Die Identität des Ortes
Matteo Thun und sein Team beschäftigen sich seit vielen Jahren mit herausragenden Projekten im Bereich Hospitality. Vielleicht mehr als andere Bauaufgaben sind Hotels mit ihrer Umgebung verzahnt, erlangen so ihre ganz besondere Identität. Ein Aspekt, der bei der Fülle an Angeboten immer wichtiger wird und maßgeblich zum Erfolg eines Hauses beiträgt. Dazu kommen bei Matteo Thun ein holistischer Ansatz, der den Gast und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, sowie ein starkes Bewusstsein für den Einsatz nachhaltiger, lokaler Materialien und der Sinn für ausgezeichnete Handwerkskunst. Klingt exquisit? Ist es auch. Darüber hinaus stellt dieser Ansatz aber auch einen Wertewandel und eine nennenswerte Alternative zur Komplexität derzeitiger Nachhaltigkeitszertifizierungen dar. Was genau dahinter steht und welche Projekte aus dieser Philosophie heraus entstehen – darüber haben wir mit Matteo Thun und Karola Gröger gesprochen.
Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen im Hospitality-Segment? Welche Konzepte sind erfolgreich und zukunftsweisend?
Matteo Thun: Es hat sich in den letzten Jahren eigentlich alles geändert. Nicht nur die Pandemie, auch die Zinsentwicklung, der Krieg in der Ukraine – das alles hat enormen Einfluss auf die Entwicklungen genommen. Ganz konkret: Zum Glück gibt es keine Frühstücksräume mehr. Ich will damit sagen, die Gäste sollten auch mal raus aus dem Hotel, sich in der näheren Umgebung umsehen. Auch Konferenzräume sind durch die digitalen Entwicklungen zu einem großen Teil überflüssig geworden. Stattdessen brauchen wir mehr kleine Breakout-Räume, zumeist in Suiten. Und das Angebot hat sich grundsätzlich verschoben: Das 4-Sterne-Segment ist der große Verlierer, 3– gewinnt und 5 ++ ebenso. Wir stellen darüber hinaus fest, dass das Thema Gesundheit wichtiger wird. Seit Corona gibt man dafür mehr Geld aus, was hybride Konzepte hervorbringt, die sich zwischen Hotel und Spital bewegen.
Welchen Einfluss hat der Ort, die Umgebung auf die Positionierung und Ausgestaltung eines Hotels?
Matteo Thun: Die Seele des Ortes, die Kultur des Ortes und die Klimasituation des Ortes definieren die Inhalte, d. h. die „Hiltonisierung der Welt“ hat auf alle Fälle ein Ende gefunden.
Wie finden Sie für einen bestimmten Ort das richtige Konzept?
Karola Gröger: Grundsätzlich kommt die Anfrage zu einem Projekt ja über den Bauherrn. Gleichzeitig hat der Ort auf alle unsere Projekte einen großen Einfluss. Es macht einen enormen Unterschied, ob ich mich mitten in der Stadt, im pulsierenden Leben bewege oder eine Situation an einem See, in den Bergen vorfinde. Das haben natürlich auch die Hotelgruppen oder Hoteliers vor Augen, wenn sie einen Auftrag vergeben.
Matteo Thun: Man muss zwischen urbanen und extraurbanen Investitionen unterscheiden. Aber das exakte Briefing des Kunden ist immer die Basis für unsere Arbeit. Das Raumkonzept entwickelt sich nicht allein aus dem Standort, aber dieser beeinflusst es natürlich. Wozu brauche ich beispielsweise in einem Freizeithotel, mitten in der Natur, ein Fitnessangebot mit Laufbändern?
Durch den temporären Aufenthaltscharakter hat Hoteldesign immer auch etwas Experimentelles. Kann man daher mutiger sein und besser Neues ausprobieren als im Wohnungs- oder Bürobau?
Karola Gröger: Ich denke, das ist sehr vielfältig. Vor allem die Lounges bieten viele Möglichkeiten, sich mit lokalen Partnern, z. B. DJs zusammenzutun und Dinge auszuprobieren. Gestalterisch gibt es sowieso viel Spielraum darauf einzugehen, wo ich mich gerade befinde und wie die Zielgruppe des Hotels ist. In den Zimmern ist meiner Meinung nach dann aber doch weniger mehr. Hier kommt es eher auf eine hochwertige Materialität als auf irgendwelche Gimmicks an. Aber das, was ich über die Lounges gesagt habe, bietet sich auch für andere Typologien, z. B. Bürogebäude an – auch dort kommt es darauf an, dass die Umgebung identitätsstiftend ist.
Matteo Thun: Was sich im Hinblick auf eine Individualisierung auch sehr gut anbietet, ist die Bar. Für unser aktuelles Projekt am Gardasee planen wir auf dem Dach gerade die wahrscheinlich coolste Bar der Welt! Alles in Zitrusgelb, daneben ein Pool, eine runde Theke…
Die relativ kurzen Renovierungszyklen haben einen merklichen Einfluss auf die Zirkularität von Hotelimmobilien. Was tut sich hier in Hinblick auf die Materialwahl und eine mögliche Wiederverwendung?
Matteo Thun: Hier muss ich Sie korrigieren, das Lifecycle-Management unserer Investitionen liegt zwischen 15 und 25 Jahren, das ist relativ lang und daher versuchen wir möglichst monomateriell zu arbeiten. Die Auswahl des Materials sollte auf jeden Fall so sein, dass ein Recycling, eine Wiederverwertung gegeben ist.
