Materiallager vor Ort

Kindergarten The Swan, Kopenhagen/DK

Der dänische Kindergarten The Swan von Lendager Architekten gilt als erster Re-Use-Kindergartenbau weltweit. Materialgeber für den Neubau war eine ehemalige Schule am selben Standort.

Text: Nina Greve

Durch die klaren Konturen und Kanten ohne Dachüberstände entsteht eine zwar kindgerechte und doch ästhetische Architektur, die nichts Disneyhaftes an sich hat
Foto: Lendager

Durch die klaren Konturen und Kanten ohne Dachüberstände entsteht eine zwar kindgerechte und doch ästhetische Architektur, die nichts Disneyhaftes an sich hat
Foto: Lendager

Die an die nordwestlichen Randbereiche von Kopenhagen anschließende Gemeinde Gladsaxe ist sehr engagiert, wenn es um das Bauen in Kreisläufen geht. Eines der jüngsten Projekte ist der aus Re-Use-Materialien realisierte Kindergarten The Swan. Besonders ökologisch ist an dem Projekt, dass keine Transportwege für die wiederverwendeten Baumaterialien in die Bilanzierung einfließen mussten, da die Materialien aus dem Schulgebäude stammten, das hier vorher seinen Standort hatte. Der Erhalt und die Umnutzung des Schulgebäudes waren ebenfalls Teil der Planungsüberlegungen gewesen. Der Ansatz musste aber schließlich fallengelassen werden, da der Bau nach knapp zehn Jahren Leerstand in einem sehr schlechten Zustand war. Zudem war es schwierig, das neue Raumprogramm auf den Bestandsbau abzustimmen. Vor allen Dingen aber gab es auch für das Thema der Barrierefreiheit keine befriedigende Lösung. So fiel die Entscheidung, den Kindergarten soweit wie möglich mit den Baumaterialien der alten Schule neu zu errichten.

Durch die klaren Konturen und Kanten ohne Dachüberstände entsteht eine zwar kindgerechte und doch ästhetische Architektur, die nichts Disneyhaftes an sich hat
Foto: Lendager

Durch die klaren Konturen und Kanten ohne Dachüberstände entsteht eine zwar kindgerechte und doch ästhetische Architektur, die nichts Disneyhaftes an sich hat
Foto: Lendager

Weitergenutztes Baumaterial

Der ehemalige Schulbau bestand aus zwei Gebäuden, einem Ziegelbau aus den 1930er-Jahren und einem Betonbau der 1960er-Jahre. Um den Bau herum war ein Industriegebiet gewachsen, das sich inzwischen zu einem Mischgebiet gewandelt hat. Der Entwurf des dänischen Architekturbüros Lendager orien­tiert sich daher unter anderem an den typischen Sheddächern der Fabrikgebäude der Nachbarschaft. Jedoch sollte kein großmaßstäblicher, unübersichtlicher Gebäudekomplex entstehen, sondern ein auf den Maßstab der Kinder angepasster, differenzierter Bau. Das Ergebnis ist ein im Grundriss fast geschlossener Kreis, der sich im Schnitt und in der Ansicht allerdings als eine Aneinanderreihung kleiner Häuser darstellt, obwohl er in seinem Inneren eine Einheit bildet. Die Assoziation „Dorf“ wird auch dadurch gefüttert, dass nicht jedes Haus dem anderen gleicht, sondern sich unterschiedliche Dach- und Wandeindeckungen abwechseln. Bis auf die Holzverkleidung sind diese re-used und stammen ausschließlich aus der ehemaligen Schule. „Das Gebäude musste auch dem Skandinavischen Umweltzeichen Nordic Swan entsprechen“, erklärt hierzu Nikolaj Callisen Friis, Projektleiter im Büro Lendager. „In dieser Umweltzertifizierung geht es um die Sicherstellung einer hohen Raumluftqualität und daher immer um den Inhalt von Schadstoffen in Baumaterialien, die an die Raumluft abgegeben werden. Daher haben wir das wiederverwendbare Material der Schule in erster Linie für die Außenverkleidung genutzt und im Inneren gänzlich unbelastetes, neues Material verbaut.“ Und so bestimmen nun Fassaden aus Ziegelsteinen, Dachziegeln und gewelltem Stahlblech das äußere Erscheinungsbild, lediglich ergänzt durch einige Fassaden aus neuem Holz. 12 000 Dachziegel, 61 500 Ziegelsteine und 2 600 Fassadenbleche konnten hierfür wieder eingesetzt werden.

