Gärtnern für Bienen
Die in London lebende Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg hat mit ihrem Kunstwerk Pollinator Pathmaker mehrere großflächige Gärten geschaffen, die sich vollkommen auf Bestäuberinsekten ausrichten. Grundlage ist ein Algorithmus, der auf der Website pollinator.art zur Verfügung steht. Kürzlich erschuf die Künstlerin einen Garten in Berlin. Wir sprechen mit ihr über ihr Werk Pollinator Pathmaker und die Frage, wie ein Perspektivwechsel helfen kann, um den Lebensraum von Insekten zu bewahren.
Interview: Natalie Scholder
Alexandra Daisy Ginsberg pflanzt die Installation Pollinator Pathmaker LAS Edition im Mai 2023
Foto: Frank Sperling
Im Juni haben Sie einen 700 m² großen Garten vor dem Naturkundemuseum in Berlin gestaltet. Zuvor haben Sie Gärten in London und Cornwall angelegt. Was ist das Besondere an dem in Berlin?
In Berlin hatten wir mit dem Vorgarten des Museums einen besonderen Ort, der aber sehr ungeliebt und unbelebt aussah. Der repräsentativen Platz vor dem historischen Monument hatte im 19. Jahrhundert eine aufwendige Gestaltung. Mit der Zeit sind aber an vielen Stellen große Bäume gewachsen, die so nie vorgesehen waren. Wir haben nun die gesamte Fläche mithilfe des Algorithmus bepflanzt. Der Garten sieht aber nicht so aus, wie ihn ein Mensch normalerweise anlegen würde. Er ist nicht ästhetisch, die Pflanzen passen nicht zueinander, weder in ihrer Farbe noch in ihrer Höhe. Denn er ist auf Insekten ausgerichtet.
Eine Biene besucht eine Digitalis ferruginea im Pollinator Pathmaker Eden Project Edition
Foto: Royston Hunt
Wodurch zeichnet sich die Gestaltung des Gartens aus?
Das Kunstwerk in Berlin unterscheidet sich von der Serpentine Edition in den Kensington Gardens in London, die als 250 m langer Streifen gestaltet ist, durch den sich Wege schlängeln. Jedem der vielen Pflanzentwürfen, die ich erstellt habe, steht dem menschliche Schönheitsempfinden entgegen. Mir war wichtig, dass die Gestaltung der Berliner Edition ein gewisses Gefühl von Stimmigkeit erzeugt. Sie umfasst jedoch auch sehr hohe Pflanzen wie Artischocken und Angelica archangelica, die bis zu 2,5 m hoch werden und die man sonst nicht sieht.
Mitten in Berlin gibt es sonst kaum Gärten oder Beete und auch nur sehr wenige Insekten. Kann so eine punktuelle Intervention die Situation für Bestäuber überhaupt verbessern?
Das Fehlen von Grünflächen ist kein Grund nicht zu pflanzen, sondern ein Grund, es dringend zu tun. Für uns Menschen sind Gärten etwas Ästhetisches, Wohltuendes, aber für Insekten ist es das, was sie essen. Jeder Garten und jede Pflanze ist für sie eine Insel in der Landschaft. Mit jedem weiteren Haltepunkt helfen wir den Bienen und Schmetterlingen, die durch das Stadtzentrum fliegen. Die Insekten legen am Tag unterschiedliche Strecken zurück. Bienen fliegen bis zu 7 km, andere Insekten laufen nur ca. 200 m. Wir müssen Verbindungen zwischen den Gärten schaffen, um allen Dimensionen und Maßstäben gerecht zu werden.
Welche Bedeutung hat Grün in Städten?
Dass wir es jemals akzeptabel fanden, das Grün aus dem Stadtraum zu entfernen, ist völlig kontraintuitiv. Grün in der Stadt ist die Lebensgrundlage für Insekten und verbindet uns Meschen wieder mit der Natur. In so vielen Studien geht es um die Bedeutung von Bäumen für die Temperatur oder das Wohlbefinden von Menschen, wenn sie von Natur umgeben sind. Die Idee von Pollinator Pathmaker ist aufzuzeigen, wie wertvoll das ist. Vor dem Naturkundemuseum, das ein Museum für tote Objekte ist, erwecken wir den Vorplatz zum Leben.
Links: Ein Rostfarbiger Fingerhut (Digitalis ferruginea) in der Pollinator Pathmaker Eden Project Edition
Rechts: Digitales Rendering des Pollinator Path-maker LAS Edition in Berlin aus der Sicht eines Menschen, 2023
Alexandra Daisy Ginsberg, 2023
Es ist offensichtlich, dass die Stadt vor allem für Menschen gemacht ist. Tiere und Pflanzen sind darauf angewiesen, dass Menschen ihre Perspektive in der Aushandlung und Gestaltung von Städten vertretend einnehmen. Wie kann aus Ihrer Sicht der Perspektivwechsel gelingen?
