Offen für intelligenten Input

Mit Archicad, Grashopper, BIMx und DDScad ist das Softwareunternehmen Graphisoft in zahlreichen Architektur- und Ingenieursbüros vertreten. Im Herbst präsentierte das Unternehmen nun mit den neuen Produktreleases, wie es sich die Zukunft des digitalen Planens vorstellt – samt KI-Integration und Augmented Reality. Die DBZ war dabei.

Die Versionsnummer gibt bereits einen ersten Eindruck davon, womit man es bei Archicad zu tun hat: 27 Versionen seit 1984 mündeten in diesem Herbst in die aktuelle Version Archicad 28. Damit gehört das Programm zu den Urgesteinen der digitalen Planung. Zur Legende des Unternehmens gehört, dass der Gründer Gábor ­Bojár eigens Apple Computer hinter den Eisernen Vorhang nach Budapest geschmuggelt hat, um seine CAD-Anwendung auch Apple Usern anbieten zu können. Als Bronzestatue verewigt, begrüßt ­Bojárs Idol, Steve Jobs, noch heute die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Zentrale des Unternehmens. Die ist an einem Donauarm im ­Norden der ungarischen Hauptstadt Budapest im „Graphisoft Park“ gelegen. Microsoft und weitere Größen der Digitalbranche sind hier ebenfalls ansässig. Ein ungarisches Silicon Valley mit kurzen Wegen, die man bei Graphisoft zu schätzen weiß.

Was also ist neu, im Herbst 2024? Und wie schlägt sich der KI-Hype in den neuesten Produkten des Unternehmens nieder? Diese Frage beantworten Chief Product Officer Márton Kiss im Einzelgespräch vor der großen Releaseshow, zu der neben Journalistinnen und Journalisten vor Ort auch weitere Medienleute und das Fachpublikum per Livestream geschaltet sind. Viele kleine Verbesserungen im Detail werden dort vorgestellt, wie das bei Software-Updates so üblich ist. Doch es gibt auch zwei richtungsentscheidende Neuerungen, für deren Kommunikation sich das Unternehmen besonders viel Zeit nimmt: die Integration des AI Visualizers in Archicad und die schrittweise Umstellung auf ein Abo-Modell.

Im Abo auf dem Laufenden

„Mit der Umstellung auf ein Subskriptionsmodell haben wir uns lange zurückhalten, doch nun haben wir uns entschieden, es schrittweise einzuführen“, erklärt Márton Kiss. Archicad 28 ist die erste Version, die nur noch im Abo zu haben sein wird. Den vielen Altkunden zuliebe habe man diesen Schritt so lange wie möglich hinausgezögert. Aber die immer schnellere technische Entwicklung zwinge die Softwareunternehmen zu immer kürzeren Innovationszyklen. „Die sind aber nur zu leisten, wenn wir uns auf verlässliche Einnahmequellen stützen können, um die notwendige Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu finanzieren. Dafür haben die Nutzerinnen und Nutzer jedoch die Sicherheit, dass sie ein Programm nutzen, das mit der Entwicklung Schritt hält – und ihnen die notwendigen Tools umgehend für die tägliche Arbeit zur Verfügung stellt.“ Bestes Beispiel dafür sei aktuell die Einbindung des AI Visualizers.