Die Satteldächer sind nicht symmetrisch und könnten so den Eindruck von wackelnden Zipfelmützen erwecken
Foto: Lendager

Die Satteldächer sind nicht symmetrisch und könnten so den Eindruck von wackelnden Zipfelmützen erwecken
Foto: Lendager

Im Inneren ist der Boden des gläsernen Eingangsbereiches mit alten Ziegeln belegt und auch die Wände des daran anschließenden Gymnastikraums sind aus den alten Steinen der Schule errichtet. Ein weiterer Re-Use-Posten war der Beton. 6 000 t Abrissbeton konnten vor Ort wiederverwendet werden, allerdings nur ein kleiner Teil im Sinne der direkten Wiederverwendung alter Bauteile an neuer Stelle. Die größten Betonmengen wurden zerkleinert und zur Auffüllung der ehemaligen Kellervolumen, als Ausgleichschicht unter dem Kindergarten sowie als Zuschlagstoff für die Fundamente und der Bodenplatte genutzt. 20 Betonsäulen blieben allerdings erhalten, um nun als Sitzbänke im Außenbereich zu fungieren.

Die Assoziation „Dorf“ entsteht
auch dadurch, dass nicht jedes Haus
dem anderen gleicht, sondern sich
unterschiedliche Dach- und Wandeindeckungen abwechseln
Foto: Lendager

Die Assoziation „Dorf“ entsteht
auch dadurch, dass nicht jedes Haus
dem anderen gleicht, sondern sich
unterschiedliche Dach- und Wandeindeckungen abwechseln
Foto: Lendager

 

Das Experiment der Dachgebinde

Interessant war der Versuch, in diesem Projekt ganze Sparrengebinde auszubauen, um sie im Stück für das neue Gebäude zu nutzen. Dafür wurden 26 der 61 Holzsparrengebinde als Ganzes demontiert und auf der Baustelle gelagert. Ein großer Vorteil in diesem Projekt war nämlich, dass durch den ehemaligen Schulsportplatz eine relativ große Lagerfläche vor Ort gegeben war. Am Ende wurden allerdings nur sechs Gebinde im neuen Kindergarten eingebaut. Diese sind mit zusätzlichen Konstruktionshölzern, Stahllaschen und einem Zugstab ertüchtigt. Das war notwendig, da sie nun nicht mehr ein Ziegel-, sondern ein Glasdach tragen müssen, was eine höhere Steifigkeit erforderlich macht. Doch obwohl dies Auswirkungen auf die Ökobilanz (LCA) der Bauteile hatte, lag die Verbesserung immer noch bei 1 781 kg CO2 / m3 gegenüber der Alternative neu zu bauen. Insgesamt kam man allerdings in dem Experiment zu dem Schluss, dass es in der Regel besser ist, die Gebinde zu zerlegen, um mit den einzelnen Sparren flexibler arbeiten zu können.

Zu sehen sind die alten Sparrengebinde, die den Architekten auch deshalb sehr wichtig waren, da sie einen engen Bezug zum alten Schulgebäude herstellen, in der Orangerie, dem zentralen, unbeheizten Glashaus, über das das Gebäude betreten wird. Von hier aus verteilen sich die Kinder auf den rechten und den linken Gebäudeflügel. In jedem der Flügel sind vier Gruppen mit den zugeordneten Sanitärräumen und eine Gemeinschaftsfläche untergebracht. Der Orangerie gegenüber befindet sich der bereits erwähnte Gymnastikraum, vorwiegend für Anwendungen mit Kindern mit Beeinträchtigungen. Insgesamt ist der Kindergarten als integrative Einrichtung barrierefrei geplant.

