Belgisch bauen

Huysmanhoev, Eeklo/BE

In Eeklo, etwa 25 km nordwestlich von Gent, unweit der belgisch-niederländischen Grenze, erhielten ZOOM architecten zusammen mit Callebaut architecten und Bast architects & engineers 2016 den Auftrag, ein Gehöft, das sogenannte Huysmanhoeve, um etwa 1 000 m2 zu erweitern. Die unprätentiöse Intervention der Architekten erweist sich bei genauerer Betrachtung als eine äußerst komplexe und vielfältige Bauaufgabe, die sowohl die Restauration und den Umbau zweier bestehender Landwirtschaftsgebäude als auch den Zubau zweier Nebengebäude umfasste.

Das Gehöft Huysmanhoeve – seit 2003 vollständig im Eigentum der Provinz – liegt etwas außerhalb der Stadt Eeklo, die etwa 21 000 Seelen zählende, zentrale Stadt im sogenannten Meetjes­land und Verwaltungssitz der Provinz Ostflandern. ­Huysmanhoeve ist ein Streekcentrum, ein multifunktionales Veranstaltungszentrum für kulturelle und schulische Freizeitaktivitäten sowie zur Präsentation regionaler Produkte.


Foto: MVDW

Foto: MVDW

Die Wurzeln des Gehöfts lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Vom 13. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Anlage von zwei Wassergräben umgeben und über zwei Tore erreichbar. Die ortsbildgeschützte Anlage mit ihren verschiedenen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und den Obstgärten liegt eingebettet zwischen langgestreckten Feldern und Weiden. Das noch erhaltene Südtor, das im vergangenen Jahr stabilisiert und umfassend saniert und restauriert wurde, sowie das benachbarte Wohngebäude sind denkmalgeschützte Baudenkmäler. Von den ursprünglichen Wassergräben ist der innere noch erhalten, während der äußere trockengelegt wurde und nur mehr als leichte Senke in der Landschaft erkennbar ist.

Der schwarzverputzte Schornstein des Kuhstalls signalisiert die Modernisierung nach außen
Foto: Dieter Van Caneghem

Der schwarzverputzte Schornstein des Kuhstalls signalisiert die Modernisierung nach außen
Foto: Dieter Van Caneghem

Raum schaffen

Die Anlage kann über eine Allee von der Hauptstraße und das südseitig gelegene Brückengebäude erreicht werden. An der Nordseite besteht ein zweiter Zugang vom benachbarten Besucherparkplatz. Der von ZOOM und Callebaut architecten eingereichte Masterplan für den Wettbewerbsentwurf scheint so einfach wie logisch: anstatt die geforderten 1 000 m2 in einem Neubau unterzubringen, schlugen sie vor, Mehrzweckräume im ungenutzten Dachgeschoss des bestehenden Kuhstalls zu schaffen und die existierende Scheune von Grund auf zu sanieren und zu einer großen Empfangshalle mit einer Cafeteria für große Besuchergruppen um zu funktionieren.

Die neuen, weißen Rahmen im Dachgeschoss treten neben den rot-gestrichenen Trägern in den Hintergrund
Foto: Dieter Van Caneghem

Die neuen, weißen Rahmen im Dachgeschoss treten neben den rot-gestrichenen Trägern in den Hintergrund
Foto: Dieter Van Caneghem

Die beiden notwendigen Neubauten für zusätzliche Toiletten und das Heizhaus der Hackschnitzheizung positionierten sie beidseitig der Scheune, wobei sie mit dem Backsteingebäude­ der Heizanlage versuchten, die nördliche Zugangssituation zu betonen und eine Eingangssituation zu kreieren. Damit schlossen sie den offenen und auslaufenden Hof zwischen den Bestandsgebäuden zu einer Art Platz und schufen eine dia­gonale Wegführung, wodurch die Besucher die gesamte Anlage besser und bewusster wahrnehmen und erleben können.

Facettenreiche Architektursprache

Huysmanhoeve ist ein Haufenhof, mit Gebäuden unterschiedlichster Epochen. Mit Ausnahme des Südtors und des ehemaligen Wohnhauses, in dem heute die Büros und Verwaltungsräume untergebracht sind, entsprechen sie einer Gebäudetypologie von Landwirtschaftsgebäuden, namentlich Scheunen, mit einem rechteckigen, langgestreckten Grundriss, einem Satteldach auf einer leichten Dachkonstruktion, massiven Mauern, kleine Öffnungen und den deutlich sichtbaren Einfahrtstoren.