„Künstliche Intelligenz ist im eigentlichen Sinn kein neues Phänomen in der digitalen Welt“, führt Márton Kiss aus. „Softwareunternehmen benutzen sie seit Jahrzehnten, um große Datenmengen in verständliche und nützliche Information zu verwandeln. Was neu ist, ist das es mit ChatGPT und ähnlichen Anwendungen nun erstmals auch verständliche Produkte für den Endverbraucher gibt.“ Derzeit gebe es für die KI in der Architektur vor allem bei der Visualisierung nützliche Anwendungen. „Für Interiordesigner ist es schon heute sehr praktisch, zum Beispiel die Oberfläche von Materialien direkt bei der Kundenpräsentation zu ändern, anstatt immer wieder neu mit Design­varianten vorstellig werden zu müssen.“ Bei der Anwendung in der Architektur sei man dagegen noch in der Experimentierphase. Graphisoft zeigt dazu in der Presselounge einen Versuchsaufbau, bei dem einfache Pappkartons von einer Kamera erfasst und als Objekte in BIMx importiert werden. Durch physisches Stapeln und Reorganisieren der Kartons vor der Kamera erscheinen im Programm Designvarianten eines Gebäudekomplexes – ein spielerischer Ansatz, der Abstraktion und Haptik miteinander verbindet und den man weiterverfolgen könne, wenn die Branche Interesse zeigt. „Derzeit sind wir noch auf der Suche nach wirklich sinnvollen Use-cases, die unsere Kunden in ihrer täglichen Arbeit unterstützen“, sagt Márton Kiss. „Ein vielversprechender Weg könnten zum Beispiel smarte Assistenten sein, die als Applikation das Dolmetschen zwischen Sprachbarrieren und unterschiedlichen Bautraditionen übernehmen.“ Ein solcher smarter Assistent könnte theoretisch mit sehr genauen Basisinformationen gefüttert werden und sicherstellen, dass eine dänische Architektin einen Flughafen für Singapur plant, ohne dass sie sich jemals mit den rechtlichen und baurechtlichen Gegebenheiten vor Ort auseinandergesetzt hat. „Der Assistent würde im Hintergrund dafür sorgen, dass keine Konflikte entstehen – oder rechtzeitig darauf hinweisen, wenn eine Lösung unter den örtlichen Gegebenheiten nicht umsetzbar ist.“ Bei der Gestaltung einer Rampe etwa könnte die KI die konkrete Ausgestaltung der Wenderadien oder Plattformen automatisch dahingehend prüfen, ob sie in Einklang mit den jeweils geltenden Verordnungen zur Barrierefreiheit stehen. Gerade das werde es mittleren und kleinen Büros ermöglichen, auf Augenhöhe mit größeren Büros zu konkurrieren.

Lernen im kontrollierten Umfeld

Der große Vorteil, der sich aus der Integration des AI Visualizers in Archicad ergibt, sei für die Nutzerinnen und Nutzer zwar nicht gleich erkennbar, aber ein Gamechanger: „Künstliche Intelligenzen außerhalb des Systems lernen anhand aller verfügbarer Quellen, wie die meisten es wahrscheinlich inzwischen von ChatGPT kennen. Das führt teilweise zu sehr skurrilen Ergebnissen, die nicht in der Realität verankert sind“, sagt Márton Kiss. „Unser System hingegen lernt anhand der tatsächlichen, branchenspezifischen Aufgaben unserer Kunden und ihrer konkreten Bedürfnisse.“ Vorstellbar sei zum Beispiel, dass Kunden künftig bürospezifische Regelwerke hinterlegen, welche die KI bei jeder Aufgabe zur Rate zieht und in das Ergebnis einfließen lässt. „Dabei ist zu betonen, dass wir nach Einwilligung lediglich anonymisierte statistische Daten bei unseren Kundinnen und Kunden erheben“, sagt Kiss. „Das geistige Eigentum bleibt den Kunden und wird zum Beispiel nicht für das Training der KI genutzt – ein Kreativtransfair findet ausdrücklich nicht statt.“

Der Schutz des jeweiligen geistigen Eigentums sei eine der wichtigsten Aufgaben bei der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz. „Wie viel Raum eine Tür im Badezimmer braucht, um sich öffnen zu lassen, ist zum Beispiel eine feste Größe, die sich unter anderem aus den allgemeinen Forderungen zur Barrierefreiheit speist. Diese Regeln sind nicht weiter schützenswert. Aber manche unserer Kunden haben sich etwa auf den Bau von Kliniken spezialisiert und die Art und Weise, wie sie die Grundrisse organisieren, ist sehr spezifisch und darf deshalb nicht zum allgemeinen Training der KI genutzt werden,“ sagt Márton Kiss. „Darauf achten wir bereits heute und werden das auch künftig sehr sorgfältig tun, um die Interessen unserer Kunden zu schützen.“

Eine dieser Maßnahme sei etwa, dass die Anwendungen auf isolierten „Tenants“, also abgesicherten, virtuellen Umgebungen in der Cloud laufen, sodass es keine Verbindungen zwischen den Daten unterschiedlicher Kunden gibt. In der Praxis gebe es daher eine Checkbox im Programm, mit dem die Nutzerinnen und Nutzer bestimmen können, welche Informationen die KI nutzen soll, um daraus ein Modell zu erstellen. Und welche Informationen wiederum genutzt werden dürfen, um die KI zu trainieren. Es gebe immer auch die Möglichkeit, in einer komplett privaten Umgebung zu entwerfen. Oder eben innerhalb der Tenants, für die jeweils bürospezifische Regeln erstellt werden, sodass sich zwar jeder Kunde aus der gleichen Cloud bedient und dabei auf das gleiche KI-Tool zurückgreift, aber dennoch sehr spezifische und individualisierte Antworten erhält. „Das geht sogar bis runter auf die User-Ebene, denn nicht jede Mitarbeiterin benötigt den gleichen Input.“

