Mehr Urbanität wagen
Bei der REWE Gruppe macht man sich Gedanken darüber, wie Supermärkte auf die aktuellen ökologischen Herausforderung reagieren können. Ein Gespräch mit Klaus Wiens, Head of Bauwesen Filialbau, über seine Erfahrungen beim Pilotprojekt Green Farming in Wiesbaden – und was sich der das Unternehmen für die Zukunft noch vorgenommen hat.
Interview: Michael Schuster / DBZ
Klaus Wiens, Head of Bauwesen Filialbau REWE
www.rewe-group.com
Herr Wiens, was genau ist Ihre Aufgabe als Architekt im Unternehmen?
Ein wesentlicher Faktor bei mir ist, dass ich die Bauabteilungen unserer sechs regionalen Niederlassungen fachlich leite. Insgesamt haben wir bei der Vertriebslinie REWE 210 Beschäftigte in den Bauabteilungen, die sich pro Jahr um mehr als 300 Bauvorhaben kümmern, davon bis zu 100 Neubauten. Weiterhin kümmere ich mich um strategische Themen wie die Neuentwicklung von Konzepten. Dabei geht es darum, wohin sich Supermärkte in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten entwickeln. Der REWE Green Farming Supermarkt in Wiesbaden ist so ein Pilotprojekt für ein neues Konzept.
Wie und wann hat REWE damit begonnen, sich intensiver mit dem Thema der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen ?
Die REWE Group hat bereits 2006 das Thema Nachhaltigkeit fest in die Geschäftsstrategie verankert und eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert. Damals ist ein Nachhaltigkeitsbeirat gegründet worden, es wurden Controlling- und Monitoringsysteme eingeführt und es folgten noch viele weitere Maßnahmen. Bereits im Jahr 2008 haben wir auf Grünstrom umgestellt und sind der größte Grünstromabnehmer Deutschlands. Im Bereich der REWE Filialen war das Konzept Green Building unser Beitrag aus dem Bauwesen zu der Nachhaltigkeitsstrategie von REWE. Mit den REWE Green Buildings haben wir 2012 angefangen, in Serie DGNB-zertifizierte Supermärkte zu bauen.
Was war der Grund, der Impuls, die REWE Green Buildings weiterzuentwickeln und das Green Farming Model als Konzept umzusetzen?
Der Hintergrund ist, dass wir seit 2012 Green Building als Gebäudestandard haben. Dennoch haben wir schon ab 2016 in kleiner Runde überlegt, wie es perspektivisch mit dem Thema weitergehen soll. Danach sind wir in die Analyse gegangen und haben sehr schnell festgestellt, dass es signifikante Veränderungen rund um den Supermarkt geben wird. Die Themen Digitalisierung, demografischer Wandel, neue Services und auch die Lage unserer REWE Märkte spielten dabei eine große Rolle. Wir sind früher natürlich gerne irgendwo am Stadtrand gewesen, in Randlagen und Gewerbegebieten. Heute funktioniert das nicht mehr. Die Kunden sind immer weniger bereit – verständlicherweise – mit dem Auto zu fahren. Wir gehen immer mehr in die innerstädtischen Lagen rein, wir werden urbaner, wir gehen in die Quartiere.
Welche Rolle nimmt der Markt dabei ein?
Durch die veränderten Standortfaktoren wird der Supermarkt zu einem aktiven Baustein mitten im Quartier. Wir haben gesehen, dass sich der Supermarkt verändern wird vom monofunktionalen Lebensmittelmarkt hin zu einem multifunktionalen Dienstleister rund um Lebensmittel. Diese Rolle haben traditionell immer Marktplätze innegehabt. Dort kann ich Lebensmittel kaufen, gerade frische und ultrafrische. Drumherum sind Cafés, kleine Geschäfte, da kann ich Dienstleistungen wahrnehmen. Fazit war, wenn die Veränderung so radikal ist, wollten wir den Supermarkt komplett neu erfinden.
Wie kann man etwas, das man seit Jahrzehnten kennt, neu entwickeln?
Wir haben uns damals für einen Architektenwettbewerb entschieden und dafür fünf Büros mit der Maßgabe ausgesucht, dass sie richtig gute Gestalter sind und den „Handel können“. Weiterhin durften sie noch nie irgendetwas mit uns zu tun gehabt haben, sie durften uns nicht kennen. Wir ließen uns den Spiegel komplett von außen vorhalten und mussten das einfach mal aushalten.