Raummöbel: Der Technikraum des freistehenden Aufzugs ist im Bestandskeller untergebracht
Foto: Dieter Van Caneghem

Raummöbel: Der Technikraum des freistehenden Aufzugs ist im Bestandskeller untergebracht
Foto: Dieter Van Caneghem

Bas Meulman, einer der drei Mitbegründer von ZOOM architecten, definiert die architektonischen und ästhetischen Ansprüche der vielschichtigen Bauaufgabe folgendermaßen: „In erster Instanz war es uns wichtig, mit Hilfe der richtigen Positionierung der zwei Neubauten eine Hofsituation zu schaffen und verschiedene Sichtachsen zu betonen. Danach ging es uns darum, die rechteckige Gebäudetypologie der vernakulären Landwirtschaftsgebäude auch für die beiden neuen Nebengebäude aufzugreifen, fortzuführen und neu zu interpretieren.

In all unseren Umbauprojekten versuchen wir außerdem, die neu hinzugefügten Bauteile als deutlich ablesbare Objekte sichtbar zu machen und damit die Verbindung zu einer zeitgenössischen und funktionellen Architektursprache herzustellen, um so die Identität des Ortes zu verstärken.“

Das filigrane Fachwerk der Scheune musste ­eingehend geprüft und ergänzt werden
Foto: Dieter Van Caneghem

Das filigrane Fachwerk der Scheune musste ­eingehend geprüft und ergänzt werden
Foto: Dieter Van Caneghem

Neben diesen formalen Ansprüchen spielte auch die Verwendung adäquater Baumaterialien und Farben eine entscheidende Rolle: „Die Vielfalt der in den Bestandsgebäuden bereits vorhandenen Baumaterialien, wie Stahl, Holz und Backstein, griffen wir für die Sanierung und Umbauten, aber auch für die Neubauten auf“, führt Meulman aus.

Ausstellung und Seminare im Kuhstall

Der Stall symbolisiert die wichtige Pionierarbeit und die ­Vorbildfunktion, die der Hof in der Nachkriegszeit bei der ­Modernisierung der Landwirtschaft in der Region hatte. Der Dachboden des 1958 erbaute Kuhstalls war vor den Restaurierungsarbeiten in einem sehr schlechten Zustand, unbenutzt und nicht erschlossen. Das brachte die Architekten auf die Idee, den hohen Raum auszubauen und dort einen großen Teil des geforderten Programms in Mehrzweckräumen unterzubringen. Um den Zugang zu ermöglichen und das Obergeschoss flexibel nutzbar machen zu können, entfernten sie im Bereich des Einfahrtstores die Decke und schufen einen gebäudehohen Luftraum.

Die Stahlkonstruktion des Heizhauses erhielt ein Lochmauerwerk aus beigefarbenen Backsteinen im Ton des örtlichen Lehms
Foto: Dieter Van Caneghem

Die Stahlkonstruktion des Heizhauses erhielt ein Lochmauerwerk aus beigefarbenen Backsteinen im Ton des örtlichen Lehms
Foto: Dieter Van Caneghem

Die Räume des Obergeschosses links und rechts von diesem Luftraum sind über eine neue, gedrehte Stahltreppe oder den Lift und eine Verbindungsbrücke erreichbar. Insgesamt gelang es ihnen, im Obergeschoss vier Räume einzurichten, die nicht nur über die innenliegende Erschließung, sondern auch über die zusätzlichen, außenliegenden Stahltreppen an den beiden Giebelwänden erreichbar und dadurch separat als Veranstaltungs- und Seminarräume für Lesungen, Schulungen und Kochworkshops bespielbar sind.

Der Kuhstall im Untergeschoss, der als Ausstellungsfläche fungiert, wurde in seinem ursprünglichen Zustand beibehalten, gereinigt und um ein WC ergänzt.