Fassaden aus Ziegelsteinen, Dachziegeln und gewelltem Stahlblech bestimmen das äußere Erscheinungsbild
Foto: Lendager

Fassaden aus Ziegelsteinen, Dachziegeln und gewelltem Stahlblech bestimmen das äußere Erscheinungsbild
Foto: Lendager

 

Der Entwurfs- und Umsetzungsprozess

Was genau bedeutete das Bauen mit Re-Use-Materialien für den Entwurfs- und Umsetzungsprozess? „Um sich auf das klassische Entwurfsprinzip form follows function zu beziehen, heißt es hier design follows material. Gerade wenn der Anspruch ist, so viel Material wie möglich wiederzuverwenden, müssen wir uns mit unserem Entwurf nach dem richten, was wir zur Verfügung haben und nicht andersherum“, sagt dazu Architekt Callisen Friis. „Entwerfen in der kreislaufgerechten Architektur heißt aber auch, dass wir als Architekt:innen neue Möglichkeiten erhalten, auf das Projekt in einer sehr frühen Phase Einfluss zu nehmen. Wir werden quasi zu „Kuratoren“ der Materialien.“ Der Abbruch beziehungsweise der Rückbau der alten Schule und das Management der Materialien wurden also zu einem wesentlichen Teil des Arbeitsprozesses der Architekt:innen. So mussten beispielsweise die Ausschreibungen für den Abbruch früh vorbereitet und sehr detailliert, mit Anweisungen und Kriterien für den Ausbau, vom Architekturbüro verfasst werden. Auch das Prüfen, Säubern und Herrichten der Materialien kostete Zeit. Die Materialkartierung oblag dabei dem Architekturbüro, das Säubern und Herrichten dem beauftragten Abbruch- beziehungsweise dessen Subunternehmen.

Die direkte Wiederverwendung von Holzbindern war ein Experiment. Ziel dieses Versuchs war es, die ökologische und wirtschaftliche Machbarkeit der direkten Wiederverwendung von Tragwerken in neu errichteten Primärgebäuden zu bewerten und so die Anforderungen der dänischen Baurichtlinien BR18 einzuhalten
Foto: Lendager

Die direkte Wiederverwendung von Holzbindern war ein Experiment. Ziel dieses Versuchs war es, die ökologische und wirtschaftliche Machbarkeit der direkten Wiederverwendung von Tragwerken in neu errichteten Primärgebäuden zu bewerten und so die Anforderungen der dänischen Baurichtlinien BR18 einzuhalten
Foto: Lendager

Die Wiederverwendung von Baumaterialien aus bestehenden Gebäuden lohnt sich also im Sinne der Nachhaltigkeit, ist aber auch arbeitsintensiv und entsprechend teurer. „Bisher braucht es sehr engagierte und ambitionierte Bauherren, die bereit sind, diese Zusatzkosten zu tragen, wie wir es mit der Kommune Gladsaxe hatten“, betont der Architekt. „Die traditionelle lineare Bauweise ist wahrscheinlich oftmals billiger, aber man gewinnt auch viel, nämlich eine klimafreundlichere Bauweise, mit der man zudem Bauelemente, die eine Geschichte in sich tragen, erhalten kann. Die Wirtschaft für wiederverwendete Materialien wird in Zukunft vermutlich anders aussehen: Wir werden Materialien anders besteuern, zugunsten kohlenstoffarmer Materialien und wir werden effizienter bei der Wiederverwendung werden, was die Preise senken wird“, so sein Fazit.

Der Eindruck der kleinen Häuser wird auch im
Innenraum durch bis
unter den First geführte Decken gewahrt
Foto: Lendager

Der Eindruck der kleinen Häuser wird auch im
Innenraum durch bis
unter den First geführte Decken gewahrt
Foto: Lendager

 

Auszeichnung

Dass sich Re-Use und Ästhetik nicht ausschließen, sondern ganz neue Wege der Architektur aufzeigen können, zeigt sich auch in diesem Projekt. The Swan wurde 2022 mit dem
Danish Design Award in der Kategorie „Save Ressources“ ausgezeichnet. Der Kindergarten ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass alte Materialien oftmals nicht nur über erstaunlich gute Qualitäten verfügen, sondern zudem durch ihre Geschichte geprägt, dem Gebäude einen ausdrucksstarken und lebendigen Charakter verleihen.