Die Frage, die ich mit dem Kunstwerk stelle, ist: Ist es möglich für andere Spezies zu entwerfen und nicht primär für einen Nutzen der Menschen? Natürlich dient ein Design auf eine Art und Weise immer auch den Menschen. Wir müssen uns eine Umgebung schaffen, in der wir überleben. Ohne Bestäuber wäre das nicht möglich. Es ist eine größere Frage, warum wir Technologie gegenüber der Bewahrung unserer Umwelt bevorzugen. Ist es möglich mit Technologie ausschließlich für andere Spezies zu entwerfen? Ich denke nicht, aber es ist wichtig die Frage zu stellen.
Bestäuber nehmen Pflanzen grundsätzlich anders wahr als Menschen. Brauchen wir auch deshalb die Unterstützung durch Technologie? Um uns in sie hineinversetzen zu können?
Wenn wir einen Garten betrachten, sehen wir ihn mit unseren Augen, mit unserem Spektrum. Historisch gesehen ist der Garten etwas Abgeschlossenes. Das ist Teil unseren kulturellen Narrativs, dabei geht und ging es um Eigentum und Separation von der Natur. Aber wenn eine Biene auf einen Garten schaut, sieht er für sie ganz anders aus. Sie sieht nicht die Farbe Rot, sondern Ultraviolett, sie sieht polarisiertes Licht. Bis zu einer Entfernung von ein paar Zentimetern sieht sie alle Objekte gleich scharf, alles andere ist verschwommen. Der Garten vor dem Naturkundemuseum sieht also für eine Biene ganz anders aus als für uns.
Also hilft uns der Algorithmus in die Perspektive der Bienen zu versetzen?
Im Grunde ja. Jeder, der den Algorithmus bedient, ertappt sich dabei, sehr viele Gärten zu generieren, weil man nicht zurückgehen kann, um den Entwurf zu verändern. Das habe ich absichtlich so programmiert. Pollinator Pathmaker zwingt mich, die Perspektive der Bestäuber einzunehmen, aber ich habe trotzdem die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen, die auf meinen Präferenzen und Empfindungen beruht. Das erste lebendige Kunstwerk habe ich zu Hause angelegt. Er sieht sehr sonderbar aus, wie ich ihn mir niemals sonst angelegt hätte. Auch mein Partner findet ihn schrecklich. Aber meine Rolle ist es einzig und allein, den Garten zu pflegen, nichts sonst. Ich muss seine Gestaltung nicht mögen, mich nicht von ihm ernähren, er ist für die Bestäuber da.
Installationsansicht des Pollinator Pathmaker LAS Edition im Vorgarten des Museum für Naturkunde Berlin, Juni 2023
Foto: Dario J. Laganà
Was kann der Algorithmus, was eine Gärtner:in nicht kann?
Wichtig ist vor allem, zu überlegen was wir pflanzen und warum. Die Blumen, die wir normalerweise kaufen, wurden möglicherweise gezüchtet, damit sie mehr Blumenblätter haben. Ihr Nektar kann dadurch schwerer zugänglich sein. Wir haben zwar gezüchtete Pflanzen im Datensatz, haben aber darauf geachtet, dass sie dennoch nützlich sind. Jeder kann mit dem Algorithmus auf der Website sofort loslegen, sich seine DIY Edition generieren und pflanzen. All diese Gärten werden Teil des Kunstwerkes. Und in jedem von ihnen bietet die maximale Vielfalt.
Das Werk Pollinator Pathmaker ist, wie die Natur, vergänglich. Die Pflanzen können verwelken, austrocknen und sind abhängig von unserer Pflege. Sehen Sie das als Schwäche?
Es ist eine große Stärke! Wir müssen Verantwortung für unsere Umwelt übernehmen. Wenn du gärtnerst, wirst du dir des faszinierenden Wachstums der Pflanzen und ihrer Zerbrechlichkeit bewusst. Die Idee der Pflege gehört zum Prozess und kann sehr herausfordernd sein, gerade in Zeiten der Klimakatastrophe. Die Auswahl der Pflanzen ist sehr wichtig für die Resilienz der Gärten. Aber es gibt viel, was wir nicht beeinflussen können.
Haben Sie eine Vision für Ihr Kunstwerk Pollinator Pathmaker?
Wir brauchen Pollinator Pathmaker in jedem Land. Besser gesagt, in vielen Regionen – denn Ländergrenzen sind für Insekten irrelevant. Ziel ist, das weltgrößte klimapositive Kunstwerk zu schaffen und so viele Gärten zu haben, dass sie alle zusammenwachsen. Auf diese Weise sollten wir auch die Klimakrise angehen. Das Ganze ist natürlich eine Utopie, keine Lösung. Es geht aber darum, die Perspektive zu ändern und uns anders zu verhalten, um die Transformation zu erreichen.
Daisy Ginsberg pflanzt Pollinator Pathmaker LAS Edition im Mai 2023
Foto: Frank Sperling