Wie ging es weiter?
Wir haben ein passendes Baugrundstück gesucht, dass wir im Januar 2017 in der REWE Region Mitte in Wiesbaden-Erbenheim gefunden haben. Das Grundstück war ideal, um darauf den Pilotmarkt zu realisieren. Dabei gab es keine Tabus: Wir wollten einen Piloten bauen, einen Erlkönig, den wir auf die Straße bringen und daraus lernen, um dann ein Serienprodukt daraus zu entwickeln. Ein Beispiel: Über einen ringförmigen Parkplatz, der die gleiche Anzahl an Stellplätzen wie ein quadratischer bietet, aber 1 000m²nicht asphaltierte Fläche für Begrünung offen hält, haben wir zuvor noch nie nachgedacht.
Was haben Sie noch aus dem Projekt Wiesbaden-Erbenheim gelernt?
Oh, das sind viele kleine Dinge. Also die radikalste Änderung ist sicherlich, dass wir in Wiesbaden die beiden Serviceboxen, diese beiden massiven Boxen noch aus einer Betonkonstruktion gefertigt haben. Bei der zukünftigen Serie – ja es wird eine Serie geben – werden wir, überall wo es geht, ab Oberkante Sole zu 100 % in Holz bauen.
Sie haben ja schon gesagt, REWE wird auch deutlich urbaner werden und man sieht sich im Quartier. Wie wird es in diesem Kontext weitergehen? Der Markt in Wiesbaden ist aktuell doch nicht unbedingt mitten in einem Quartier.
Er wird jetzt in ein Quartier hineinwachsen, weil der Wohnungsbau um den Markt herum komplett neu entsteht. Es handelte sich um ein altes Firmengelände der Firma Dywidag und wir sind sozusagen bei der Quartiersentwicklung der Pionier gewesen. Es entstehen sukzessive 450 Wohnungen und noch etliche Gewerbeeinheiten auf dem Areal.
Ist es denn auch gedacht, zukünftig Märkte oder Bestandsgebäude in zentraler Lage in diese Richtung umzubauen?
Aber natürlich wollen wir auch mitten in die Lage rein und das war auch schon damals im Wettbewerb eine klare Aufgabenstellung an die beteiligten Architekten. Das Büro ACME hat gezeigt, wie es funktionieren kann: Im Erdgeschoss der Supermarkt und dann zum Beispiel fünf oder sechs Geschosse für andere Nutzungen – und im siebten Obergeschoss dann die Dachfarm.
Jetzt hatten Sie schon mehrmals das Architekturbüro ACME aus London angesprochen. Wie muss ich man sich bei einem Pilotprojekt die Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren und dem Architekturbüro vorstellen. Hatten Sie ursprünglich auch Ihrerseits schon konkrete Vorstellungen?
Unsere Vorstellung war eigentlich sehr unspezifisch. Wir haben damals schon im Wettbewerb unser Briefing sehr offengehalten. Das Einzige, was selbstverständlich gesetzt war, war die Funktion als Supermarkt. Und wir haben eben nicht über Konzepte gesprochen, sondern darüber, was zur Funktionalität eines Supermarkts gehört. So arbeitet ACME, das Büro ist extrem analytisch in ihrem kreativen Prozess, das finde ich absolut faszinierend.
Wenn man vor Ort war, dann fällt es einem ja sofort auf: Holz, so weit das Auge reicht. Wurden in Wiesbaden heimische Hölzer verwendet?