Die kreisförmige Anordnung des Gebäudes und der Räume zueinander begünstigt immer wieder Blickbeziehungen
Foto: Lendager

Die kreisförmige Anordnung des Gebäudes und der Räume zueinander begünstigt immer wieder Blickbeziehungen
Foto: Lendager

Linoleumböden, weiß verputzte Wände, hölzerne Fenster- und Türrahmen sowie Holzwolleplatten an den Decken sorgen für eine helle und freundliche Atmosphäre
Foto: Lendager

Linoleumböden, weiß verputzte Wände, hölzerne Fenster- und Türrahmen sowie Holzwolleplatten an den Decken sorgen für eine helle und freundliche Atmosphäre
Foto: Lendager

Lageplan, M 1 : 4 000

Lageplan, M 1 : 4 000

Grundriss EG, M 1 : 500
1 Gruppenraum
2 Gemeinschaftsraum
3 Lager
4 Personalraum
5 Besprechungsraum
6 Garderobe Personal
7 Büro Leitung
8 Pausenraum
9 n.n.bez.
10 Technikraum
11 Garderobe
12 Küche
13 Eingang/Orangerie
14 Trainingsraum
15 Abstellraum
16 Putzraum
17 Aktionsraum
18 Kinderwägen

Grundriss EG, M 1 : 500
1 Gruppenraum
2 Gemeinschaftsraum
3 Lager
4 Personalraum
5 Besprechungsraum
6 Garderobe Personal
7 Büro Leitung
8 Pausenraum
9 n.n.bez.
10 Technikraum
11 Garderobe
12 Küche
13 Eingang/Orangerie
14 Trainingsraum
15 Abstellraum
16 Putzraum
17 Aktionsraum
18 Kinderwägen

Schnitt, M 1 : 500

Schnitt, M 1 : 500

Lendager Architekten
Anders Lendager
www.lendager.com
Foto: Maria Albrechtsen Mortensen

Lendager Architekten
Anders Lendager
www.lendager.com
Foto: Maria Albrechtsen Mortensen

Bemerkenswert ist hier der Aufwand, der in die Aufbereitung der gebrauchten Materialien investiert wurde. Die kleinteilige Sequenzierung der Anlage ist eine Reaktion auf die schwer kalkulierbare Verfügbarkeit der Materialien, deren Mengen nicht komplett absehbar waren.«
DBZ Heftpartnerin Werner Sobek AG, Stuttgart

Projektdaten

Objekt: The Swan

Standort: Gemeinde Gladsaxe/DK

Typologie: Kindergarten

Bauherrin: Gemeinde Gladsaxe/DK

Nutzerin: Gemeinde Gladsaxe/DK

Architektur: Lendager (Entwurfsplanung), Kopenhagen/DK,

www.lendager.com

Team: Anders Lendager, Nikolaj Callisen Friis, Tim Riis Tolman, Jørn Kiesslinger, Hessam Dad­khah, Rebecca Damman, Jonatan Forsman, Susan Honoré Nielsen, Callum Mitchell.

Bauleitung: Sweco (Ausführungsplanung), Kopenhagen/DK,

www.sweco.dk

Generalunternehmung: Ason, Brøndby/DK, www.ason.dk

Bauzeit: 01.2021 – 10.2022

Zertifizierungen: Danish Design Award „Svanemærket“

Grundstücksgröße: 5 000 m²

Nutzfläche gesamt: 1 450 m²

Baukosten:

Gesamt brutto: 6,7 Mio. €         

 

Fachplanung

Generalplanung: Niras (+Sweco), Allerød/DK, www.niras.com

Innenarchitektur: Lendager + Gladsaxe Kommune

Landschaftsarchitektur: Lendager (+ Sweco)

 

Hersteller

Beleuchtung: Focus Lighting,

www.focus-lighting.dk

Bodenbeläge: Forbo,

www.forbo.com

Fassade: weitgehend Re-Use-Material

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