Erfahrungsschätze heben

Unabhängig von der benutzten Software liegt die Attraktivität von KI-Systemen für Architekten und Bauingenieurinnen nicht nur in dem Zugang zu externe Wissensquellen, sondern auch in der besseren Erschließung und Vernetzung des eigenen Erfahrungsschatzes: „Ich habe kürzlich mit Vertretern einer japanischen Holzbaufirma gesprochen, die bereits seit 1610 Schreine und Tempel baut. Sie hat Unmengen von Plänen und Zeichnungen von einzigartigen Details und Verbindungen, die sie heute ihren Tausenden von Mitarbeitern in der ganzen Welt zugänglich machen könnten“, sagt Márton Kiss. Und endlich sei man in der KI-Forschung so weit, aus diesen Möglichkeiten Use-cases zu machen, die das Stadium der Forschung verlassen.

Interessanterweise stellt Graphisoft mit KI-Systemen nicht nur den Kunden Datenschätze zur Verfügung, um deren alltägliche Arbeit zu erleichtern, sondern nutzt sie auch selbst, um die Userexperience ihrer eigenen Produkte zu verbessern. „In den anonymisierten Log-Daten unserer Kunden können wir Muster erkennen, bei welchen Aufgaben welche Tools und Schaltflächen wie genutzt werden und wie wir sie in ihrer täglichen Arbeit besser unterstützen können, indem wir anhand der Daten das Design der Benutzeroberfläche immer weiter verbessern und das Leistungsspektrum erweitern“, sagt Márton Kiss. Das münde dann in den unzähligen kleinen Updates und Änderungen, die zum Beispiel in Archicad 28 stecken, wie dem besseren Austausch zwischen ­Archicad und BIMx oder in der „One Click LCA“- Analyse. Ein „Keynote“ genanntes Tool erleichtert künftig das Erlernen des Programms, in dem es per Mouseover Hinweise zu den Schaltflächen und Tools liefert. „Die Neuerung, die mir persönlich jedoch am besten gefällt, ist die automatische Abstandsmessung“, erzählt Márton Kiss. „Damit wird eine Aufgabe automatisiert, die Planerinnen und Planer bislang im Alltag hundertfach händisch durchführen mussten. Sie spart also viel Zeit und Nerven.“

Steuerung per Augenklick

Auf dem Weg vom Spielzeug zum nützlichen Werkzeug gelte es jedoch, nicht jede Mode mitzumachen: „Wir müssen auch aufpassen, dass KI sinnvoll eingesetzt wird“, betont Kiss. „In der Architektur und im Bauingenieurwesen haben wir es mit vielen harten Fakten wie Bauordnungen, Klimaverhältnissen oder den konkreten Anforderungen der Bauherren zu tun, da benötigen wir keine „künstliche Fantasie“. Es gibt da diese Karikatur, in der es heißt: Ich brauche keine KI, die für mich Musik komponiert oder malt. Ich brauche eine, die für mich aufräumt und die Teller wäscht. Da ist sehr viel dran, denke ich.“

Die Besucherinnen und Besucher des Software­releases konnten sich dennoch ein bisschen von der imaginativen Kraft der neuen Technik verzaubern lassen: An einem Demonstrationsstand konnten sie selbst mithilfe einer Apple Vision Pro BIMx-3D-Modelle im virtuellen Raum erkunden und unterschiedliche Ebenen ein- und ausblenden. Per „Augenklick“ ging es nahtlos zum immersiven Spaziergang in die AI-Visualisierung eines Projekts. Die Steuerung per Blickrichtung und Gesten ist jedoch nicht jedermanns Sache, einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer klagten über Übelkeit. Andere wiederum taten sich leicht mit der intuitiven Steuerung. Je besser die – bereits jetzt beeindruckenden – Modelle werden, umso leichter kann man sich vorstellen, wie Augmented-Reality-Präsentationen künftig das Verkaufstalent eines Steve Jobs ersetzen – und Architekturbüros dabei zunehmend unterstützen, Bauherrinnen und Investoren von Designvarianten oder Baulösungen zu überzeugen. Allerdings sollte man dabei – Achtung Kalauer – unbedingt mit Augenmaß vorgehen. ⇥Jan Ahrenberg/DBZ

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