Kultur des Weiterbauens
Über das Buch, das vor mehr als 90 Jahren im Julius Hoffmann Verlag Stuttgart erschien und jetzt als kommentierter Reprint vorliegt, schrieb damals ein Rezensentenkollege: „Das Gebiet der Erneuerung von Bauten ist für die nächsten Jahrzehnte so ungeheuer wichtig, dass nicht zu verstehen ist, weshalb nicht längst hierfür Lehrstühle an unseren Schulen geschaffen wurden.“
Von Lehrstühlen dieser Art gibt es bis heute immer noch wenige in Deutschland (mir fällt auf Anhieb nur einer ein!), doch das Thema Umbau hat deutlich an Relevanz gewonnen, auch an Lehrstühlen der Architektur- und Ingenieurfakultäten, die nicht dezidiert den Umbau im Namen tragen. Also scheint es geradezu an der Zeit, das erstmals im Jahr 1932 erschienene Druckwerk des Architekten Konstanty Gutschow und des Bauingenieurs Hermann Zippel als Reprint wieder zugänglich zu machen (antiquarisch wird’s teuer!). Nicht einfach so, der Herausgeber Markus Jager stellt der Publikation einen längeren Einleitungstext voran, in dem nicht nur die editorische Geschichte reflektiert wird, sondern auch der Umbau selbst, als Thema damals wie heute, nun in einen historischen Kontext gestellt.
Dabei verfolgt er das Stichwort der Kultur des Weiterbauens generell, aber auch bezogen auf den Kontext der 1920er-Jahre, vulgo der Moderne. Dass hier ein nüchtern kritischer Blick insbesondere auf die Redaktionsgeschichte des Buchs gelegt wird, freut. Hinweise des Herausgebers auf mögliche Plagiate – Nichtnennung von Arbeiten anderer, die hier wie selbstverständlich als Arbeiten des Autorenduos erscheinen – machen die folgende Lektüre des reprinteten Originals flüssiger.
Neben dem Hauptteil des „Umbau“ – ca. 86 Umbauarbeiten, die in der Vorher-/Nachherdarstellung präsentiert werden und mit vielen weiteren unter den Stichworten „Fassadenveränderung“, „Wohnhausumbau“, „Vollumbau“ oder „Zweckveränderung“ versammelt sind – ist für uns heutige Leserinnen aber vielleicht die Einleitung der beiden Autoren der wesentliche Kern der Publikation. Hier werden Themen wie „Vorausschauende Planung“, „Elastische Grundrisse“ oder „Aus- und Anbaufähige Häuser“ von Konstanty Gutschow erläutert. Es folgt der nicht minder spannende Teil des Ingenieurs Hermann Zippel mit „Vorarbeiten“, „Abfangungen“, „Installationsveränderungen“ oder „Standsicherheit“ bis hin zu „Türen-, Treppen- und Möbelveränderungen“.
Dass gerade in dieser historischen Einleitung klar wird, wie wenig sich arbeitstechnisch auf der Baustelle wie bei den Problemstellungen im Bauen insgesamt verändert hat, mag den überraschen, dem das Gestern schon Historie ist. Dass wir immer noch – vielleicht mit effektiver arbeitendem Gerät und Materialien – an den gleichen Stellen arbeiten wie vor 100 Jahren, muss uns davon überzeugen, dass das Bauen eine auf Dauer angelegte Angelegenheit ist, nicht auf Verbrauch. Und zweitens: Dass wir offenbar immer nur dann forschen und lernen wollen, wenn sozialer Druck (damals Wohnungsnot aus wirtschaftlicher Not heraus) sich auf der Straße lautstarkt und mit Tunnelblick Luft macht.
Von daher zeigt das Buch nichts Neues. Überraschungen entstehen da, wo damals teils brutal umgeformte Häuser heute wieder Charme haben, wo sie aus der Reihe und damit ins Auge fallen. Was die Publikation perfekt gemacht hätte, wäre eine Übersicht darüber, welche der damals umgebauten und überformten Häuser heute noch wie stehen (aktuelles Foto z. B.). Be. K.