
Foto: www.rehfeld-fotografie.de/ Schüco International KG
Der Einfluss des Formfaktors
Mit Blick auf den European Green Deal gilt es, die Herausforderung zu meistern, maximale CO2-Reduktion mit einem architektonisch ansprechenden Design und bestmöglicher Funktionalität zu vereinbaren. Kleiner und kompakter zu bauen, hat hier große Wirkung. Ein entscheidender Aspekt ist in diesem Zusammenhang der sogenannte Formfaktor des Gebäudes. Er beschreibt das Verhältnis der Gebäudehülle zur Nutzfläche einer Immobilie und hat einen entscheidenden Einfluss auf das Budget an Embodied Carbon, das für die Herstellung der Gebäudehülle aufgewendet werden darf. Ein Gebäude mit einem ungünstigen Formfaktor darf bei konstantem, nutzflächenbezogenem Embodied Carbon nur wesentlich weniger davon über das Material in der Fassade einbringen als ein Gebäude mit einem günstigeren Formfaktor. Somit stehen architektonische Designfreiheit und die Ausführung der Fassadenkonstruktion in einem direkten Zusammenhang: CO2-optimierte Konstruktionen bieten mehr Entwurfsmöglichkeiten, ohne die Gesamtbilanz des Gebäudes negativ zu belasten. Aber auch der CO2-Ausstoß, der sich durch den Gebäudebetrieb über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie ergibt, ist nicht losgelöst vom Formfaktor des Gebäudes. Je besser das Verhältnis von Gebäudehülle zur Nutzfläche, desto geringer ist auch der Energiebedarf im Gebäudebetrieb. Zukünftig wird der anteilige Einfluss des Embodied Carbon auf die Gesamtemissionen (Whole Life Carbon) eines Gebäudes stetig wachsen. Denn der Energiebedarf von Gebäuden in der Nutzungsphase wird auch zukünftig immer weiter optimiert werden. Embodied Carbon ist deutlich schwieriger zu reduzieren, da jedes Gebäude aus Materialien, bei deren Herstellung Ressourcen verbraucht werden, besteht. Deshalb gilt es, für einen möglichst günstigen Formfaktor das Design des Gebäudes so anzupassen, dass im Sinne einer materialsuffizienten Lösung eine möglichst kompakte Gebäudehülle mit einer möglichst großen Nutzfläche kombiniert wird.
Damit wir zukünftig nicht nur in zylindrischen Gebäuden wohnen und arbeiten, muss der Formfaktor mit den Designansprüchen und den funktionalen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden. CO2-optimierte Fassadenkonstruktionen liefern einen signifikanten Beitrag hierzu
Grafik: Schüco International KG
Wahl der richtigen Fassadenkonstruktion
Weiteres Potenzial, um CO2 in der Fassade eines Gebäudes zu reduzieren, liegt in der Wahl der richtigen Konstruktion. So kann z. B. durch die Planung größerer Fassadenraster der konstruktive Bedarf an Aluminium gesenkt werden. Weniger Materialbedarf bedeutet gleichzeitig weniger CO2-Ausstoß bei der Herstellung und zusätzlich bedeuten größere Elemente auch weniger Fugen und Wärmeverluste, die über das Bauteil erfolgen können. Ein verbesserter U-Wert und eine entsprechend erhöhte Energieeffizienz sind der positive Effekt. Insgesamt können mit den richtigen konstruktiven Anpassungen, die über eine Veränderung der Rastergrößen hinausgehen, bis zu 40 % Material gegenüber nicht materialoptimierten Konstruktionen eingespart werden. Ein zukunftsweisendes Konstruktionskonzept ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Minimal Wall by Schüco. Bei dieser optimierten Konstruktion werden die Tragreserven, die sich aus einer strukturellen Verklebung der Gläser und der Verglasung ergeben, in üblichen Fassadenkonstruktionen genutzt. Dieses Wirkprinzip wurde bisher planmäßig bei der Dimensionierung der Tragprofile nicht berücksichtigt.
Wahl der richtigen Materialien
Neben der Wahl eines optimalen Konstruktionsprinzips und damit des passendend Fassadensystems, bietet die Verwendung von CO2-optimierten Materialien ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf den Fußabdruck eines Gebäudes. Bei einer Aluminiumfassade können unterschiedliche Aluminiumgüten dabei helfen, die CO2-Bilanz zu reduzieren. So haben die Aluminiumgüten Low Carbon und Ultra Low Carbon von Schüco unter anderem durch die Verwendung von Recycling-Aluminium deutlich weniger Embodied Carbon: Für das Schüco Low Carbon Aluminium wird in den Umweltdeklarationen ein Wert von unter 4,9 CO2e/kg ausgewiesen, wohingegen der Wert von Schüco Ultra Low Carbon unter 2,7 CO2e/kg liegen wird. Auch die Art der Profilveredelung hat Einfluss auf den CO2-Wert der Fassade: Eloxalbeschichtungen tragen signifikant mehr CO2 in die Fassadenkonstruktion ein als Pulverbeschichtungen. Dieser Einfluss kann bei Nichtbeachtung aufwendige konstruktive Maßnahmen zur CO2-Reduzierung schnell wieder hinfällig werden lassen. Hybridkonstruktionen schaffen hier ebenfalls einen positiven Mehrwert, wenn bspw. Holz und Aluminium kombiniert werden, z. B. in Form einer Aufsatzkonstruktion. Wichtig ist, bei der Materialität stets die Funktionalität zu berücksichtigen: Welches Material hat wo den höchsten Wertbeitrag bei gleichzeitig möglichst geringem CO2-Eintrag in die Konstruktion? Und zu welchen Gebäudeanforderung passen die jeweiligen Materialien?