Lageplan, M 1 : 3 000

Lageplan, M 1 : 3 000

Thermisch gesehen, haben die Architekten nur die neu geschaffenen Räume im Obergeschoss isoliert. Der Boden wurde für die zusätzliche Beanspruchung mit einer Stahlbetondecke verstärkt und ebenso wie die konservierten Sandwichpaneele der Dachkonstruktion (nach-)gedämmt. Der ehemalige Kuhstall im Erdgeschoss und die zentrale Eingangshalle blieben hingegen unbeheizt.

Grundriss Scheune EG, M 1 : 400

Grundriss Scheune EG, M 1 : 400

Vier Holz-Glaswände ermöglichen dieTrennung des Dachgeschosses in vier Einzelräume. Optisch scheinen diese weiß gestrichenen Holzrahmen, welche die Architekten als Verdoppelung neben den bestehenden, aber rot gestrichenen Stahlfachwerken der Dachkonstruktion positionierten, zu verschwinden. Mit den grün gestrichenen Türen, den weiß-grünen Treppen und den roten Dachträgern greifen sie die bereits vorhandenen Farben der Holzschiebetore, der Türen und des Stahltragwerks im Kuhstall auf. Die Idee der L-Profile des his­torischen und schlanken Stahlfachwerks der Sparren griffen die Architekten für den Entwurf des transparenten Liftschachts auf, womit sie die industrielle und optimierte Bauweise des Gebäudes gedanklich fortführten.

Der Liftantrieb konnte im bestehenden Keller untergebracht werden, wodurch der Lift als freistehendes, elegantes Möbel im Durchgang noch mehr Leichtigkeit erhielt.

Grundriss Kuhstall  EG, M 1 : 400

Grundriss Kuhstall  EG, M 1 : 400

Von der Scheune zum Festsaal

Die Sanierung und der Umbau der Scheune zu einem neuen, wettergeschützten Festsaal gestaltete sich wesentlich aufwendiger und tiefgreifender. Auch hier machten sich die Architekten die bereits bestehenden zwei Einfahrtstore zu beiden Seiten des Gebäudes zu Nutze, um das Gesamtvolumen in eine offene, überdachte und eine geschlossene, klimatisierte Halle zu unterteilen. Dazu errichteten sie eine transparente Glastrennwand mit schwarzen Stahlrahmen entlang der rechten Durchfahrt, die bis unter den Dachstuhl reicht und optisch zu verschwinden scheint. Zusätzlich wurden die beiden Toröffnungen der linken Durchfahrt mit Glasfronten geschlossen.

Grundriss Kuhstall OG, M 1 : 400

Grundriss Kuhstall OG, M 1 : 400

Die bestehende, filigrane und sehr komplexe Fachwerkkonstruktion aus Holz musste aufgrund des schlechten Zustands Balken für Balken auf ihre Stabilität und Tragfähigkeit untersucht werden. Viele der Balken und Stützen mussten entfernt, ausgetauscht oder verstärkt werden, manche der Fachwerke mussten gerade gestellt und unterstützt werden. Im Zuge der Sanierung wurde das gesamte Dach abgedeckt und die neue Eindeckung mit Multiplexplatten und einer darüberliegenden, 120 mm dicken Dämmung isoliert. Mit in die Dämmung verarbeiteten Querbalken gelang es, das Dachtragwerk zu verstärken.

Parallel dazu mussten die bestehenden Backsteinfundamente durch Streifenfundamente aus Beton verstärkt und der Betonfußboden durch eine neue Fußbodenkonstruktion ersetzt werden. Auch die Backsteinfassaden des Gebäudes, die durch aufsteigende Feuchtigkeit und Nitratbildungen stark in Mit­leidenschaft gezogen worden war, wurden generalsaniert, verwitterte Steine durch neue ersetzt und Fugen wiederhergestellt.

Die architektonischen Eingriffe beschränken sich neben den Trennwänden auf einen Schornstein an der westlichen Stirnseite. An dieser Stelle wurde der Boden des bestehenden Mezzanins durch eine Betondecke ersetzt, unter der eine Küche eingerichtet wurde. Hier steigt ein massiver, skulptural geformter Kamin auf, in dem die gesamte Luftbehandlungsanlage untergebracht ist. Er durchbricht das Dach und wird außen als ein schwarz verputzter Schornstein sichtbar.