Ja, das sind im Grunde alles heimische Hölzer. In Wiesbaden speziell sind Hölzer aus dem Südschwarzwald und aus Österreich verbaut. Das Thema DGNB-Zertifizierung spielt da natürlich auch rein. Wir haben das große Glück, dass wir in Deutschland und Mitteleuropa über eine gute und nachhaltige Forstwirtschaft verfügen – das verkürzt die Transportwege und stellt sicher, dass nur zertifizierte Hölzer verbaut werden. Eine Erkenntnis aus dem Wiesbadener Markt ist, dass das Tragwerk noch zu komplex ist. Das ist ein stückweit auch dem Brandschutz geschuldet. Den zu gewährleisten, war schon eine relativ große Herausforderung, die wir aber gemeinsam mit der Stadt Wiesbaden erfüllen konnten. Den Verantwortlichen aber nahezulegen, dass ein Holzbau mit einer Arbeitsstätte obendrauf durchaus funktionieren kann, da sind noch viele Angstzuschläge drin. Aber ich glaube, dadurch, dass man es gebaut hat und zeigen kann, wie es funktioniert, kann man nachher – und wir werden dazu auch ein Musterbrandschutzkonzept entwickeln – für künftige Bauvorhaben die Dinge vereinfachen. Insbesondere für die Märkte, die keine Farm bekommen. Da wird deutlich weniger Holz im Tragwerk verwendet werden. Es geht auch darum, Schraubverbindungen zu reduzieren, davon haben wir noch sehr viele, in Wiesbaden sind es 269 000. Wir sehen, dass eine etwas andere Stapelung deutlich weniger Holz braucht – und damit eben auch deutlich weniger Verbindungen.
Lassen Sie uns bitte über den Part der Gestaltung sprechen. Das Projekt in Wiesbaden hat ja schon fast eine asiatische Anmutung. Gibt es dafür einen Grund?
Im Grunde ist die Konstruktion in dieser Form neu. Friedrich Ludewig von ACME hat aber auch immer betont, dass es durchaus gewisse Analogien gibt, so zum Beispiel zum japanischen Tempelbau, wo auch die Stapelung verwendet wird. In der Form, wie wir es in Wiesbaden sehen, ist es allerdings neu.
Was passiert oben auf dem Dach?
Das ist tatsächlich die ganz große Neuerung: Es ist ein Joint Venture mit einer aquaponischen Farm, wo zum einen Basilikum angebaut und darüber hinaus Buntbarsche gezüchtet werden. Wir betreiben die Farm nicht selbst, das übernimmt die „Frisch vom Dach GmbH“, ein Tochterunternehmen von ECF-Farmsystems in Berlin. Bei der Aquaponik leben Pflanzen und Fische in einem gemeinsamen Kreislauf. Die Ausscheidungen der Fische sind dabei Dünger für die Pflanzen, die das Wasser dann wieder für die Fische reinigen. Ein hocheffizientes System, das den Wasserverbrauch im Vergleich zum konventionellen Anbau um gut 90% reduziert. Ein Beispiel für die Effizienz ist etwa die Sammlung des Kondenswassers im Gewächshaus, das wieder dem Kreislauf zugeführt wird. Nichts soll verloren gehen. Was an Wasser gebraucht wird, wird im Wesentlichen über Regenwasser abgedeckt. Wir sammeln das Regenwasser von den Dächern in einer 200 m³-Zisterne. Die gesamte Farm bedient sich letztlich aus dieser Zisterne, damit wir Frischwasser schonen.
Wie geht es mit dem neuen Konzept weiter?
Im Moment wollen wir zunächst in jeder unserer sechs Vertriebsregionen einen Green Farming Markt errichten und daraus weiter lernen. Perspektivisch sehen wir künftig ein Potenzial bei unseren Neubauten von circa 10 % mit Farm, 90 % ohne. Das würde dann heißen, dass in Deutschland wahrscheinlich durchaus 20 bis 30 Farmen funktionieren könnten. Wir sind gerade in der Konzeptentwicklung und haben uns zum Ziel gesetzt, in Richtung Sommer 2023 rolloutfähig zu sein. Es gilt bis dahin noch ein paar Aufgaben zu erledigen. Beispielsweise haben wir am Standort in Wiesbaden noch keine regenerative Energieproduktion, dieses Thema hatten wir bei dem Pilotprojekt ausgeklammert. Im Zuge der Konzeptentwicklung wird das kommen. Regenerative Energien werden auch im Neubaubereich eine viel stärkere Rolle spielen.
Farming on top: Über derMarkflächebetreibt die „Frisch vom Dach GmbH“ eine Aquaponikfar, die Frischfisch und Kräuter produziert.
Foto: REWE
Leider hat man oft den Eindruck, dass Lebensmittelhandel und Architektur nicht vereinbar sind. REWE Green Farming zeigt uns, wie es geht. Ist die Idee nur wiederentdeckt oder neu? Uns begeistert das ganzheitliche Betreiberkonzept. Die Architektur ist durch die Konstruktion und den Umgang mit Tageslicht eindrucksvoll. DBZ Heftpartner Caspar Schmitz-Morkramer, caspar., Köln