Recyclingpotenziale ausschöpfen
Bei der Wahl der Materialien für einen Neubau oder eine Renovierung gilt es, jetzt schon an später zu denken. Kreislaufwirtschaft ist hier das Stichwort für den Weg in Richtung Klimaneutralität. Die Kreislaufwirtschaft verfügt über ein enormes CO2-Minderungspotenzial von etwa 23 % bis 2030 und sogar 60 % bis 2050. Denn wirklich nachhaltig ist eine Fassade erst, wenn sie so lange wie möglich genutzt und im besten Fall gar nicht erst abgerissen wird. Das gelingt, wenn die Einzelbestandteile möglichst lange gewartet und aufgerüstet werden können. Erst wenn das nicht mehr gegeben ist, wird das Recycling der Bestandteile sinnvoll. Aluminium als Werkstoff hat dabei großes Potenzial. Es ist nicht nur ein vielseitiges Material, das zahlreichen architektonischen Ansprüchen an Statik, Langlebigkeit und Gestaltung gerecht wird. Vor allem durch seine unendliche Recyclingfähigkeit, bei der ein vergleichsweise geringer CO2-Ausstoß anfällt, ist Aluminium ein nachhaltiger Wertstoff auf Dauer. Cradle to Cradle-zertifizierte Systeme leisten dabei einen entscheidenden Beitrag. Die so konstruierten Fenster und Türen können nach der Nutzungsphase beliebig oft als Wertstoffe in den A/U/F-Kreislauf (Aluminium und Umwelt im Fenster- und Fassadenbau) zugeführt werden. Durch stoffliche Trennung, Schreddern und Einschmelzen des Wertstoffs Aluminium kann sichergestellt werden, dass der Rohstoff Aluminium auch nach einer Nutzungsphase wiederverwendet und dadurch der Bedarf an neu hergestelltem Aluminium in den Fassadenkonstruktionen reduziert wird. Mit aktuell 76 zertifizierten Systemen engagiert sich Schüco für die Entwicklung nachhaltiger Standards in der Aluminiumwirtschaft. Dafür ist Schüco nach dem „Chain of Custody Standard“ der Aluminium Stewardship Initiative (ASI) zertifiziert worden.
EPDs auf Knopfdruck
Immer häufiger werden seitens der Investor:innen und Bauherr:innen auch Zertifikate wie LEED, BREEAM, QNG oder DGNB angestrebt, welche die nachhaltige Konstruktion eines Gebäudes belegen. EPDs (Environmental Product Declarations) liefern den Architekt:innen, Planenden, Investor:innen und Gebäudezertifizierer:innen unter anderem wertvolle Informationen über den CO2-Eintrag eines Bauprodukts. Deshalb bietet Schüco für seine eigenen Fassadenelemente die EPD auf Knopfdruck. Mit der Konfigurationssoftware SchüCal kann der bauteilspezifische CO2-Eintrag in Form einer EPD ausgegeben werden und in die spätere Planung einfließen. Das erlaubt es Planer:innen, unterschiedliche Entwürfe für die Fassade auf ihren CO2-Eintrag hin zu prüfen und zu optimieren.
Neben der Wahl der Materialien sind effiziente Betriebskonzepte entscheidend für die Steuerung der CO2-Bilanz einer Gebäudehülle. Energieeffiziente Systeme und hochwärmegedämmte Fassadenelemente sind mittlerweile Standard. Aber auch eine automatisierte Gebäudesteuerung, die beispielsweise Nachtauskühlung bietet oder wärmerückgewinnende Lüftungssysteme einbezieht, ermöglicht eine erhebliche Reduktion des Operational Carbon. Zusammen mit bauwerkintegrierter Photovoltaik zur dezentralen Energiegewinnung und effizienten Wartungs- und Nachrüstkonzepten können Architekt:innen und Planerende die CO2-Bilanz im Betrieb eines Gebäudes gezielt steuern.
CO2-Fußabdruck gemeinsam steuern
Mit einem smarten Gebäudedesign, der Wahl der Fassadenkonstruktion und Materialien sowie einem energieeffizienten Gebäudebetrieb können Architekt:innen die CO2-Bilanz eines Gebäudes maßgeblich beeinflussen. Wichtig ist es dabei, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu berücksichtigen und auch den Bau, Betrieb sowie das Thema Rückbau mitzudenken. Bei Schüco geschieht das aktuell bereits mit einem modularen Angebot aus Produkten und Services entlang des gesamten Lebenszyklus, mit dem die Dekarbonisierung der Fassade objektspezifisch steuerbar wird: Schüco Carbon Control. Denn nur durch die ganzheitliche Betrachtung der Fassade entlang der gesamten Werkschöpfungskette und über den gesamten Lebenszyklus können die Beteiligten zusammen und nur zusammen einen Schritt in Richtung Klimaneutralität im Bauwesen gehen.
Autor: Dr. Karl Stefan Dewald ist Head of Façade Engineering bei der Schüco International KG
Foto: Schüco International KG