Neues mit traditioneller Typologie

„Das neue Toilettengebäude an der Westseite der Scheune entspricht in seinen Proportionen, typologisch und konstruktiv, zeitgenössischen, effizienten und kostengünstigen Landwirtschaftsgebäuden“, erklärt Bas Meulman. Es ist als einfache und leichte Stahlkonstruktion entworfen, unter der die zwei kleinen Container-artigen Volumen der Sanitärzellen platziert wurden, die von allen Seiten aus zugänglich sind. Die Stahlkonstruktion mit dem rötlichen Blechdach, die schwarzen Holzboxen und die rot gestrichenen Stützen sind als klare Referenz an die anderen Bauwerke des Gehöfts erkennbar.

Diesem modernen Bauwerk steht das wesentlich massiver anmutende Gebäude des Heizhauses an der Ostseite der Scheune gegenüber. Allerdings verbirgt sich hinter dem beigefarbenen, luft- und lichtdurchlässigen Lochmauerwerk ebenfalls eine einfache Stahlkonstruktion, die mit einem grauen Blechdach gedeckt ist. „Die Verwendung der beigefarbenen Backsteine erklärt sich durch den gleichfarbigen Lehm, den wir vor Ort gefunden haben“, sagt Meulman. „Der Backstein entspricht nicht nur dem Baumaterial des Stallgebäudes, sondern bietet sich auch als brandbeständiges Baumaterial für die Hackschnitzelheizung an, die hier untergebracht werden musste.“ Das Heizhaus wurde als diagonale Spiegelung des ehemaligen Schweinestalls zur Linken des südlichen Torgebäudes entworfen. Durch den Backstein und seinen gemauerten, schräg nach oben ragendem Kamin soll seine massive Ausstrahlung verstärkt und eine Eingangssituation im Norden angedeutet werden.

Die umfangreiche Bauaufgabe und die Verflechtung zwischen den umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten und den Neubauten bedeutete für ZOOM und Callebaut architecten eine große technische, aber auch finanzielle Herausforderung, die ohne die Unterstützung der Statiker Bast architects & engineers nicht möglich gewesen wäre. Die gute Zusammenarbeit mit einer einzigen Baufirma, die die gesamten Bauarbeiten ausführte, erleichterte die Koordination und Kommunikation aller Beteiligten für ZOOM architecten entscheidend.

Die Erweiterung und der Umbau des Gehöfts zeugen von viel Einfühlungsvermögen und einer adäquaten Herangehensweise an die Bauaufgabe, die gleichzeitig eine sehr persönliche Sichtweise für zeitgenössisches Bauen im ländlichen Raum Belgiens bietet. Der liebevolle Umgang mit Details, wie etwa den Dachrinnen aus einfachen Stahlwinkeln über den Gebäudedurchgängen oder der Farbverwendung, zeigen die Liebe der Architekten für das Kleinmaßstäbliche, das ihrer Meinung nach das Bauen in Belgien als solches auszeichnet und dem menschlichen Maßstab und der Suche nach Vielfalt am besten gerecht wird. ⇥Michael Koller

Ein Ort der Gemeinschaft mit hoher Strahl- und gleichzeitiger Anziehungskraft. Die Architektur überzeugt nicht nur aufgrund ihrer nachhaltigen Bauweise, sondern auch durch ihr vielfältiges Angebot als Kulturzentrum der Region. Auf diese Weise wird jener Hof zu einem wichtigen Begegnungsort und schafft Raum für Stabilität und Innovation.« DBZ Heft­partner Christoph Hesse Architects, Korbach/Berlin

Projektdaten

Objekt: Erweiterung des regionalen Veranstaltungszentrums Huysmanhoeve mit Mehrzweck- und Bildungsräumen sowie einer Cafeteria, Entwurf Gestaltung der Außenanlagen

Standort: Eeklo/ BE

Typologie: Renovierung/Neubau Bauherr: Provinz Ostflandern

Nutzer: Regionalzentrum De Huysmanhoeve

Architekt: ZOOM architecten

Projektteam:  Callebaut architecten / Bast architects & engineers / Fris in het landschap Assoziierte Architekten: Callebaut architecten

Generalauftragnehmer: Provinz Ostflandern

Bauzeit:

Beginn des Auftrags 7.11.2016
Beginn der Arbeiten 2.12.2019
Übergabe 24.04.2022

Grundstücksfläche: 1 700 m²

Gesamtkosten: 3,2 Mio. €

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