Karola Gröger: Ein schönes Beispiel ist das Side-Hotel in Hamburg. Wir haben es vor über 20 Jahren entworfen und die Einrichtung hat wirklich sehr lange ihre Qualität bewahrt. Erst dann musste ein zeitgemäßes ‚Re-Fresh‘ vorgenommen werden.
Haben Sie bestimmte Lieblingsmaterialien, die Sie immer wieder einsetzen? Oder gibt es neue Materialien, die Sie gerne einmal ausprobieren möchten?
Matteo Thun: Das neueste Material ist das älteste Material der Menschheit – der Beton in diesem Jahrhundert nennt sich Holz. Holz ist das Material, das eine Vorfertigung in sehr hohem Maße sowie eine Beschleunigung und eine Vereinfachung des Bauprozesses zulässt. Vor diesem Hintergrund gibt es eigentlich keine Alternative zu Holz. Beton gehört zur Vergangenheit.
Sie planen sowohl neu als auch im Bestand. Wo liegen für Sie jeweils die besonderen Reize und Potenziale, aber auch Herausforderungen?
Matteo Thun: Wir sollten die Zersiedelung stoppen, sollten auf alle Fälle Neubauten erst dann machen, wenn sie unbedingt notwendig sind und wenn sie in den urbanen Kontext hineinpassen. Grundsätzlich glaube ich, und damit bin ich vielleicht noch recht allein, dass ein Baustopp im Alpenraum notwendig ist.
Mit unserem Projekt in Venedig haben wir seit langem mal wieder an einem Wettbewerb teilgenommen. Die Stadt ist einfach hochkomplex, alle Entscheidungen trifft das Denkmalamt, und das hat uns gereizt. Hier gab es eine sehr gute Zusammenarbeit – ähnlich auch wie beim Projekt Lake Louise, das inmitten eines Landschaftparks entsteht, wo man eigentlich gar nicht bauen darf…
Und wie lassen sich moderne Komfortansprüche mit den konservatorischen Ansprüchen kombinieren?
Karola Gröger: Das ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich, da die Anforderungen immer sehr speziell sind. Und so sehr verändert haben sich die Ansprüche an ein Hotelzimmer gar nicht. Das Hauptthema ist doch immer, habe ich gut geschlafen, konnte ich das Licht ausmachen, ohne an unverständlicher Technik zu scheitern (lacht). Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden des Gastes und das hat meist mehr mit dem Ort als mit irgendeiner technischen Ausstattung zu tun.
Was steckt hinter Ihrer Philosophie des Conscious Design?
Matteo Thun: Conscious Design begann am 11. September 2001. In den Wochen danach hat man zum ersten Mal bemerkt, dass die New Yorker aufeinander zugehen, dass eine dringend notwendige Resozialisierung stattgefunden hat. Zeitgleich hat man begonnen, insbesondere in der Architektur über Nachhaltigkeit zu sprechen. Daraus ist heute leider meist reines Green Washing entstanden. Auch die vielen Zertifizierungen braucht es meiner Meinung nach nicht. Wir halten es einfacher und denken an drei Nullen: null Kilometer, null CO2 und null Müll. Das bedeutet Materialien, die möglichst im Umkreis von 100 km und nicht von einem anderen Kontinent kommen, null CO2 ist die Annäherung an ein CO2-Management und null Müll bedeutet, dass man Umbau und Abbau so macht, dass kein Material übrigbleibt. Zurzeit hat die Architektur über 20 Prozent Sondermüll, damit müssen wir Schluss machen!
Die meisten Ihrer Projekte sind sehr exquisit – muss man sich Nachhaltigkeit leisten können?
Matteo Thun: Wir können es uns gar nicht leisten, nicht nachhaltig zu bauen! Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unserem Planet Erde und der müssen wir nachkommen. Nicht im Sinne von Nachhaltigkeitsdebatten, sondern im Sinne von sich bewusst sein, dass es ein Problem gibt. Das meint unser Consciousness-Ansatz.
Karola Gröger: Dieses Bewusstmachen sehen wir ganz eindeutig als unsere Aufgabe. Das nehmen wir mit in die Gespräche mit unseren Auftraggebern. Und es gibt immer Möglichkeiten, darauf einzugehen, auch wenn nicht immer alles zu 100 Prozent zu erreichen ist. Die Grundidee kann wirklich jeder verfolgen und eine individuelle Lösung finden. Das ist einfach ein Gebot der Zeit.
Verändert sich durch diese Haltung auch die Ästhetik?
Karola Gröger: Das glaube ich gar nicht. Ich möchte hier das Beispiel von der zitronengelben Bar nochmal aufgreifen. Auch Seitens der Industrie werden viele Anstrengungen unternommen, außergewöhnliches Design weiterhin möglich zu machen – sei es durch ökologische Farben oder Produkte im Recyclingbereich. Hier gemeinsam aktiv zu werden und sich auch den Spaß an Design zu erhalten, ist eben auch wichtig und ein Kennzeichen unserer Arbeit.
Mit Matteo Thun und Karola Gröger unterhielt sich Katja Reich, Stellv. Chefredakteurin DBZ, am 19. Juli im Büro von Matteo Thun in München.